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SPIEGEL-GESPRÄCH »Meins, meins, meins«

Weltmeisterin Britta Steffen und ihre Mentaltrainerin Friederike Janofske über Therapie im Trancezustand, Rituale auf dem Startblock und den Wandel der ängstlichen Schwimmerin zum Wasserwesen
aus DER SPIEGEL 37/2009

SPIEGEL: Frau Steffen, Sie arbeiten seit fünf Jahren mit einer Mentaltrainerin zusammen, inzwischen sind Sie Olympiasiegerin geworden, Welt- und Europameisterin und haben viele Weltrekorde aufgestellt. Wie groß ist der Anteil von Friederike Janofske an diesen Erfolgen?

Steffen: Er ist riesig. Vor unserer Zusammenarbeit habe ich mich nur übers Schwimmen definiert, das hat mich gehemmt. Frau Janofske hat mir beigebracht, mich selbst toll zu finden, unabhängig davon, welche Leistung ich bringe. Heute weiß ich, dass ich auch dann Anerkennung finde, wenn ich keine gute Sportlerin bin. Dadurch habe ich inneren Reichtum gewonnen. Ich habe das Menschsein gelernt.

SPIEGEL: Wären Sie ohne Frau Janofske auch Olympiasiegerin geworden?

Steffen: Nein. 2000 in Sydney und 2004 in Athen war die Stimmung in der Mannschaft gedrückt, depressiv. Es gab Grüppchen, ich stand mittenmang, ohne Vertrauensperson. In Peking habe ich gedacht: Oh Gott, das dritte Mal Olympische Spiele, und du bist in dem Alter, wo es wirklich knallen muss. Entweder du schaffst diesen Sprung - oder du bleibst das Sensibelchen. Darum wollte ich Frau Janofske dabeihaben, weil ich mich in ihrer Gegenwart sicher fühle. Sie ist meine Vertrauensperson, jemand, über den ich dachte: Die kriegt mich hin. Das ist die Basis für jegliches Schnellschwimmen: Mir muss es gutgehen!

SPIEGEL: Frau Janofske, was meinen Sie: Wie groß ist Ihr Anteil an den Ergebnissen?

Janofske: So denke ich gar nicht. Britta ist die Rennen ja immer allein geschwommen. In Peking bin ich vor dem 50-Meter-Finale zu spät gekommen, um noch mit ihr zu sprechen, der Taxifahrer hatte mich an der falschen Stelle abgesetzt. Ich habe aber

noch gesehen, wie sie auf den Startblock gestiegen ist, diese Körperenergie hat mich beeindruckt. Sie war völlig frei. Eine Freischwimmerin.

SPIEGEL: Was geht während eines solchen Finales in Ihrem Kopf vor, Frau Steffen?

Steffen: Ich rede nicht mit mir, sehe nichts vor meinem inneren Auge, ich höre nur meinen Atem und fühle das Wasser. Auf der ersten Bahn halte ich die Augen geschlossen, um mich von der Konkurrenz abzuschotten. Ich gucke immer erst nach der Wende, weil ich weiß, dass auf den zweiten 50 Metern keine Frau schneller ist als ich. Wenn das Rennen gut läuft, kann ich mich hinterher gar nicht mehr so genau erinnern, was gerade passiert ist - ich weiß nur, dass es schön war. Ich empfinde mich dann als Wasserwesen, das Wasser ist mein Territorium. Es ist ein sehr starkes Gefühl von »meins, meins, meins«.

SPIEGEL: Frau Janofske, Sie haben oft genickt während dieser Antwort. Macht Britta Steffen alles richtig?

Janofske: Bei einer Hochleistung, wo Körper und Geist miteinander arbeiten, ist es sehr wichtig, dass die linke Gehirnhälfte, die für die Sprache zuständig ist, keine Kognition produziert und die Leistung hemmt. Im schlimmsten Fall redet man sich ein: Ich schaffe es nicht! Dann produziert der Körper zu viele Stresshormone, man ist außenorientiert, nimmt alles andere wahr, den Gegner, die Situation. Es kann passieren, dass sich die Psyche vor lauter Not aufspaltet, dass eine Instanz neben einem schwebt, die sagt: Du kommst als Letzte an.

SPIEGEL: Und wenn man dieses Denken ausschaltet?

Janofske: Wenn die Gehirnhälften ausbalanciert sind, kann eine Schwimmerin einfach nur schwimmen; so wie eine Opernsängerin nur singt und ein Schauspieler seine Rolle aus dem Inneren heraus spielt. Man bekommt ein Gefühl von Energieentwicklung oder Ekstase.

SPIEGEL: In welchem Zustand war Frau Steffen, als sie das erste Mal zu Ihnen kam?

Janofske: Sie litt unter tiefliegenden Ängsten. Und Angst ist eine ganz starke Emotion, die in der Lage ist, positive Erinnerungen zu verdrängen. Die Ängste waren das zentrale Hemmnis, um eine erfolgreiche Schwimmerin zu werden.

