DDR-KATHOLIKEN Kommissar mit Krummstab
Noch immer nennen fünf Bürger der Bundesrepublik ein Gebiet von 56.560 Quadratkilometern in der DDR ihr eigen.
Geistliche Herren über mehr als die Hälfte des DDR-Territoriums sind nach dem Buchstaben des katholischen Kirchenrechts die Bischöfe von Paderborn, Osnabrück, Hildesheim, Fulda und Würzburg (siehe Graphik). Auch das Päpstliche Jahrbuch führt sie als die Oberhirten von 750.000 der 1,3 Millionen DDR-Katholiken auf.
Das will jetzt die DDR-Regierung ändern. Das »Neue Deutschland« verwechselte schon den Wunsch mit der Wirklichkeit. DDR-Ministerpräsident Willi Stoph, so meldete das SED-Zentralblatt, habe Berlins Erzbischof Alfred Kardinal Bengsch als Vertreter der »Katholischen Kirche in der DDR« empfangen. Doch eine »Katholische Kirche in der DDR« ist vorerst noch Stophs Traum.
Der ranghöchste DDR-Katholik Bengsch scheint aber bereit zu sein, Stophs Traum zu erfüllen. Was Ministerpräsident und Kirchenfürst vorletzte Woche in Ost-Berlin besprachen, verschleiert die Parteizeitung kaum: Erörtert habe man »gemeinsam interessierende Fragen« und ausdrücklich wird auf die »Verträge zwischen der UdSSR und der BRD und zwischen der Volksrepublik Polen und der BRD« verwiesen.
In den beiden Verträgen hat die Bundesrepublik die bestehenden Grenzen anerkannt. Ende Juni gründete der Vatikan daraufhin in den ehemals deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße vier neue polnische Diözesen. Jetzt soll der Heilige Stuhl für die DDR die gleichen Konsequenzen ziehen und von der Bundesrepublik unabhängige DDR-Diözesen schaffen.
In der DDR gibt es bislang nur zwei (in der Bundesrepublik 21) sogenannte residierende Bischöfe mit uneingeschränkten Vollmachten: Bengsch in Berlin und den Bischof Gerhard Schaffran von Meißen (mit Sitz in Bautzen). Das andere Gebiet wird von fünf »Apostolischen Administratoren« betreut, Deren übrige Titel und deren Befugnisse sind so kompliziert, daß darüber etliche Doktorarbeiten geschrieben werden könnten.
Vier Administratoren mit Sitz in Schwerin, Magdeburg, Erfurt und Meifingen amtieren in Gebieten, die noch zu westlichen Diözesen gezählt werden. Deshalb führen sie überdies den Titel von »Bischöflichen Kommissaren«. Ein fünfter Administrator sitzt in Görlitz und ist zuständig für den DDR-Rest der früheren Erzdiözese Breslau.
Vier der fünf besitzen Krummstab und Mitra, aber sie sind nur sogenannte Titularbischöfe. Während beispielsweise Bengsch sich »Bischof von Berlin« nennen darf, ist der Magdeburger Administrator Johannes Georg Braun nur »Bischof von Puzia di Bizacena«, einem menschenleeren Landstrich in der Türkei. Und der Meininger Oberhirte führt nicht einmal einen Bischofs-Titel, sondern ist nur »Päpstlicher Ehrenprälat«.
Daß die DDR-Regierung viele Jahre lang nicht so intensiv wie die polnische Regierung auf die Schaffung selbständiger Bistümer drängte, ist vermutlich daraus zu erklären, daß die Katholiken in der DDR nur eine Minderheit (8,2 Prozent) sind. In letzter Zeit allerdings verlangen die Ost-CDU und die SEDfromme »Begegnung«, die sich im Untertitel »Zeitschrift progressiver Katholiken« nennt, immer häufiger fast wortgleich die »klare jurisdiktionelle Trennung« der Kirche vom Westen.
Zwar nicht de iure, wohl aber de facto ist die Spaltung längst vollzogen. Während früher alle deutschen Bischöfe in Ost und West der »Fuldaer Bischofskonferenz« angehörten, tagen die Oberhirten seit mehr als zehn Jahren getrennt.
