Zur Ausgabe
Artikel 74 / 119

Fußball Kräftig geblutet

Um die hohen Siegprämien für ihre Profis zahlen zu können, versichern sich die Klubs gegen Erfolg.
aus DER SPIEGEL 46/1993

Wenn in dieser Woche im International Department der Kölner Colonia-Versicherung die Sportnachrichten aufmerksam verfolgt werden, hat das rein berufliche Gründe. Die Herren von der Assekuranz fürchten sich vor einem schlechten Geschäft.

»Wie ein exotisches Tier«, erinnert sich der Schweizer Giangiorgio Spiess, hätten ihn die Colonia-Manager beäugt, als er vor Jahresfrist bei ihnen vorsprach. 200 000 Mark bot der Delegierte der Schweizer Nationalmannschaft als Einsatz, um sein Team gegen einen Erfolg in der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1994 zu versichern.

Die Makler, mit den Tücken des Fußballs nicht restlos vertraut, witterten angesichts so starker Gegner wie Italien, Portugal und Schottland das schnelle Geld. Doch jetzt fehlt den Eidgenossen nur noch ein Sieg am Mittwoch über Außenseiter Estland zur WM-Qualifikation - und für die Colonia tritt der Schadensfall ein. 900 000 Mark muß das Kölner Unternehmen dann an den Schweizer Verband überweisen. Davon bezahlen die Funktionäre ihren Kickern die versprochene Erfolgsprämie.

Das Finanzierungsmodell wird auch von anderen Fußballnationen geschätzt. Britische und italienische Teams schützen sich gegen die finanziellen Folgen eines Titelgewinns und lassen die Siegprämien ihrer Profis von Lloyd's oder der Assicurazioni Generali bezahlen.

Alle sieben Europacupteilnehmer aus Italien, so wissen Broker, haben sich vor der laufenden Saison gegen einen Pokalsieg versichert; der AC Parma, der in der vergangenen Spielzeit jedem Profi für den Europacupsieg 100 000 Mark netto auszahlen mußte, strich von Lloyd's über sechs Millionen Mark ein; Argentinien holte, obwohl noch nicht für die WM in den USA qualifiziert, bereits Angebote für den Schadenfall Weltmeistertitel ein; der FC Lugano schützte sich, in weiser Voraussicht, gegen den Gewinn des Schweizer Pokals.

Allein die deutschen Vereine zögern noch. Sie fürchten, wie Heribert Bruchhagen, Manager des Hamburger SV, vermutet, daß sie »eine solche Versicherung den Fans nicht erklären können«.

Falls Eintracht Frankfurt Deutscher Meister werde, ahnt bereits Vizepräsident Bernd Hölzenbein, habe der Klub mit dem Versicherungsverzicht »einen Fehler gemacht«. 900 000 Mark Prämie müssen dann allein aus der Klubkasse gezahlt werden. Auch der Stuttgarter Dieter Hoeneß würde gern »die Risiken eindämmen, um kaufmännisch-strategisch planen zu können«.

Gefallen am Vabanque mit der Assekuranz hatte 1984 der Tennis-Weltverband gefunden. Nachdem er für vier Grand-Slam-Siege hintereinander eine Prämie von einer Million Dollar ausgelobt hatte, schützte sich Präsident Philippe Chatrier gerade noch rechtzeitig: Martina Navratilovas Siege in Melbourne, Paris, Wimbledon und Flushing Meadow hätten den Verband in finanzielle Not gestürzt; so aber zahlte die Versicherung.

Italienische Präsidenten, Jahr für Jahr von höheren Prämienforderungen ihrer Profis geschockt, übertrugen das Versicherungsgambling auf den Fußball. Vor allem Klubs, die sich verstärkt haben, können profitieren: Aufgrund der bisherigen Mißerfolge räumen die Versicherungen ihnen günstige Kurse ein.

So kaufte sich US Cagliari, stets Abstiegskandidat in der italienischen Liga, im vergangenen Jahr das beste Team der Vereinsgeschichte zusammen und versicherte es bei einer nichtsahnenden Gesellschaft für 280 000 Mark Prämie gegen die Qualifikation für den Uefa-Cup. Der Klub machte über vier Millionen Mark Gewinn.

Auch die Colonia hatte die Trendwende im Schweizer Fußball verschlafen, obwohl Profis wie der Dortmunder Stephane Chapuisat längst in der Bundesliga Tore schießen. »Wir haben nicht gedacht«, klagt Makler Christiaan Zevenbergen, »daß die Jungs so gut sind.«

Funktionär Spiess wird derweil in der Heimat vom Fachblatt Sport ob seines »Spürsinns« belobigt. Er bekam bei der Colonia (9:2) einen besseren Kurs, als ihn damals die Londoner Wettbüros (4:1) anboten. Beim nächstenmal, ahnt Spiess allerdings, »müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen«.

Weil die Gesellschaften mittlerweile »kräftig geblutet« haben, wie der britische Broker Nick Crocker gesteht, wollen sie »das Fundament verbreitern«. Um das Risiko zu mindern, sollen möglichst viele Klubs zu solchen Policen überredet werden. Zwar hält der Bund der Versicherten das Geschäft mit dem Sieg für »unverantwortliches Glücksspiel«, es gibt jedoch keine rechtliche Handhabe dagegen.

Deshalb bereiten die angekündigten Vertreterbesuche in den Vereinsheimen dem Deutschen Fußball-Bund Sorgen. Sollten sich Klubs demnächst auch gegen Abstiege versichern, dann würden sie, fürchtet Liga-Sekretär Wolfgang Holzhäuser, »am Ende lieber Letzter, weil das mehr Geld bringt«. Y

Zur Ausgabe
Artikel 74 / 119
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren