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Tennis Künstler und Gladiator

Ein 18jähriger Jugoslawe hat sein Plansoll erfüllt: Goran Ivanisevic ist der neue Tennisstar.
aus DER SPIEGEL 34/1990

Mit sechs Jahren hielt der Professorensohn aus Split erstmals einen Tennisschläger in Händen. Drei Jahre später bestritt er schon ein Turnier in den USA. Seit diesem Tag, sagt Goran Ivanisevic, habe er täglich davon geträumt, »ein Tennisstar zu werden«. Und mit leichtem Beben in der Stimme fügt der erst 18jährige Profi hinzu: »Jetzt bin ich einer.«

Die Selbsteinschätzung des Jugoslawen wird von Sachkennern sogar noch übertroffen. »Dieser junge Mann ist überbegabt«, findet der französische Monde. Die International Herald Tribune glaubt bereits »den kommenden McEnroe« entdeckt zu haben. Und der Direktor des Stuttgarter »Weißenhof«-Turniers, Bernd Nusch, will sogar »eine Kiste Champagner« darauf verwetten, daß Goran Ivanisevic »in zwei Jahren die Nummer eins der Welt sein wird«.

Durch die jahrelange Dominanz ihrer drei Seriensieger Ivan Lendl, Stefan Edberg und Boris Becker war die Branche so sehr von der Langeweile bedroht, daß zuletzt der stete Niedergang der Altstars Jimmy Connors und John McEnroe bei den Fans mehr Interesse fand als die sich häufenden Millionenturniere rund um den Globus. Jetzt hat sie mit Goran Ivanisevic endlich wieder eine Attraktion zu bieten. Die Tennismanager sind beruhigt, das System funktioniert noch.

Wie zuletzt die Amerikaner Michael Chang und Jennifer Capriati ist auch Goran Ivanisevic das frühreife Produkt einer typischen Karriereplanung im Profitennis. Immer häufiger liefern ehrgeizige Eltern, die ihren Nachwuchs für geborene Tenniscracks halten, schon Sechsjährige in Tennisschulen vor allem in den USA ab, investieren bis zu 25 000 Dollar im Jahr in die Ausbildung - und hoffen auf Rendite. »Mein Kind, der Tennischamp«, befand die New York Times, sei offensichtlich »der amerikanische Traum in den neunziger Jahren«.

Auch Ivanisevic, kürzlich von einer Belgrader Zeitung zum »Idol der jugoslawischen Jugend« gewählt, verdankt die Karriere seinem Vater Srdan. Um die Tennisausbildung finanzieren zu können, verkaufte der Mathematikprofessor an der Universität von Split sogar sein Haus. Vater Ivanisevic weiß jetzt sein Geld »gut angelegt«.

Schon als der Jugoslawe beim Grand-Slam-Turnier in Paris Ende Mai den hilflosen Boris Becker in der ersten Runde besiegte, prophezeite Ivan Lendl dem Emporkömmling »eine große Zukunft«. Kurz darauf erreichte Ivanisevic in Wimbledon das Halbfinale, gewann später das Grand-Prix-Turnier in Stuttgart und setzte so zu einem steilen Aufstieg in der Weltrangliste vom 1052. auf den 15. Platz an. Der Jungprofi, dem neutrale Beobachter schon jetzt den härtesten Aufschlag der Konkurrenz bescheinigen, zählt nun zu den Favoriten für die kommenden Montag beginnenden US Open in New York.

Daß er die rechte professionelle Einstellung gefunden habe, schreibt Ivanisevic vor allem seinem Landsmann Nikola Pilic zu, der heute die bundesdeutsche Daviscup-Mannschaft betreut. Pilic, ein Schulfreund von Ivanisevics Vater, hatte den jungen Goran nach etlichen Kapriolen sogar vom Court gewiesen: Er solle »in den Zirkus gehen, wenn du den Clown spielen willst«.

Seither verehrt der Jugoslawe seinen früheren Trainer als einen »ganz Harten« und übt jetzt mit seinem ungarischen Trainer Balasz Taroczy auch schon mal fünf Stunden pro Tag seinen Aufschlag, wenn der es für nötig hält.

Die Tennislehre nimmt inzwischen soviel Zeit in Anspruch, daß der Professorensohn wohl nie einen Schulabschluß wird vorweisen können. Zwar ist Ivanisevic offiziell noch an einer Schule in Zagreb gemeldet, aber mittlerweile ist ihm entfallen, welcher Klasse er zur Zeit überhaupt angehört - »ich war schon so lange nicht mehr dort«.

Der Mathematikprofessor Ivanisevic ist's dennoch zufrieden. Denn mittlerweile hat der Sohn 724 444 Dollar an Preisgeldern eingespielt, 511 727 davon allein in diesem Jahr - einen Teil davon hat er erst mal in einen Flipper-Automaten und einen Mercedes-Benz investiert. Zudem sind erhebliche Werbeeinnahmen garantiert: Um die Vermarktung des Jugoslawen kümmert sich das Management-Imperium des Amerikaners Mark McCormack. Ein italienischer Agent ist derzeit damit beschäftigt, die Angebote zu sortieren - »es sind fast schon zu viele«.

Wie alle jugendlichen Tennis-Millionäre sieht auch Goran Ivanisevic in den glänzenden Geschäften den gerechten Lohn für die geleistete Kinderarbeit. So erklärt der Teenager, als stehe er nun schon fast am Ende eines erfüllten Berufslebens, beinahe schwermütig: »Ich habe in meiner Jugend hart arbeiten müssen.« Deswegen »verdiene« er es auch, »daß es mir jetzt besser geht«.

Und weil er weiß, daß viele Kollegen mit der ersten Liebe auch den ersten Karriereknick erlitten, mag er sich auf eine »richtige Freundin« gar nicht erst einlassen - »Mädchen können einen ganz komisch beeinflussen«.

Wann immer sich der bislang ausschließlich auf Tennis fixierte Jugoslawe auf artfremdes Gebiet begibt, wirken seine Äußerungen antrainiert wie sein gefürchteter Aufschlag. Mit dem Konflikt in seiner Heimat zwischen Serben und Kroaten mag er sich nicht auseinandersetzen. Für ihn gebe es »da keinen Unterschied, für mich gibt es nur Menschlichkeit«. Sein Desinteresse erklärt er schlicht damit, daß die Politiker »erst mal die Ärmel hochkrempeln und nicht bloß schwafeln« sollten.

Nur in Sachen Tennis legt sich Goran Ivanisevic definitiv fest. Von seinem Spiel behauptet er selbstbewußt: »Es besteht nur aus Stärken.« Deshalb ordnet er sich bereits unter die »fünf besten Spieler der Welt« ein, womöglich sei er aber auch »noch besser«. Bestärkt wird er darin von seinem Vater, der bei seinem Sohn »die gleichen Qualitäten wie bei McEnroe« heranreifen sieht - »er ist Künstler, Arbeiter und Gladiator«.

Nicht selten erinnern die Auftritte des Senkrechtstarters tatsächlich an das amerikanische Tennis-Ekel. Nach mißglückten Schlägen zertrümmert Ivanisevic schon mal sein Racket. Und eine Niederlage in Graz grämte ihn derart, daß er zunächst in einen Aschenbecher urinierte und anschließend seinem besorgten Vater ins Gesicht spuckte.

Beckers Manager Ion Tiriac glaubt fest an eine »ganz große Karriere« des Jugoslawen. Denn: »Er hat einen Scheiß-Charakter.«

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