Steffen: Nach den Olympischen Spielen 2004 in Athen habe ich mit dem Schwimmen aufgehört. Ich wollte einfach nicht mehr. Mein Ruf war: »Im Training ist sie ja gut, aber wenn es drauf ankommt, kann sie's nicht.« Ich hatte Angst, nur an meinen Leistungen gemessen zu werden, Angst zu versagen. Ich dachte: Wenn ich nicht gut schwimme, dann bin ich kein wertvoller Mensch. Direkt vor einem Rennen habe ich gemerkt, wie mir das Herz aus der Brust zu springen drohte. Es schlug so heftig, dass ich dachte: Kriege ich noch Luft?

Janofske: Eine Panikattacke.

Steffen: Wenn ich auf den Startblock stieg, gingen mir tausend Gedanken durch den Kopf: Was sagen die anderen, wenn ich schlecht schwimme? Gucken mich dann wieder alle mitleidig an? Kommen wieder die bedauernden Schulterklopfer? Das war sehr belastend für mich.

Janofske: Außerdem hatte Britta noch ein Wassertrauma.

SPIEGEL: Die schnellste Schwimmerin der Welt litt ausgerechnet unter Angst vor dem Wasser - wie haben Sie dieses Problem in den Griff bekommen?

Janofske: Ich bin unter anderem Hypnotherapeutin, ich habe Britta in einen leichten Trancezustand versetzt, in dem sich der Mensch nach innen orientieren darf. Britta kann sich inzwischen selbst auf Knopfdruck in diesen Zustand versetzen. Wir sitzen uns gegenüber, Britta hat die Augen zu, der Herzschlag verlangsamt sich, der Blutdruck sinkt, die Muskeln entspannen sich, die Gehirnfrequenz sinkt auf vier bis sieben Hertz, und das bedeutet, Britta kann die Umgebung wahrnehmen, sie kann sich selbst wahrnehmen, aber sie kann auch das Unterbewusstsein wahrnehmen. Es findet ein Wandel statt von aktivierenden zu beruhigenden Botenstoffen. Wir haben völlig andere Hormone im Blut, entwickeln Zufriedenheit. Es ist so, als würde man auf der Terrasse sitzen und langsam einschlummern. Und wenn der Körper in einer solchen Ruhe ist, arbeite ich an einer Enttraumatisierung.

SPIEGEL: Wissen Sie, wodurch das Wassertrauma bei Ihnen ausgelöst worden war?

Steffen: Als ich sieben oder acht Jahre alt war, durften wir im Schwimmverein am Ende der Woche immer eine Trainingseinheit im kleinen Becken spielen. Auf dem Wasser lag eine Matte, auf der sind wir herumgeturnt. Und einmal bin ich unter die Matte geraten, ich wollte auftauchen, aber ich bin mit dem Kopf gegen die Matte, ich habe viel Wasser geschluckt, und ich dachte: Jetzt sterbe ich. Irgendwie habe ich es geschafft, an die Oberfläche zu kommen. Ich war total geschockt.

SPIEGEL: Wie hat sich das Trauma später bemerkbar gemacht?

Steffen: Kurz nach Athen 2004 gab es ein Ereignis, das mich in meinem Entschluss bestärkt hat, mit dem Schwimmen aufzuhören. Ich musste 800 Meter kraulen, ich verschluckte mich, und plötzlich schoss mir wieder dieser Gedanke in den Kopf: Du ertrinkst! Ich habe hohe Wenden gemacht, also mit der Hand am Beckenrand angeschlagen, mich umgedreht und bin weitergeschwommen. Wie peinlich ist das denn? Mein Trainer ist ausgerastet, er hat mich zusammengefaltet: »Wenn du keinen Bock hast ...« Und ich dachte nur: Meine Güte, bin ich ein Psycho! Mir ist das später noch mehrmals passiert - bis ich den Clou raushatte, wie ich das stoppen kann.

SPIEGEL: Wie haben Sie das hingekriegt?

Janofske: Britta hat eine ganz große Liebe zu Kindern und großes Mitgefühl mit Schwachen. Es ist methodisch möglich, wenn ein Mensch sehr sozial und sehr tief empfindend ist, diese Emotionen so zu verankern, dass ich sie in Kontakt bringen kann mit dem eigenen, jüngeren Selbst. Das Wassertrauma war eine schöne Grundlage, um diesen komplexen Prozess der Selbstannahme einzuleiten.

SPIEGEL: Wie funktioniert das?

