Kur In Ochsenzoll
Seine Vorgänger peilten mit dem HSV noch unentwegt kosmische Ziele an. Generalmanager Dr. Peter Krohn wollte mit Fußball die Welt verändern. Cheftrainer Rudi Gutendorf schwebte mit dem Europacupsieger aus Hamburg »im siebten Fußball-Himmel«.
Für Nachfolger Arkoc Özcan, 38, ist ein Fußballspiel nichts weiter als ein Fußballspiel. An Peterchens Mondfahrt glaubte er nie.« Gewinnen ist schön, ein Unentschieden ist gut, eine Niederlage wirft uns nicht um.«
Schlichte Worte, die HSV-Spieler allerdings lange nicht mehr gehört hatten. Die 18 Athleten vom Ochsenzoll, dem HSV-Trainingspark, hatten aus der Krohn-Zeit vorwiegend Laute wie »kreativ« und »kongenial«, wie »Credo« und »Gusto« im Ohr. Ozean ist froh, daß er zwar gut deutsch spricht, aber »die großen Worte noch nicht kennt«. Er ist der erste türkische Trainer in der Bundesliga.
Die Aufstellung erfuhren die Spieler früher oft erst kurz vor dem Spiel in der Umkleidekabine. Häufig haderten Krohn und Gutendorf auch dort noch um Positionen; wer Libero und wer Verteidiger spielt, wer stürmt und wer zuguckt. Libero Manfred Kaltz: »Ein Irrenhaus.«
Özcan hatte schon nach dem ersten Spiel, 2:2 beim Tabellenführer Schalke 04, erklärt, daß im nächsten Europacup-Spiel beim RSC Anderlecht in Brüssel die gleiche Mannschaft spiele. »Spieler müssen ihren sicheren Platz haben, dürfen nicht hin und her geschoben werden.« So liegt Außenseiter 1. FC Kaiserslautern in der Bundesliga mit an der Spitze, weil er 13 Spiele in fast unveränderter Aufstellung bestritt.
»Ozeans Training ist härter, gezielter als bei Gutendorf«, verrät HSV-Spieler Horst Bertl, der gerade einen Trainingslehrgang besucht. Bertl: »Ötschi trainiert fußball-funktionell.« Vor dem Brüsseler Europacupspiel am letzten Mittwoch drillte Özcan die Mannschaft besonders auf eine Spezialität des Gegners: die Abseits-Falle.
Nachdem die Brüsseler gegen die noch von Krohn und Gutendorf betreute Mannschaft in Hamburg überraschend 2:1 gewonnen hatten, planten sie auch in Belgien, mit der Abseitsfalle die HSV-Stürmer leerlaufen zu lassen. Schon an der Mittellinie stürzten im Falle eines HSV-Angriffs alle Anderlechter nach vorne, so daß die Hamburger beim erstbesten Abspiel im Abseits standen und der Schiedsrichter wegen Regelverstoßes abpfeifen mußte.
Ozeans Rezept sah vor, nur mit zwei Sturmspitzen in vorderster Linie, doch mit zwei, drei weiteren Angreifern aus dem Mittelfeld vorzustoßen. Noch vor der Mittellinie erfolgte das letzte Abspiel. Denn in der eigenen Spielhälfte gilt die Abseitsregel nicht. Ozean: »Das lernt man auf jedem deutschen Trainerlehrgang.« -- Resultat 1:1.
Wie alle Trainer hatte Özcan von kleinauf Fußball gelernt. »Das war auf einem Sandplatz in meinem Geburtsort Uzunköprü, was zu deutsch Lange Brücke heißt.« Die Spielkameraden stellten den fangsicheren Ötschi sofort ins Tor. Letzte Torwart-Station: der HSV.
Dort erkannte Cheftrainer Kuno Klötzer schnell die Trainer-Qualitäten des Türken. »Sein Sinn für Gerechtigkeit ist genau so groß wie seine fachliche Qualifikation«, urteilte Klötzer. Obwohl die Anmeldefrist an der Sporthochschule Köln bereits verstrichen war, erlangte Klötzer für seinen Schüler einen Sonderplatz. Im Frühjahr bestand Ozean das Examen mit »gur.
Zur gleichen Zeit hatte beim HSV Generalmanager Krohn dem Cheftrainer Klötzer. der mit dem HSV das Europacupendspiel erreicht hatte, die Kündigung zugesandt, und Gutendorf« der gerade mit Tennis-Borussia Berlin aus der Bundesliga abgestiegen war, die Ernennung besorgt. Doch Gutendorf trainierte nur 119 Tage. Der HSV verlor immer häufiger.
Als Krohn Gutendorfs Entlassung forderte, gab das HSV-Präsidium zwar nach, doch im Trainingslager Ochsenzoll trennte es sich auch von dem Fußball-Laien Krohn. Schatzmeister Helmut Kallmann: »Wir hatten ja Ozean, mit dem konnten wir den Pferdewechsel mitten im Rennen um Europacup und Deutsche Meisterschaft riskieren.«
Erste Trainererfolge Ozeans verzeichnete der HSV schon bei seiner Amateur-Mannschaft: Sie liegt in ihrer Hamburger Spielklasse mit an der Spitze. Ozean setzte fast nur 19- und 20jährige Spieler ein.
Krohn und Gutendorf (Monatsgehalt 11 000 Mark) hatten sich um die jungen Spieler überhaupt nicht gekümmert, obwohl in der Bundesligamannschaft im nächsten Sommer acht Spielerverträge auslaufen, die nur noch mit Millionenbeträgen verlängert werden könnten. Ozean kann nun Ozean beliefern: mit zwei, vielleicht sogar drei Jungprofis aus der eigenen Amateur-Mannschaft.
»Ich bin dafür, daß wir mehr spielen und weniger reden.« Eine Zielsetzung, mit der Ozean im Zirkus Krohn kaum hätte sein Gehalt aufbessern können. Noch diese Woche will der HSV Ozeans 2500-Mark-Monatssalär verdreifachen.