Radrennen Mehr Ellenbogen
Großzügig hat Günter Bilgmann vor dem Start der Tour de France Wetten angeboten, daß »einer von unseren Jungs unter die ersten zwölf kommt«. Doch schon der Wetteinsatz verrät, daß der Optimismus gespielt ist: Verliert Bilgmann, winkt dem Sieger nur eine Fahrt im hauseigenen Heißluftballon.
Bilgmann, Marketingchef der Telekom, ist eben fasziniert von ungewöhnlichen Fortbewegungsmitteln. Neben dem Ballon gebietet er noch über eine andere ausgefallene Spezies von Postboten - das »Team Telekom«, den ersten deutschen Rennstall, der seit 19 Jahren die Tour bestreitet.
Die sechs deutschen und drei ausländischen Telekom-Angestellten, die am letzten Samstag auf die 3984 Kilometer lange Schleife gingen, strampeln um das Sportsponsoring-Konzept des Kommunikationsgiganten. Knapp 20 Millionen Mark Telefongebühren investiert das Staatsunternehmen in den Sport: 11 Millionen fließen in den Radsport, die Hälfte davon ins »Team Telekom«. Radeln die Profis beim publicityträchtigsten Tour-Spektakel hinterher, sind die Millionen verschenkt.
Der Werbetrupp sollte nach Bilgmanns Vorstellungen »das Firmenimage von Dynamik, Innovation und High-Tech« ins öffentliche Bewußtsein transportieren und so den Unterschied zwischen dem Telefondienst und der gelben Post deutlich machen. Doch bisher erwiesen sich die Fahrer im tiefrosa Telekom-Trikot als ebenso langsam wie der vielbespöttelte Paketdienst.
Bei ihren regelmäßigen »Flächeneffizienz-Analysen« ermittelten die Marktforscher zudem beunruhigende Werte. Das Karlsruher Institut für Medienanalyse (IfM) fand heraus, daß das Mammutunternehmen mit 50 Milliarden Mark Jahresumsatz - gemessen an der Präsenz im deutschen Fernsehen - nur auf Rang 74 aller Sportsponsoren rangiert: abgeschlagen hinter Firmen, die mit einem Bruchteil an Investitionen weit öfter im Bild sind.
Durch die anhaltende Erfolglosigkeit fiel das Team in der Weltrangliste zurück und schaffte nicht einmal die Qualifikation für die Tour. Erst eine Wild card sicherte die Teilnahme. Das Wohlwollen der Organisatoren mußte teuer erkauft werden: Das Staatsunternehmen verpflichtete eigens den in Frankreich populären Altstar Marc Madiot und sponserte zudem die achte Tour-Etappe (Ziel in Koblenz) mit 250 000 Mark.
Damit die Telekom-Geschäftsfreunde auf der VIP-Tribüne auch ein spannendes Etappenfinale geboten bekommen, forderte Vorstandsmitglied Dieter Gallist in einer Ansprache den vollen Einsatz der hochdotierten Führungskräfte bei der Tour: »Wir brauchen positive Resonanz.«
Angesichts des internationalen Ställesterbens (SPIEGEL 31/1991), das am Ende dieser Saison rund 100 der 950 Radprofis in die Arbeitslosigkeit befördern wird, interpretiert Telekoms Spitzenfahrer Uwe Ampler die Mahnung auf seine Art: »Wenn es bei der Tour nicht läuft, sagen die vielleicht: Wir haben uns getäuscht, wir machen den Laden dicht.«
Tatsächlich ist die Finanzierung für die kommenden zwei Jahre längst nicht gesichert, wie Telekoms Sportsponsoring-Leiter Detlev Thye seine Fahrer glauben macht. Der Wirtschaftsplan für 1993, droht Gallist, sei »vom Aufsichtsrat noch gar nicht abgesegnet«.
Die Zukunft der radelnden Konzern-Filiale hängt entscheidend vom Resultat Amplers ab, nach Expertenmeinung »der einzige Deutsche, der die Tour gewinnen kann«. Doch der war bei den vergangenen zwei Frankreich-Rundfahrten vor allem mit seiner empfindsamen Psyche beschäftigt. »Mehr Ellenbogen« fordert deshalb Telekoms Teamchef, der Belgier Walter Godefroot, von seinem Spitzenmann, der zwar eine halbe Million Gage kassiert, aber bisher »immer von den anderen Fahrern beschützt werden mußte«.
Um in diesem Jahr endlich vorn bei Miguel Indurain, Greg LeMond und Erik Breukink mitrollen zu können, hatte Telekom dem dreimaligen Gewinner der Friedensfahrt zwei Höhentrainingslager und eine eigene medizinische Betreuung bezahlt. Außerdem wurde Ampler mit dem Geraer Jens Heppner noch ein persönlicher Helfer zur Seite gestellt. »Wenn es diesmal nicht klappt«, sagt der wortkarge Olympiasieger und hebt abwehrend die Hände, »dann hat man mich wohl überschätzt.«
Doch dem alten Behördengrundsatz folgend, daß viele Abteilungsleiter auch viel erreichen, setzen die Postler auf eine gezielte Personalaufstockung. Seit der vergangenen Woche buhlen sie um den kraftvollen Sprinter Olaf Ludwig, der sich als einziger der DDR-Staatsamateure mit bislang 30 Siegen sofort in der Weltspitze der Profis etabliert hat und für das Panasonic-Team fährt.
Anders als der spröde Ampler kommt Deutschlands »Rad-König« (Bild) vor allem bei den Radfans in den neuen Bundesländern an - wo in naher Zukunft die meisten neuen Telefonanschlüsse zu schalten sind. Dort gilt der Mann aus Gera trotz seiner Gage von knapp einer Million Mark noch als bodenständiger Malocher. Bisher hielt sich Ludwigs Interesse in Grenzen: »Nur weil ich Deutscher bin, muß ich doch nicht in einem deutschen Stall fahren.«