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Keine Amateure

Erst 1971 gründeten auch Box-Funktionare eine Bundesliga. Doch wie kaum eine andere wurde sie zum einträglichen Geschäft.
aus DER SPIEGEL 49/1972

Wenige Stunden vor dem Kampf verlangte Schwergewichtsboxer Erich Seidl aus Selb in Bayern Aufklärung: »Für welchen Verein boxe ich eigentlich heute abend?« Unwirsch antworteten seine Betreuer: »A geh, du Lackl, für Bavaria Rosenheim.«

So war es im letzten Winter, und so ist es immer noch, obwohl Seidl lieber wieder für seinen Heimatverein Olympia Selb Hiebe austeilen und notfalls einstecken möchte. Doch in Rosenheim steht Bayerns einziger Bundesliga-Boxring. Und das Faustrecht in der höchsten bundesdeutschen Boxerklasse richtet sich nicht nur nach der Klasse, sondern auch nach der Kasse.

Der deutsche Mannschafts- Meister von 1972, Box-Club Steele in Essen, nimmt pro Kampfabend (Eintrittspreise: 6 bis 25 Mark) mehr als 40 000 Mark ein. Noch mehr wollte Nachbarklub »Ringfrei« Mülheim herausschlagen und kaufte im In- und Ausland eine Mannschaft zusammen.

Prominenteste Neuerwerbung war Schwergewichtler und Olympiateilnehmer Peter Hussmg. Lokalberichterstatter lobten die »Ringfrei«-Riege zum Titelanwärter hoch. Neider nannten sie -- nach Italiens berühmtestem Fußball-Profiklub Internazionale Mailand -- »Inter« Mülheim.

Schließlich wechselten sogar ständig drei holländische Nationalboxer per Auto über die Grenze nach Mülheim. mal zum Training, mal zum Kampf. Doch Mitte November sperrte der »Nederlands Boksbond« in Amsterdam seine »Ringfrei«-Willigen. Mülheim büßte seine Titelchance ein.

»Die Bundesliga-Boxer sind keine Amateure mehr«, rügten holländische Funktionäre. Das schrieb auch der Kölner Verbandsboß Karl Sellger dem Deutschen Amateur-Box-Verband (DABV): »Mit der stillschweigenden Duldung von Handgeldern. die seit der Einführung der Bundesliga vielfach als Umzugskostenentschädigung getarnt werden«, wird gegen die »Satzung verstoßen«. In verschlossenen Briefumschlägen, so Sellger, werden Startgelder zwischen 100 und 600 Mark übergeben. Bronzemedaillengewinner Hussing soll sogar bis zu 800 Mark pro Kampf kassiert haben.

Anfangs hatten die DABV-Funktionäre eher darauf gehofft, daß ihre Faustkämpfer durch die 1971 gegründete Bundesliga mehr Mark in die Knochen als in die Taschen bekommen würden. »Ginge es nach uns Trainern«, schwärmte Bundestrainer Wemhöner. »würden alle Olympiakandidaten und Nationalstaffelboxer bei Bundesligavereinen trainieren und kämpfen.«

Doch es ging mehr nach den Managern. Geschickt hatten sie ausgehandelt, daß die einjährige Sperrfrist bei Vereinswechsel fiel und pro Mannschaft mit zehn Boxern sogar drei Ausländer startberechtigt sind. Schon in der ersten Saison kämpften in den sieben Klubs vier Boxer, die später an den Olympischen Spielen teilnahmen. Mit die wenigsten Neuzugänge -- nur drei -- verpflichtete der BC Travemünde, er stieg ab.

Der abgerutschte Polizeisportverein Berlin -- vor Bundesligagründung noch Deutscher Meister -- verstärkte sich durch Olympiaboxer Rudi Hornig. Mülheims »Ringfrei«-Manager engagierten den Düsseldorfer Olympioniken Werner Schäfer. Tabellenvorletzter Bayer Leverkusen holte -- mit Werkshilfe -- zwei Boxer aus Hamburg.

Auch Nationalboxer Dieter Kottysch aus Hamburg hatte bei Viktoria Dortmund schon vor den Olympischen Spielen seinen Obertritt zugesagt. Doch um das Amateur-Statut besorgte Verbandsfunktionäre verunsicherten ihn. Er fürchtete um seine Olympiateilnahme. Kottysch kuschte, wurde Olympiasieger und gab das Boxen auf.

Seine Dortmunder Interessenten kauften indes außer zwei anderen Nationalboxern auch einen Kämpfer aus Jamaika ein. Doch dann wurde ihr Trainer, der frühere Profi-Europameister Willy Quatuor, in der Kabine überrascht, als er seinen Kämpfern Spritzen verabreichte. »Das war nur Traubenzucker«. rechtfertigte er sich. Das Verbandsgericht sperrte ihn wegen Doping. Viktoria verließ die Bundesliga.

Freiwillig verzichten wollte sogar Bavaria Rosenheim. Die Bayern fühlten sich in der Essener Grugahalle gegen den BC Steele durch Punktrichter benachteiligt und brachen nach vier von zehn Kämpfen die Veranstaltung ab. »Starts im Westen sind für Bavaria eine Farce«, klagte Vorsitzender Alfons Döser. »Wir wurden nicht zum erstenmal betrogen.«

Als andere Klubs dem DABV drohten, nach Bavarias Austritt nur weiterzukämpfen, wenn ihnen die entgangene Abendkasse ersetzt würde, beschwichtigten die Verbandsoberen alle Seiten. Steele erhielt die Punkte aus dem abgebrochenen Kampf und wurde Meister. Bavaria zahlte zwar 1000 Mark Strafe, doch Klubboß Döser wurde nur bis zum Saisonende gesperrt. Inzwischen entschied er sich für das Verbleiben an den Fleischtöpfen: »Wir machen weiter.«

Das will auch der Hamburger Prof i-Manager Fritz Wiene, obwohl er erst kürzlich per TV-Auftritt den Rückzug aus dem Boxgeschäft bekanntgegeben hatte. Sein bester Boxer Jürgen Blin war k.o. geschlagen worden und hatte seinen Europameister-Titel eingebüßt.

»Max Schmeling hat mir gesagt, daß der deutsche Boxsport mich noch braucht«, begründete Wiene den Umfall. In Wahrheit hatte »Ringfrei« Mülheim dem Pelzhändler einen der gesperrten Holländer. Mittelgewichtler Rudi Koopmans, verkauft.

»Vorfälle wie im letzten Jahr dürfen sich nicht wiederholen«. erklärte Günter van Bei, selbst Vorsitzender des Bundesligaklubs BC Velbert und designierter DABV-Präsident »Wir brauchen klare Rechtsinstanzen und Strafbestimmungen.«

So haben am Bundesliga-Boom statt 7 künftig 16 Klubs teil. Bislang oft gefälschte Startgenehmigungen sind kaum noch möglich: Bunte Aufkleber in den Kampfpässen markieren demnächst, wer sich grün und blau prügeln darf.

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