Nachruf auf Jockey-Legende Lester Piggott Sie nannten ihn Jesus

Lester Piggott hat im Galoppsport alles gewonnen. Die meisten seiner Trophäen ließ er einst versteigern, angeblich weil er keinen Platz mehr dafür hatte. Auf seinen Pferden schien er zu schweben, im Umgang mit Menschen tat er sich schwer.
Lester Piggott bei einem Rennen im Jahr 1980

Lester Piggott bei einem Rennen im Jahr 1980

Foto: imago sportfotodienst / imago images/Colorsport

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Das hagere Gesicht, die eingefallenen Wangen, darüber der Helm, der für diesen kleinen Mann immer ein bisschen zu groß geraten wirkte – so sah er 1954 aus, und so sah er 1992 aus. Lester Piggott schien alterslos zu sein, wenn er auf dem Pferd saß, in seiner typisch hohen Haltung, kurze Zügel, eine Majestät auf der Galopprennbahn.

Lester Piggott, am Sonntag im Alter von 86 Jahren gestorben, war Jockey, schon falsch, er war der Jockey. Fast 50 Jahre lang saß er bei Rennen auf dem Pferderücken, unfassbare 25.000 Ritte haben die Statistiker am Ende seiner Laufbahn gezählt.

Piggott hat alles gewonnen, er hat im Grunde alle berühmten Pferde geritten, er war der Jockey auf dem Vollblüter Nijinsky II, dem Hengst, der als Zweitnamen den Namen Wunderpferd trug. Piggott und Nijinsky, das war das Traumpaar im Turf. Zu ihrer besten Zeit wirkten sie wie miteinander verwachsen.

In England alles gewonnen

Der berühmteste Jockey und das berühmteste Pferd, gemeinsam haben sie alle wichtigen Rennen im britischen Raum gewonnen, das St. Leger, das Epsom Derby, das Irish Derby, die King George VI and Queen Elizabeth Stakes in Ascot.

Piggott auf Madam Gay 1981

Piggott auf Madam Gay 1981

Foto: - / AFP

Beide schienen über die Rennbahn zu schweben, nur beim Prix de l'Arc de Triomphe in Longchamp unterlag das Paar 1970, auf dem Höhepunkt ihres gemeinsamen Schaffens, dem Rivalen Sassafras mit Yves Saint-Martin, das war eine Sensation. Piggott hielt sich mit drei Siegen mit anderen Pferden in Paris schadlos.

Die Reiterei war ihm in die Wiege gelegt, sein Großvater Ernest hatte dreimal beim berühmt-berüchtigten Grand National gesiegt, sein Vater war Reiter, seine Mutter kam aus einer Jockeyfamilie. Was blieb ihm übrig, als diese Reihe fortzusetzen?

Neun Piggott-Statuen

Er tat es und wurde der Größte. Es gibt heutzutage allein neun Rennbahnen in Großbritannien, auf denen Statuen von Piggott aufgestellt sind. Sein erstes Rennen gewann er, da war er zwölf Jahre alt. Der erste Sieg von am Ende 4493, allein in England. 4493! Als 14-Jähriger hatte er schon 52 Siege aufzubieten.

Ein Sonderling war er, das sagen alle, die ihn kannten. Schwierig im Umgang, eigenwillig, egoistisch. In Deauville riss er einmal seinem Konkurrenten Alain Lequeux mitten im Rennen die Reitpeitsche aus der Hand, weil er seine eigene zuvor verloren hatte. Disqualifikationen sammelte er wie andere Leute Briefmarken, es war ihm egal, er war Lester Piggott. Irgendwann konnte er sich die Rennen aussuchen, an denen er teilzunehmen gedachte, ein Luxus in der Branche.

Auch sein Geiz war legendär

Fast so legendär wie seine Auftritte auf der Rennbahn war sein Geiz, es gibt zahllose Geschichten, die Piggotts obsessives Verhältnis zum Geld beschreiben. Obwohl er Millionen verdiente, knauserte er, wenn es darum ging, Geld fürs Essen auszugeben.

Standesgemäß gekleidet in Ascot 2006

Standesgemäß gekleidet in Ascot 2006

Foto: imago sportfotodienst / imago images/Action Plus

Dem Staat enthielt er Steuern vor und musste deswegen für ein Jahr ins Gefängnis. Was ihn den Titel »Member of the British Empire« kostete, der ihm, zuvor von der Queen verliehen, wieder entzogen wurde.

Wenn er auf dem Pferderücken saß, fühlte er sich am wohlsten. Mit 50 hatte er seine Karriere Mitte der Achtzigerjahre schon einmal beendet, um sich auf den Trainerjob zu verlegen. Aber weil er dort nicht so erfolgsverwöhnt war wie im Sattel, kehrte er noch einmal zurück – und gewann als 54-Jähriger noch die renommierte Breeder's Cup Mile in den USA.

Selbst als er 1992 vom Pferd fiel und sich dabei Schlüsselbein und Rippen brach, kehrte er noch einmal in den Sattel zurück. Seine Ehefrau Susan hatte das vorher schon gewusst: »Ich glaube nicht, dass er nun endlich aufhört. Er wird davon ausgehen, dass er ja noch einigermaßen gut davongekommen ist.« So war es.

Noch im Jahr 2000 war er vereinzelt bei Rennen zu bewundern, beim Ex-Champion-Rennen in Köln war er noch einmal dabei, da war er 65.

Drei Siege im Deutschen Derby

In Deutschland war er ohnehin regelmäßig zu Gast, 1957 siegte er im Deutschen Derby auf Orsini, 1963 mit Fanfar und 1967 mit Luciano. Er gewann den Großen Preis der Diana in Düsseldorf, den Großen Preis von Europa in Weidenpesch, Sieg nach Sieg. Es war immer Piggotts große Gabe, sich in unterschiedliche Pferden geradezu hineinzufühlen.

Der US-Jockey Steve Couthen hat einmal gesagt: »Lester war bei uns bekannt als JC« – Jesus Christus. »Er konnte über Wasser laufen.«

Piggott 1981

Piggott 1981

Foto: imago sportfotodienst

Dabei war er körperlich alles andere als fürs Jockey-Sein gemacht. Seit seiner Kindheit war er fast taub. Mit 1,73 Meter war er zudem zwar klein, aber für die Verhältnisse im Galopprennsport mit einer überdurchschnittlichen Körpergröße ausgestattet, nicht ideal im Sattel, wo die Jockeys möglichst leicht zu sein haben.

Es hieß, Piggott habe daher appetithemmende Zigaretten geraucht und sich den Darm verkleinern lassen, um trotz seiner 1,73 Meter das Gewicht von 53 Kilogramm zu halten.

1998 ließ er bei Sothebys die meisten seiner Trophäen versteigern. Piggott begründete dies damit, keinen Platz mehr für sie zu haben. Es waren einfach zu viele geworden.

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