Lieber schwarz
Schon zehn Minuten vor dem Hauptrennen glaubte Hanno Trömmle* am Ziel zu sein. In den zehn Wochen vor dem Oktobersonntag, an dem auf der Kölner Galopprennbahn Weidenpesch der Preis von Europa gelaufen wurde, hatte er mehr als 150 000 Mark umgesetzt -- als wilder Buchmacher. Tatorte: die Rennbahnen in Frankfurt, Baden-Baden, Düsseldorf und Köln.
Aber dann trat doch noch ein Mann an ihn heran. Leutselig zückte Trömmle sein Notizbuch und fragte: »Na, wollen Sie noch den Sieger haben?« Der Kunde entpuppte sich als Kriminalbeamter. Neben dem Wettbuch fand der Fahnder noch die Tageskasse von rund 20 000 Mark. »Ich wollte mir ein Rennpferd kaufen«, verteidigte er sich.
Doch sein Wettbuch entlarvte ihn. Es enthielt neben der peinlich genau geschriebenen Bilanz des gelernten Buchhalters etwa ein Dutzend Namen. Einige davon als Buchmacher, Jockeis und Stallburschen bekannt. Zudem standen in dem Buch auch noch eindeutige Wetteintragungen wie »100 gegen Nietzsche« oder »Alles auf Andrang«. Nietzsche und Andrang sind Pferde, die tags zuvor gelaufen waren. Gegen Trömmle läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Renn-, Wett- und Lotteriegesetz. Auch seine Kunden werden mit Anklagen rechnen müssen.
Trotzdem ist der Mann aus Offenbach noch gut weggekommen. In Frankreich ermittelt die Polizei gegen die Killer einer Wettmafia. Eine Serie angeblicher Selbstmorde erregte Verdacht. In der Villa eines Mannes, der vorgab, nur Taxifahrer zu sein, fand die Polizei Verlust-Wettscheine im Wert von 160 000 Franc. Der Hausherr wurde erschossen, bevor er zur Vernehmung erscheinen konnte.
.Jean-Luc Durry, mit 18 Jahren ein erfolgreicher Jockei, dann Strichjunge, soll ebenfalls Selbstmord begangen haben: Kopfschuß. Und schließlich wurde unlängst Patrice des Moutis, genannt »Monsieur X«, im Vorgarten seines Hauses tot aufgefunden, erschossen mit einer Jagdflinte. Seine Frau gab an: Selbstmord. Patrice des Moutis, wegen Wettschwindels vorbestraft, galt als Mathematik-Genie und trat in Varietés auf. Nebenbei hatte er sich auf die sogenannte Dreier-Wette spezialisiert, bei der die drei ersten Pferde in richtiger Reihenfolge getippt werden müssen. Die Polizei vermutet, daß er schon seit zehn Jahren von einer Wettfirma erpreßt worden ist, die gelegentlich Jockeis bestochen hat, damit die Tips von Patrice auch tatsächlich eintrafen.
Das Direktorium für Vollblutzucht und Rennen in Köln mutmaßt, daß in der Bundesrepublik neben 110 konzessionierten Buchmachern, die in den größten Städten Wettannahmestellen unterhalten, mindestens 60 wilde Buchmacher arbeiten, die auch vor Manipulation nicht zurückschrecken und vor allem die 15 Prozent Steuerabgaben nicht entrichten. Besonders seit Beginn der Rezession stieg nicht nur der legale Totalisatorumsatz von 80 auf mehr als 100 Millionen Mark jährlich an; die wilden Buchmacher partizipierten mindestens fünfmal soviel an der steigenden Wettlust.
Das konzessionierte Buchmachergewerbe hatte in Deutschland nach der Kaiserkrönung 1871 Einstand gefeiert, erschien aber besonders der Kaiserin Augusta-Viktoria derart suspekt, daß 1882 durch Urteil des Reichsgerichts der Totalisator auf Rennplätzen ebenso wie Wettbüros als Institutionen verbotenen Glücksspiels geschlossen wurden. Doch der Pferderennsport nach Gutsherrenart kümmerte nun sichtlich dahin. Die Tribünen auf den Rennplätzen blieben leer, ohne Wetten gewann das Volk dem Rennsport der Adeligen gar keinen Geschmack mehr ab. Flugs durften von 1886 an -- mit Steueraufschlag -- die mechanischen Wettmaschinen wieder tuckern. Aber erst 1922 disziplinierte die Regierung mit einem Wettgesetz die Arbeit der Buchmacher,
Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.
denn die meisten bevorzugten das wilde Wettgeschäft. um den Abgaben und der Aufsicht zu entgehen.
