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EISHOCKEY Langsam satt

Solidität zahlt sich aus. Die beiden einzigen schuldenfreien Bundesliga-Klubs überflügeln nun auch auf dem Eis die überschuldeten Favoriten-Klubs aus den Großstädten: Riessersee und Landshut.
aus DER SPIEGEL 46/1977

Das gab es noch nie: Dank sportlicher und finanzieller Strapazen hatte der ESV Kaufbeuren den Aufstieg in die Eishockey-Bundesliga vollbracht. Doch dann rechnete der Vorstand nüchtern nach -- und verzichtete. Jede Saison in der höchsten Eishockey-Spielklasse hätte den Klub mit einem Defizit von 250 000 Mark belastet.

Trotz eines Zuschauerrekords von 1 089 496 zahlenden Gästen und eines Höchstumsatzes von mehr als zehn Millionen Mark in der letzten Spielzeit degenerierte die Bundesliga zur Schuldenklasse und Pleiteliga. Insgesamt rutschten die zehn Klubs mit etwa sechs Millionen Mark in die roten Zahlen.

Beim Berliner SC tat sich eine Finanzlücke von ungefähr 800 000 Mark auf. Die Düsseldorfer EG geriet mit mehr als einer Million Mark ins Debet. Der Kölner EC minderte zwar seine Schuldenlast von 2,2 Millionen Mark um 500 000 Mark, sah sich jedoch wegen rückständiger Verbandsabgaben von einer Spielsperre bedroht.

Als die Experten zu Beginn der Saison 1977/78 über die Meisterschafts-Chancen fachsimpelten, nannten die meisten gleichwohl diese drei am höchsten verschuldeten Klubs, die einander seit 1970 als Meister abgelöst hatten.

»Man vergißt ganz den SC Riessersee«, hielt Rudolf Gandorfer dagegen, der Vorsitzende des EV Landshut. Tatsächlich spielten sich Riessersee, aber auch Landshut durch Siege gegen die verschuldeten Großstadt-Klubs überraschend in die Spitzengruppe -- als einzige schuldenfreie Vereine der Bundesliga.

»Viele handeln wie Lottospieler«, rügte die »Süddeutsche Zeitung« finanziell leichtfertige Eishockey-Funktionäre, »die auf sechs Richtige warten.« Mit immer höheren Angeboten konkurrierten die großen Klubs um neue Spieler. Die meisten, etwa eine Hundertschaft während der letzten zehn Jahre, warben sie den bayrischen Provinzvereinen ab.

Den spektakulärsten Kauf tätigte der Kölner EC: Er zahlte dem EV Landshut 1976 für den Nationalstürmer Erich Kühnhackl die Rekordablöse von 600 000 Mark. Kühnhackl verhalf den Kölnern zum ersten Meistertitel.

Außerdem zahlten die Klubs, wegen der Amateurregeln gewöhnlich durch Mäzene, Handgelder von 100 000 Mark und mehr, spendierten ihren Stars teure Extras wie Wohnungen oder Wagen (bevorzugte Marken: Porsche, Mercedes, BMW). Einige Stars schleusten sie in gut dotierte Stellungen. Kühnhackl läßt sich zum Computer-Fachmann ausbilden. Der Berliner SC lancierte die meisten seiner Spieler auf die Lohnliste der Stadionverwaltungs-Gesellschaft.

So vereinnahmten erfolgreiche Amateure bis zu 200 000 Mark jährlich, mehr als ihre Arbeitgeber auf die Dauer verkrafteten, mehr auch als die Steuer zuläßt. Denn Spielprämien kassierten die Stars oft netto. Aber die Klubs hatten es versäumt, dafür Steuern abzuführen. Deshalb forderten Finanzämter Steuer-Nachzahlungen, von der Düsseldorfer EG fast eine Million Mark. Die Deutsche Sporthilfe strich unlängst allen Eishockeyspielern die Olympia-Unterstützung.

Doch während die führenden Bundesliga-Klubs sich durch überzogene Zahlungen an Stars gegenseitig dem Konkurs entgegen konkurrierten, bewies das Management in Riessersee und Landshut, daß sich Spitzenleistung auch bescheidener finanzieren läßt.

Beide stellten langfristig Pläne für ihre sportliche und finanzielle Entwicklung auf. Sie legten einen realistischen Schnitt von 5000 Zuschauern für die 23 Heimspiele zugrunde und errechneten daraus ein Einnahme-Soll von 1,15 Millionen Mark. Am vorletzten Wochenende besuchten 8500 Fans in Garmisch das Heimspiel gegen Berlin. Riessersee siegte 5:3.

»Wir sind es satt, immer nur Spieler für westdeutsche Klubs auszubilden«, sagte Landshut-Präsident Gandorfer und nahm wie Riessersee nur noch Junioren in die Bundesliga-Mannschaft auf, die sich auf vier Jahre verpflichteten. Sollten großstädtische Versprechungen sie dennoch anlocken, droht ihnen eine Sperre von 18 Monaten.

»Disziplin ist alles im Mannschaftssport«, befahl Riessersees tschechischer Trainer Josef Golonka, vormals Spieler in der Weltmeister-Equipe der CSSR. Golonka und Klubfunktionäre durchforsten abends Garmisch-Partenkirchner Lokale nach ausgeflippten Spielern. Wer zu spät zum Zug kommt, wenn ein Auswärtsspiel ansteht, muß pro Minute 20 Mark Strafe zahlen. Sogar wer die vorgeschriebene Klub-Montur auf Reisen nicht trägt, entrichtet Bußgeld.

»Diese Mannschaft wuchs nicht durch Gagen, sondern durch Gehorsam«, lobte Bundestrainer Hans Rampf. Künftig werden einige Riesserseer auch für Deutschland spielen. Sogar der kanadische Verteidiger Bob Murray soll eingebürgert werden, um für die Bundesrepublik Tore zu schießen.

Aufstrebende Spieler finden es zwar in Bayern eine Nummer kleiner als in Köln oder Berlin, aber auch sicherer. Einige Großstadtklubs waren schon in Zahlungsrückstand geraten. Sogar der abtrünnige Kühnhackl kündigte an, nach Vertragserfüllung in Köln »gehe ich zurück nach Landshut, das ist meine wahre Heimat«.

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