Schalkes E-Sport-Profi "Forg1ven" "Früher war Gaming mein Hobby, heute ist es mein Job"

Konstantinos-Napoleon Tzortziou alias "Forg1ven"
Foto:Schalke 04
Konstantinos-Napoleon Tzortziou, 27 Jahre alt, Spielername "Forg1ven", gehört zur ersten Generation von Spielern der europäischen League-of-Legends-Szene. Als er 2016 mit dem Team H2k-Gaming im Halbfinale der Weltmeisterschaften stand, machte Schalke 04 gerade seine ersten Gehversuche in der europäischen Liga.
Die Königsblauen haben sich mittlerweile in der höchsten europäischen Spielklasse, der League European Championship (LEC) etabliert, hätten es fast zur Weltmeisterschaft geschafft. Tzortziou war ab 2017 nur noch in kurzzeitigen Engagements für verschiedene Teams aktiv, darunter auch griechische Organisationen. 2018 musste er seine Karriere für den Dienst im griechischen Militär unterbrechen. Zum Start der neuen Saison gibt “Forg1ven” sein Comeback und soll helfen, Schalke dauerhaft als eines der europäischen Topteams zu etablieren.
SPIEGEL: Herr Tzortziou, Sie haben lange in Gaming-Häusern gelebt. Wie ist es, in eine Kaserne umzuziehen?
Tzortziou: In dem Moment, in dem ich die Kaserne betreten habe, hat sich plötzlich mein komplettes Leben verändert. Ich habe meine Zeit in Nevrokopi verbracht, im Norden Griechenlands, an der bulgarischen Grenze. Dort wird es im Winter extrem kalt. Ich musste zum ersten Mal in meinem Leben eine Waffe benutzen. Ein merkwürdiges Gefühl.
SPIEGEL: Was nehmen Sie aus dieser Zeit mit?
Tzortziou: Ich bin noch disziplinierter geworden. Du musst lernen, Befehlen zu gehorchen und sie nicht zu hinterfragen. Ich habe viel gelernt, war vor ganz neue Aufgaben gestellt. Du musst dich mit vielen Dingen arrangieren. Ich habe ein größeres Bewusstsein dafür entwickelt, wie unterschiedlich Menschen sein können, denn du triffst so viele verschiedene Charaktere.
Was part/signing for the Christmas Army Chorus @ Kato.Neurokopi, Greece. The coldest place in our country, has peaked -28C at times! Super fun to do carolling again since youth! pic.twitter.com/QBWzJiphWN
— FORG1VEN (@FORG1VENGRE) December 21, 2018
SPIEGEL: Wie in einem Gaming-Haus?
Tzortziou: Ein Gaming-Haus lässt sich nicht mit einer Kaserne vergleichen. Die klassischen Gaming-Häuser, wie sie viele noch aus frühen E-Sport-Zeiten vor Augen haben, gibt es zum Glück immer seltener. Eine Gemeinsamkeit war jedoch, dass auch damals fünf oder sechs Teenager in eine Wohnung gesteckt wurden und sie miteinander klarkommen mussten. Es war ihr Lebensmittelpunkt, sie haben dort gelebt und trainiert. E-Sportler kommen aus unterschiedlichen Ländern, haben unterschiedliche soziale Hintergründe. Sie sind unterschiedlich aufgewachsen und leben plötzlich entfernt von ihrer Familie, von ihren Freunden, von ihrer Freundin. Dem wurde lange zu wenig Rechnung getragen und viele haben darunter gelitten.
SPIEGEL: Wie leben Spieler heute?
Tzortziou: Bei Schalke 04 haben wir unsere eigenen Wohnungen und kommen zum Trainieren zusammen. Es ist wichtig, nicht an dem Ort wohnen zu müssen, der in deinem Gehirn als Arbeitsplatz abgespeichert ist. Du kannst ein eigenständiges Leben führen, die Stadt (Das League-of-Legends-Team ist in Berlin ansässig, Anm. d. Red) erkunden und eine Beziehung führen. Du kannst dich als Mensch stärker weiterentwickeln.