Nach englischem Vorbild nahmen deutsche Buchmacher Wetten -- legal -nicht nur zu den offiziellen Totalisatorquoten der Rennvereine an, wovon etwa 80 Prozent als Gewinn ausgeschüttet werden, sondern schrieben laut Branchen-Slogan »runde Bücher«. So durfte privat nicht nur auf den Sieger und Zweiten, auf Einlauf, Platz und Dreierwette getippt werden, sondern man konnte auch gegen hoch gewettete Pferde Wetten abschließen. Die Wettkurse versuchen die Buchmacher ebenfalls privat so festzulegen, daß entweder für Buchmacher oder Wetter stets noch ein Zugewinn neben den offiziellen Gewinnquoten möglich ist.
Anders aber als in England
Auch die Konzessionierung von Buchmachern erfolgt durch Gewerbeämter gelegentlich lax und oftmals sogar entgegen schwerwiegenden Bedenken anderer Buchmacher oder dem Direktorium in Köln. So durfte ein Rechtsanwalt aus Rheydt, der schon als Referendar nachweislich Wettschwindel begangen hatte, eine Wettannahme eröffnen. Ebenfalls in Düsseldorf an der Graf-Adolf-Straße befindet sich noch heute in einem Restaurant der Treffpunkt der wilden Buchmacher.
Der Stuttgarter Buchmacher Nüßle, zuvor Leiter eines Ecarté-Clubs, der wegen verbotener Spiele aller Art auf Gerichtsbeschluß geschlossen worden war, durfte zwar eine offizielle Wettannahme einrichten, wickelte aber den Hauptteil seiner Geschäfte schwarz ab und kassierte binnen fünf Jahren 1,5 Millionen Mark unversteuert, 1966, inzwischen deswegen angeklagt, zahlte er lediglich 10 000 Mark Strafe.
»Kein reeller Buchmacher wird auf die Dauer ähnlichem Schicksal entgehen können und das steuerliche Aufgeld als Bestrafung empfinden«, klagte der inzwischen verstorbene Senior der Buchmacher, Hans von Herder, ein Nachfahr von Johann Gottfried von Herder. Mit Memoranden an Bundesminister und in Prozessen versuchte er gegen wilde Buchmacher und gegen ungerechtfertigte Besteuerung der reellen Buchmacher anzugehen -- vergebens. Nach Schätzung von Herders setzten wilde Buchmacher rund zwei Milliarden Mark jährlich um. Gewiß aber so viel mehr, daß in den letzten drei Jahren 75 Wettannahmen schlossen und die Buchmacher lieber illegal weiterarbeiteten.
»Die Pferderennwette ist ein Spiel für Individualisten«, schrieb der Gelsenkirchen-Horster-Rennverein arglos in einer Werbebroschüre. »Man kann auch auf einen Schimmel wetten; dann kann man sein Geld im Feld besser verfolgen.« Schwarze Buchmacher sind schwerer zu verfolgen.
»Die Korruptionsgefahr ist groß«, räumt auch das Direktorium für Vollblutzucht und Rennen ein. »Es ist fast unmöglich, in solchen Fällen Beweise zu erbringen.« Der Fall des Hanno Trömmle erforderte zwei Jahre andauernde Beobachtungen. In der Offenbacher Wettannahme Hensel, so gab Trömmle an, habe er zunächst als Schreiber von Wettscheinen gearbeitet.
»Da steckt doch mehr drin«, meinte eines Tages der Buchmacher, gegen den jetzt auch die Staatsanwaltschaft ermittelt. Er schickte Trömmle auf die Rennbahn in Frankfurt. Das Geschäft ließ sich äußerst gut an. In Baden-Baden, wo jährlich die höchsten Wettumsätze aller 15 bundesdeutschen Galopprennbahnen verzeichnet werden, und in Düsseldorf vergrößerte Trömmle seine Stammkundschaft.
1974 tauchte Trömmle erstmals auch in Köln zum teuersten Rennen in Deutschland auf, den Preis von Europa (Gewinnsumme: 400 000 Mark). Zwar sind Schiebungen in großen Rennen ausgeschlossen, weil die Gewinnprämien etwa für die Besitzer und Reiter zu groß sind. Doch dafür ist hier auch der Wettumsatz am größten. Als Trömmle in diesem Jahr wieder zum Großen Preis nach Köln kam, benachrichtigte die Turfbehörde die Kripo.
»In Frankfurt kennen die Herren ja schon die Kriminalbeamten und setzen sich rechtzeitig ab«, erklärte ein Sprecher des Direktoriums. Trömmles Kundenliste soll jetzt weiterhelfen.