RODEO Mein Mann
Als Ronald Reagan einen Handelsminister suchte, rief er auch bei Malcolm Baldrige an, einem Geschäftsmann aus Connecticut. »Sorry«, bedauerte Ehefrau Margaret, »er ist draußen beim Rodeo.«
Spätestens von da an soll das Herz des Pferdefans Reagan für den praktizierenden Cowboy Baldrige geschlagen haben. Reagan: »Das ist mein Mann.« Seit vorletzten Sonnabend ist Reagans Mann tot, gefallen auf dem Feld der Cowboy-Ehre, beim Rodeo.
Baldrige, 64, hatte so recht ins Amerika-Bild des Ex-Schauspielers Reagan (sechs Western-Filme) gepaßt. Für die patriotische Gegenwart, die Reagan zu verwirklichen suchte, wurden Helden gebraucht. Und Rodeo-Reiter verkörpern noch immer, als lebende Legende, die Eroberung des Westens der USA.
Ihrem Macho-Mythos schadete auch nicht, daß Rodeo-Turniere in den Staaten längst so verlogen sind wie Heimatabende in den Alpen. Was zählt, ist der schöne Schein, ganz wie im Film.
Hinter den Kulissen führen die umjubelten Rinderhirten ein gänzlich unromantisches Leben. Sie hetzen von Auftritt zu Auftritt, bis zu drei am Tag, die Rodeo-Schauplätze sind oft Hunderte von Kilometern voneinander entfernt.
Acht Sekunden müssen sich die Reiter in den klassischen Disziplinen des »Bareback Riding« (ohne Sattel), des »Saddle Bronc Riding« (mit Sattel) und des »Bull Riding« auf dem Rücken einer rasenden Tonne Fleisch halten.
Beim »Steer Wrestling« packen die Cowboys aus vollem Galopp einen Jungstier
und müssen ihn zu Boden ringen, beim »Calf Roping« wird ein Kalb mit dem Lasso eingefangen und gefesselt.
Als Jahresverdienst bleiben dafür sogar den Waghalsigsten selten mehr als 20000 Dollar - ein mageres Glück im Multi-Millionen-Dollar-Business des Rodeo, das in den Reagan-Jahren boomte wie nie zuvor.
Auch Malcolm Baldrige, ein Stadtkind, das als Teenager auf einer Ranch gearbeitet hatte, machte als Rodeo-Profi Verluste, obschon er zwei- bis dreimal pro Woche in den Sattel stieg. Nur weil er, Absolvent der Elite-Uni Yale, später ein profitables Unternehmen der Metallindustrie führte, konnte er sich ein Leben leisten, wie es sonst nur noch in Werbespots für Zigaretten zu sehen ist.
Auch als Handelsminister, der vor allem gegen Protektionismus auftrat, blieb Baldrige seinen Pferden treu und gab sich wie ein Cowboy aus Marlboro Country, der Heimat seiner Lieblingszigarette. 1984 erhielt der »Männermann« ("The New York Times") einen Ehrenplatz in der Ruhmeshalle der Cowboys in Oklahoma City.
»Da kannst du an nichts anderes denken«, schwärmte er von den Nachmittagen in der Koppel, »man muß Partner eines guten Pferdes sein.«
Allerdings verdrängte Pferdepartner Baldrige - wie viele Reiter - eine Grundweisheit der Beziehung Mensch-Pferd. Sie heißt laut Pferdebuch-Erfolgsautor Horst Stern: »5000 Jahre Reiterei und eine nicht viel weniger lange Selektion auf das Zuchtziel Reitpferd haben noch nicht zu bewirken vermocht, daß das Pferd den Menschen auf seinem Rücken als selbstverständlich akzeptiert.«
Zwar ist es heute gelungen, die ganz üblen Pferdetypen - gewohnheitsmäßige Schläger, Beißer, Bocker, Steiger- per Zucht weitgehend auszusondern. Durch gezieltes Hineinzüchten von Vollblütern ist das Reitpferd in der Regel aber auch energischer, stürmischer geworden - und überfordert damit viele Reiter.
Denn das Großtier Pferd entwickelt keineswegs nur, wie Laien meinen, die bekannte Leistungsgröße von einem PS. Es kann vielmehr pro Kubikzentimeter Schenkelmuskel 6,5 Kilopond entwickeln, das heißt bis zu zehn PS schon beim Anreiten - und ein Vielfaches, wenn es auf seine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 70 Stundenkilometern kommt.
Außerdem konnten alle Zuchterfolge natürlich die bescheidene Intelligenz des Pferdes - die geringer ist als die von Delphin oder Menschenaffe - nicht erhöhen. Das heißt: In Extremfällen reagiert das geborene Fluchttier Pferd, das sich in der Natur weder tarnen noch ausdauernd wehren konnte, noch immer panisch - durch Scheuen und Fliehen.
Der Rest von Unkontrollierbarkeit, den selbst ein geübter Reiter wie Baldrige bei seinem Pferd nicht ausschalten konnte, traf schon viele: Die chirurgischen und neurochirurgischen Kliniken verzeichnen eine mit dem Massensport Reiten ansteigende Zahl schwerer Reitunfälle, die den Reiter oft sogar dort ereilen, wo er nach eigener Ansicht nicht hingehört: auf dem Boden.
»Es gibt zwei Kategorien von Menschen«, so hatte der große Reitersmann Winston Churchill angeblich das Selbstgefühl von seinesgleichen gefeiert, »die auf Pferden sitzen und die unten stehen.« Schwere Unfälle geschehen längst nicht überwiegend beim Reiten, sondern auch beim Füttern, Putzen, Beschlagen und Verladen von Pferden. Wenn aber ein Pferd mit seiner ganzen Leibesfülle auf den Reiter stürzt - wie im Fall Baldrige - hat dieser kaum eine Chance. Dabei war Reagans Mann auch im Alter und im Amt stets nahe am Pferd geblieben. Um zu zeigen, wie man einen Rodeo-Sattel fachgerecht auflegt, sattelte er im Vorzimmer schon mal eine Sekretärin - mit deren Einverständnis.
In seinem Ministerbüro stellte er fröhlich unter Beweis, ein wahres Kind seines Volkes und somit nie erwachsen geworden zu sein. Sattel und Lassos schmückten die Wände, er selbst trug auch zum Nadelstreifenanzug eine große Cowboy-Gürtelschnalle, darin eingraviert sein Spitzname »Mac«.
Die Schnalle wurde ihm zum Verhängnis, als sein scheuendes Pferd beim Rodeo-Training auf ihn krachte. Sie zerdrückte ihm Aorta und Bauchspeicheldrüse.