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HONVED Laßt Strohwitwen sprechen

aus DER SPIEGEL 7/1957

Mit erkennbarer Befriedigung nahmen die Funktionäre des Internationalen Fußballverbandes (FIFA) am vorletzten Wochenende zur Kenntnis, daß die Meistermannschaft des Budapester Fußballklubs »Honved« wenige Stunden zuvor beschlossen hatte, ihre eigenmächtige Südamerika-Tournee abzubrechen und am 15. Februar nach Europa zurückzukehren.

»Das bedeutet das Ende unserer Elf«, maulte Honved-Trainer Bela Guttmann in Rio de Janeiro über den Beschluß seiner Mannschaft. Die FIFA-Leute hingegen hoffen, daß nun jene Scherereien ein Ende haben werden, die das Honved-Team ihnen einbrockte, seit es Ende vorigen Jahres - nach der Restalinisierung Ungarns - begonnen hatte, gegen den Willen des Ungarischen Fußballverbandes gastspielend durch die freie Welt zu reisen.

Fürs erste jedenfalls haben die Honved-Globetrotter von Rio aus die beiden Zeitbomben entschärft, die sie dem Internationalen Fußballverband zum neuen Jahr gelegt hatten und die den Verband zu sprengen drohten. Hätte Honved nicht jetzt die Tournee abgeblasen, so wäre die FIFA gezwungen gewesen, entweder die Budapester Proteste gegen die westliche Tournee der Ausreißer zu ignorieren oder deren südamerikanische Partner wegen Verstoßes gegen die FIFA-Satzung von jedwedem Spielbetrieb zu suspendieren. Dann wäre wahrscheinlich entweder

- der Ungarische Fußballverband aus der FIFA ausgetreten, und zweifellos wären die Fußballverbände der übrigen Ostblock-Länder diesem Beispiel gefolgt, oder

- die südamerikanischen Gastgeber Honveds wären aus der FIFA ausgetreten, denen es dann zweifellos andere Fußballverbände ihres Erdteils nachgetan hätten, zumal Lateinamerika schon geraume Zeit der FIFA vorwirft, sie vertrete nur europäische Interessen.

Angesichts dieses Dilemmas und der westlichen Pro-Honved-Stimmung hatte der Internationale Fußballverband zunächst möglichst wenig unternommen. Schon als FIFA-Sekretär Kurt Gassmann (Schweiz) lediglich durchblicken ließ, die FIFA werde wohl - wie es die Satzung gebiete - darauf dringen müssen, daß die vom FIFA-Mitglied Ungarn über Honved verhängte Sperre von jedem FIFAMitglied respektiert wird, fiel von Kolumbien bis Norwegen die Presse über den Internationalen Fußballverband her: Tenor der Pressekritik: Wenn die FIFA jede menschliche Einstellung vermissen läßt und sich hinter Satzungsparagraphen verkriecht, die sich aufgrund der gegenwärtigen Lage in Ungarn nicht anwenden lassen, so ist das entweder politische Idiotie oder jämmerliche Feigheit.

Von Osten her unterkühlte Radio Budapest den Kalten Fußball-Krieg. Zunächst lockte Ungarns Fußballboß Marcel Nagy die Honved-Stars vergeblich mit materiellen Angeboten. Dann forderte er die disziplinarische Bestrafung der südamerikanischen Gastgeber Honveds und beschimpfte die Elf als »Bastard-Mannschaft«. Die so Geschmähten ließen sich nicht beirren und absolvierten in Südamerika ihre Spiele.

Weil weder Lockungen, Drohungen und Beschimpfungen aus der Heimat noch die eiertänzerischen Sprüche der FIFA das frühere Paradepferd des ungarischen Sports in den volksdemokratischen Stall zurückzubringen vermochten, unternahm die

Kádár-Regierung eine mehr individuell ausgerichtete Repatriierungs-Aktion und bediente sich dabei statt der groben Vokabeln des Fußball-Chefs einer gefühlvolleren Sprache.

Die Regierung trommelte aus ganz Ungarn Ehefrauen der Honved-Spieler zusammen, meldete ein Ferngespräch nach Rio an und drückte den Strohwitwen der Reihe nach den Hörer in die Hand, so den Ehefrauen der Honved-Fußballer Bozsik, Dudas, Rákosi und Banyai. Die Frauen waren seinerzeit mit ins Ausland geflüchtet, aber inzwischen nach Ungarn zurückgekehrt.

Die derart massiv über den Atlantik gehauchte Sehnsucht der Strohwitwen nach ihren Männern, die einzeln an den Apparat zitiert wurden, gipfelte jeweils in der Beschwörung: »Nun sei doch lieb und komm' nach Haus!«

Wie viele Honved-Kämpen am Telephon weich geworden sind, wollte Trainer Béla Guttmann vorerst nicht verraten. Mannschaftskapitän Puskas und Stürmer Kocsis zum Beispiel waren nicht in Gefahr. Deren Ehefrauen hielten sich noch im westlichen Ausland auf und waren für die Budapester Regisseure nicht greifbar.

Die Mehrheit des Honved-Teams aber bekam nach jener Telephon-Aktion prompt Heimweh und beschloß spontan, am 15. Februar nach Europa zurückzufliegen, vorerst nach Wien, wo sich die Lage in der Heimat am besten nochmals übersehen lasse, bevor man sich endgültig zur Rückkehr nach Ungarn entschließe.

Inzwischen hat der Ungarische Fußballverband die Honved-Mannschaft für aufgelöst erklärt und damit versucht, sie ebenso gewaltsam zu liquidieren, wie sie vor sieben Jahren gegründet wurde.

Am 23. Dezember 1949 erhielt der renommierte Budapester Fußballklub »Kispest« den volksdemokratischen Befehl, seinen Namen in »Honved« zu ändern und sich fortan als Klub der ungarischen Armee zu betrachten.

Zielbewußt bauten Ungarns kommunistische Sportführer den Klub durch Zuweisung talentierter Spieler aus anderen Vereinen zu einer Propaganda-Mannschaft aus, die stets den Kern der Nationalmannschaft stellte. Vom alten Kispest-Stamm sind nur noch Puskas, Bozsik, Banyai und Rákosi übriggeblieben. Wie viele Honved -Spieler in der künftigen ungarischen National-Elf mitmachen werden, wird sich herausstellen, wenn die Mannschaft in Wien nach Ost und West auseinandergeht.

Budapest scheint zu hoffen, daß auch Mannschaftskapitän Puskas sich noch für den Osten entscheidet. Wie alle Honved-Stars hat Puskas im sozialistischen Ungarn jahrelang nach kapitalistischer Manier verdient und dabei ein Vermögen von einigen hunderttausend Mark zusammengetragen. Der ungarischen Presse hat Puskas unlängst entnehmen können, daß er jährlich über zehn Prozent seines Vermögens verfügen kann, falls er bis zum 31. März nach Budapest zurückkehrt.

Honved-Kapitän Puskas

»Nun seid doch lieb...

Honved-Läufer Bozsik

... und kommt nach Haus!«

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