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GASTLÄNDER Medaillen für Medaillen

aus DER SPIEGEL 42/1964

Komponist Werner Egk ("Abraxas«, »Die Verlobung in San Domingo") hat bei den Olympischen Spielen in Tokio keine Chance mehr. 1936, bei den Olympischen Spielen in Berlin, gewann der Deutsche eine olympische Goldmedaille in der Kategorie »Kompositionen für Orchester«. Doch die Japaner verzichten auf Tonsetzer-Spiele und olympische Kunstwettbewerbe überhaupt.

Statt auf die Tuschpinsel ihrer Aquarellmaler oder das Notenreservoir der Komponisten verlassen sich Japans Medaillen-Strategen auf die Kunstgriffe ihrer Judokas und die Geschicklichkeit ihrer Volleyball-Spielerinnen.

Olympia-Medaillen für Judo und Volleyball werden in Tokio erstmals verteilt. Beide Sportarten verdanken ihr Olympia-Debüt vor allem dem Umstand, daß sie dem Gastgeberland Japan mit Sicherheit zusätzliche Medaillen einbringen werden.

Schon mehrfach hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) Olympia -Ländern ähnliche Gastgeschenke zugestanden. Die Folge: Das olympische Programm wurde immer weiter aufgebläht. In Tokio gibt es 163 Wettbewerbe. Mittlerweile gehören schon 18 Sportarten zum olympischen Pflicht -Programm, das in jedem Falle durchgeführt werden muß**.

Weitere Sportarten dürfen die jeweiligen Gastgeber vorschlagen. Überdies steht es ihnen frei, Kunstwettbewerbe für Malerei, Graphik, Medaillen und Komposition auszuschreiben.

Gerade Deutschlands Kunst-Olympioniken behaupteten sich mit Glanz neben den vorwiegend auf Bizeps trainierten Olympia-Kämpfern. Von 1912 bis 1936 gewannen frei schaffende deutsche Künstler ebenso viele (acht) Goldmedaillen wie die deutschen Ringer und Gewichtheber mit ihren Muskelkünsten von 1896 bis jetzt zusammengenommen.

Vor allem 1936 trafen die reichsdeutschen Sport-Künstler den Geschmack der internationalen Jury-Mitglieder genau: Sie gewannen fünf von neun ausgesetzten Goldmedaillen. Eine davon erhielt Architektur-Professor Werner March für den Entwurf des Berliner Reichssportfeldes mit dem Olympia-Stadion. Für des Führers Leib -Plastiker Arno Breker fiel eine Silbermedaille ab, mit der seine Rundplastik »Zehnkämpfer« ausgezeichnet wurde. Schon 1932 hatte Paul Bauer den olympischen Literaturpreis für sein Buch »Am Kangehenzongha«, Untertitel: »Kampf um den Himalaja«, bekommen.

Für eine praktische Vorstufe des Alpinismus, das Tauklettern, gab es in der Frühzeit der modernen Olympischen Spiele ebenfalls Medaillen. Zwar wurden derlei Nebenäste vom Olympiabaum abgeschlagen, doch um so prächtiger gediehen die übrigen Zweige. Abgeschafft wurden ganze Sportarten, wie Bogenschießen, Polo, Rugby, Golf und Tennis (bis 1924), nachdem die Tennis -Spieler in die Bannmeile des Berufssports geraten waren.

Vom Ur-Programm gestrichen wurden zudem Wettbewerbe wie Tauziehen, Schwimmen für Matrosen, Wett-Tauchen, Pferde-Weitsprung (olympischer Rekord: 6,10 Meter) und Hochsprung aus dem Stand (olympischer Rekord: 1,65 Meter). Statt dessen genehmigten die internationalen Olympier in den Pflichtsportarten olympische Schürfrechte für immer neue Wettbewerbe. Im Schießen wurden bis zu 81 Medaillen verteilt, die Leichtathleten erwartet in Tokio ein Regen von 108 Medaillen.

Immer heftiger wurde das Gewoge, als sich die Frauen auf die Olympia -Bühne schwangen. Der französische Baron Pierre de Coubertin, der 1896 die Olympischen Spiele wiederbelebt hatte, trachtete zwar nach antikem Vorbild danach, Frauen auszuschließen. Doch das IOC kapitulierte 1928 vor der Drohung einer separaten Damen-Leichtathletiade und ließ für weibliche Olympioniken Plaketten nachprägen.

Vor allem aus einem Hintergedanken wurde die Medaillen-Presse immer heftiger betätigt: Die Gastländer wollten ihrer Olympia-Mannschaft zusätzlich Medaillen zuschanzen.

So führten die reichsdeutschen Sportführer 1936 Handball als 20. Sportart für das Berliner Olympia-Programm ein. Es war das erste und einzige olympische Handball-Turnier. Der Sieg war den Deutschen von vornherein sicher. Die Italiener erweiterten 1960 ihr Olympia -Programm in Rom um ein gesondertes Mannschafts-Straßenfahren der Radler. Sie gewannen - wie geplant - eine weitere Goldmedaille.

Zusätzliche Gold-Beute werden auch die Japaner in Tokio dank ihrer olympischen Programm-Errungenschaften Judo und Volleyball einbringen. Um den Olympiasieg ihrer seit 115 Spielen unbesiegten Weltmeisterinnen im Volleyball mußten die Japaner freilich schon vor der Eröffnung bangen. Das Turnier sollte abgesetzt werden, weil nach der Absage Nordkoreas die geforderte Mindest-Teilnehmerzahl von sechs Mannschaften nicht mehr gegeben war. Japans Funktionäre sicherten die gefährdete Medaille am Verhandlungstisch: Die imaginären Spiele gegen die abwesenden Koreanerinnen werden für alle Teilnehmer als gewonnen gewertet.

Etwas getrübt ist nur die Medaillen -Vorfreude der japanischen Judokas. Jahrzehntelang warfen sie alle außerasiatischen Rivalen mühelos auf die Matten. Ausgerechnet vor den Tokio -Spielen verschaffte sich der Holländer Anton Geesink die Vorherrschaft in der freien Klasse ohne Gewichtsbeschränkung. Doch drei von insgesamt vier Judo-Goldmedaillen schreiben die Experten den japanischen Judokas im voraus gut.

Japans Chance auf Judo-Gold ist allerdings auch einmalig: Für die Olympischen Spiele 1968 in Mexiko ist Judo mit seinem asiatischen Zeremoniell schon wieder vom Programm gestrichen worden, vermutlich, »weil man im katholischen Mexico City keine 'Zen -Sportarten' auf dem Programm sehen wollte« ("Die Welt").

Mexiko, das im Judo keine Siegeschancen hat, will für 1968 statt dessen wieder ein olympisches Tennis-Turnier ausschreiben, für das es wesentlich besser gerüstet ist. Noch eine Sportart erhebt für 1968 olympische Ansprüche: Der Internationale Tanz-Verband beantragte seine Erhebung in den Medaillen-Rang.

** Olympische Pflichtsportarten seit 1936: Leichtathletik, Schwimmen, Rudern, Kanu, Segeln, Reiten, Schießen, Radsport, Boxen, Ringen, Gewichtheben, Fechten, Turnen, Moderner Fünfkampf, Fußball, Hockey, Basketball, Wasserball.

Olympiasieger Egk

Goldmedaillen für Komposition ...

Japanische Judokas in Tokio*

... und die Kunst der Selbstverteidigung

* Betend vor dem als Judo-Trainingszentrum dienenden Gogoku-Tempel.

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