Besuche der West-Bischöfe in den Ost-Teilen ihrer Diözesen hat die DDR schon seit langem nicht mehr zugelassen. Paderborns Kardinal Lorenz Jaeger zum Beispiel ist in seinem DDR-Sprengel Magdeburg seit mehr als 15 Jahren nicht mehr gewesen. Die Westkontakte schrumpften zusammen auf die regelmäßigen Finanzhilfen des Paderborner »Bonifatiuswerks« für die katholische Diaspora in der DDR. Der Druck, den die Ost-Berliner Regierung auf diese Weise ausübte, beschied ihr mit der Zeit beachtliche Teilerfolge. So unterstellte der Papst 1967 die vier Bischöflichen Kommissare, die bis dahin auf Weisung der bundesdeutschen Bischöfe tätig waren, als Apostolische Administratoren direkt dem Vatikan.
Auch kann Regierungschef Stoph die Katholiken auf vorbildliches Staatsbewußtsein der evangelischen Brüder verweisen. Die acht Landeskirchen auf dem Gebiet der DDR trennten sich 1969 von der früher gesamtdeutschen »Evangelischen Kirche in Deutschland« und schlossen sich zum »Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR« zusammen.
Die Katholiken können sich allerdings nicht, wie die Protestanten, darauf beschränken, sich rechtlich vom Westen zu trennen. Sie müssen wahrscheinlich auch die Gebiete innerhalb der DDR neu einteilen. Denn von den drei Möglichkeiten, die nach Ansicht von Kirchenkennern gegenwärtig sondiert werden, ist die einfachste zugleich die weltfremdeste:
Der Vatikan könnte die vier Kommissare zu residierenden Bischöfen befördern; aber für vier neue Bistümer gibt es eigentlich zuwenig Katholiken. Denkbarer ist es, daß Erfurt, Meiningen und ein Stück der Diözese Meißen zu einem Bistum zusammengefaßt und Schwerin und Magdeburg mit dem jetzigen Bistum Berlin vereinigt werden, das dann zu einem Erzbistum aufgewertet würde. Darauf hatte der Papst 1962 noch verzichtet, als er lediglich Bengsch vom Bischof zum Erzbischof beförderte. Nicht ausgeschlossen ist, laß alle jetzt von Administratoren verwalteten Gebiete zu einem großen Bistum zusammengefaßt werden.
Kaum als problematisch empfinden die Spitzen von Staat und katholischer Kirche in der DDR, daß Bengsch noch immer Oberhirte auch für West-Berlins 257 000 Katholiken ist. Er darf jeden Monat mehrere Tage nach West-Berlin.
Mit gelegentlichen höflichen Verneigungen vor der DDR hält Bengsch zu dem ihm innerlich fremden Regime soviel Distanz wie möglich und soviel Kontakt, wie es ihm notwendig erscheint. Zum 20. Jahrestag der DDR-Gründung im Oktober 1969 etwa lobte der Oberhirte »mit Dank gegen Gott«; »Die Kirche konnte seelsorglich arbeiten; und wenn wir ganz ehrlich sind, sie hatte noch mehr Chancen, als sie oft genutzt hat.« Auf ein Bengsch-Bekenntnis zum Sozialismus wartet die DDR-Führung allerdings bisher vergebens.
Immerhin verhielt sich Bengsch so DDR-konform, daß ihm Stoph zum 50. Geburtstag im September 1971 schreiben konnte: »Ihr Ehrentag dürfte geeigneter Anlaß sein, sich unseres Gespräches anläßlich Ihrer Amtsübernahme zu erinnern.« Bengsch habe ihm damals, 1961, versichert, er werde »als loyaler Staatsbürger der Deutschen Demokratischen Republik« darauf bedacht sein, »eine innerkirchliche Entwicklung zu gewährleisten, die auf der Grundlage des Vertrauens in das edle humanistische Werk des Friedens und des Sozialismus beruht«.
Die DDR-Offiziellen stört es wenig, daß Bengsch zu den papstergebensten deutschen Oberhirten zählt. So zweifelt niemand daran, daß Bengsch die Grenz-Frage »nicht -- ohne Rom entscheidet« (bischöfliche Pressestelle). Wolle man Bengschs Standpunkt beim Stoph-Gespräch wissen -- so der Berliner Presse-Pater Günther -- müsse man also beim Vatikan nachfragen.
Im Vatikan aber ziert man sich noch, obwohl Pläne nicht mehr ausgearbeitet, sondern nur noch besiegelt werden müssen. Ein Vatikan-Beamter meint vorsichtig: »Eventuell geschieht etwas nach dem Grundvertrag zwischen BRD und DDR.« Denn: »Der Vatikan tut in diesen Dingen nie den ersten Schritt.«