SPIEGEL: Was können Ihre neuen Teamkollegen von Ihnen als Mensch erwarten?
Tzortziou: Früher war ich wie ein Bulldozer, habe mich wenig um die Menschen um mich herum geschert. Das ist nun anders. Ich möchte nicht nur als Spieler jemand sein, auf den man sich verlassen kann. Ich habe meinem Team am ersten Tag gesagt, dass ich für sie wie ein großer Bruder sein möchte. Dass ich ihnen bei Fragen und Problemen mit meiner Erfahrung helfen möchte.

Der Arbeitsplatz der Schalker League-of-Legends-Profis
Foto: Schalke 04SPIEGEL: 2016 standen Sie zuletzt auf der großen League-of-Legends-Bühne, 2020 kehren Sie zurück. Was für einen Empfang erwarten Sie?
Tzortziou: Aus meiner Generation sind nur noch wenige Spieler übrig, die nächste hat übernommen. Das Interesse wird groß sein. Einige werden mich scheitern sehen wollen. Ich habe mir damals einen Ruf als einer der besten Spieler überhaupt erarbeitet und ich denke, das bin ich noch immer.
SPIEGEL: Haben Sie keine Angst, dass Sie scheitern könnten?
Tzortziou: Nein. Ich würde den Schritt nicht wagen, wenn ich nicht überzeugt wäre, noch immer zu den besten zu gehören. Schalke ist dabei genau der richtige Ort für mich: ein Team, das seine Erfolge gefeiert hat und und dabei großen Wert darauf legt, Spieler zu entwickeln. Ich denke, wir werden eine starke Saison spielen. Als Fußballfan hoffe ich auch auf die Unterstützung aller Schalker Fans.
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SPIEGEL: Würden Sie jungen Menschen Ihren Job weiterempfehlen?
Tzortziou: Ich würde niemandem dazu raten, sich darauf zu versteifen, weil man es nicht erzwingen kann, Profi zu werden. Du opferst über Jahre deine gesamte Freizeit, setzt deine Zukunft auf eine Karte und stehst am Ende womöglich mit leeren Händen da. Schule, eine Ausbildung oder ein Studium sollten immer Priorität haben. Obwohl es dabei auch stark darauf ankommt, wo du herkommst.
SPIEGEL: Wie meinen Sie das?
Tzortziou: Wenn du beispielsweise in Frankreich, Deutschland oder Skandinavien aufwächst, hast du es deutlich leichter, als wenn du im Baltikum oder auf dem Balkan groß wirst. Wenn du in Dänemark geboren bist und Profi werden willst, kannst du dir die Zeit nehmen und wenn es nicht klappt, machst du mit der Schule oder der Universität weiter. Das System fängt dich auf. Wenn du das in Griechenland probierst und scheiterst, hast du ein Problem.
SPIEGEL: Trotzdem kommen immer mehr junge Spieler aus Osteuropa in die europäische Liga. Wie erklären sie sich diesen Trend?
Tzortziou: Es kann auch ein Antrieb sein, in einer ökonomisch schwächeren Region aufzuwachsen. Die Bedingungen sind dort schwieriger, aber die Perspektive E-Sport-Profi zu werden, kann ein Ausweg sein.
SPIEGEL: Wie lange sind Sie noch bereit, Opfer zu bringen, um auf dem höchsten Niveau zu spielen?
Tzortziou: Früher war Gaming mein Hobby, heute ist es mein Job. Ich verdiene damit mein Geld und unterstütze meine Familie. Ich mache das so lange, wie ich körperlich dazu in der Lage und motiviert genug bin. Das Spiel selbst interessiert mich nicht mehr so sehr, ich lebe für den Wettbewerb. Mit 17 Jahren war ich noch verrückt nach dem Spiel. Jetzt würde ich keine Verabredung zum Kaffee mehr dafür absagen.