Janofske: Wir haben uns vorgestellt, dass Britta als junge Frau zu dem kleinen Mädchen - das sie selbst ist - ans Schwimmbecken geht, und sie weiß: Du willst spielen, du bist ganz übermütig, du wirst von der Matte purzeln, du wirst dich schrecklich verirren unter Wasser, aber du wirst es schaffen. Wir haben uns ausgemalt, dass sich Britta mit dem Mädchen anfreundet, dass sie Zeit miteinander verbringen. Ich habe Britta gefragt: »Was würdest du dem Mädchen sagen, damit es vorsichtig ist? Was kann es lernen, bevor es spielen geht?«

Steffen: Es ist wirklich schwierig gewesen, das in Angriff zu nehmen. Das hat sehr viel mit Selbstbewusstsein zu tun gehabt. Ich war dann auch bei einer Atemtrainerin, die mich mit Singen und anderen Übungen dazu bewogen hat, mich auf meinen Atem verlassen zu können. Wenn ich jetzt ins Becken springe, ist meine Atmung komplett vorgegeben. Ich weiß genau: Ich springe rein, mache drei Kicks mit den Beinen, danach fünf Armzüge, dann wird nach rechts geatmet, und schon bin ich in der Sicherheit. Und dann schwimme ich das zu Ende, Viereratmung rechts, das ist kein Problem. Das ist wie am Fließband.

Janofske: Das Gefühl, keine Luft zu bekommen, ist fremd geworden - die neuronalen Spuren lösen sich auf.

SPIEGEL: Wie ist es Ihnen gelungen, die Versagensängste zu überwinden?

Janofske: Wichtig war es, Denkgewohnheiten zu verändern und die Misserfolge zu bearbeiten. Das war ein längerer Prozess, bei dem ich verschiedene Methoden angewendet habe, unter anderem Kinesiologie. Britta sagte: »Ich will Europameisterin werden.« Wir testeten die Aussage, indem ich auf ihren Arm leichten Gegendruck ausübte. Er hielt dem nicht stand. Im Nachgespräch zeigte sich, dass sie gravierende Einwände gegen das Ziel, den Erfolg, hatte. Britta wurde bewusst, dass sie nicht gewinnen will, weil andere dann verlieren.

SPIEGEL: Und worin lag dafür die Ursache?

Steffen: Mit zwölf bin ich von zu Hause weg, von Schwedt auf eine Sportschule in Potsdam. Ich war die Schnellste in meinem Jahrgang. Wenn wir von einem Wettkampf zurückgekommen sind ins Internat, haben mich die anderen Kinder geschnitten. Sie haben mir den Erfolg missgönnt. Auf einmal war ich eine Außenseiterin. Ich wollte aber dazugehören, ich bin ein Harmoniemensch. Ich habe gemerkt: Du hast mehr vom Erfolg, wenn sich andere mit dir freuen. Ansonsten ist er wertlos. Wenn ich schlecht geschwommen bin, na gut, dann waren die anderen wenigstens zufrieden mit ihren Leistungen, und so war das Ganze leichter zu ertragen.

SPIEGEL: Sind Sieger denn nicht beliebt und werden bewundert?

Steffen: Wenn ich erfolgreich war, haben natürlich alle zu mir gesagt: »Wow, bombastisch. Super.« Aber haben sie es ernst gemeint? Vielleicht haben sie in Wahrheit gedacht: Oh Mann, jetzt hat die schon wieder gewonnen, es kotzt mich an! Ich habe das über Franziska van Almsick kennengelernt. Wir waren im Trainingslager, und in der Umkleide ging es die ganze Zeit so ab: »Oh, hat die einen fetten Hintern gekriegt. Und wie die sich schon wieder benimmt!« Es wurde nur schlecht über sie gesprochen. Dann kam Franzi rein und alle plötzlich: »Du warst heute schnell, oder? Meine Güte, wie das aussah. Phantastisch!« Da habe ich gedacht: Wenn das so ist, lohnt sich dann Erfolg?

SPIEGEL: Frau Janofske, wie ist es Ihnen gelungen, Britta Steffen diese Denkweise abzugewöhnen?

Janofske: Zentral war die Frage: Wer bin ich im Moment? Ich bin eine Schwimmerin, aber gleichzeitig auch mehr als das, in meinem sozialen Netz, in meinem Kontakt zur Natur. Sich selbst anzuerkennen ist vom Erfolgsstress abgekoppelt. Das ist die Grundbedingung dafür, wirklich Hochleistung zu bringen. Es ist etwas ganz Bewegendes, wenn man in diese Dimension von Freiheit kommt. Die Leistungsexplosion von Britta hat mit der Erkenntnis zu tun: Das bin ich.

Steffen: Vorher war das Wasser gefährlich, jetzt ist es Freund.

SPIEGEL: Hat sich Ihr Schwimmtraining verändert, Frau Steffen?

Steffen: Natürlich. Es gab zum Beispiel eine ganz lange Zeit, wo ich viele, viele Einheiten gemacht habe, die einfach zu anstrengend waren. Ich bin überhaupt nicht mehr in die Regeneration gekommen und war schon fast depressiv. Gerade im Winter kommt das vor. Du springst im Dunkeln ins Wasser, kommst im Dunkeln wieder raus, das ist hart. Da musst du dann durch.

Janofske: Das haben wir doch abgeschafft, dieses »Da muss man durch«.

Steffen: Wir haben das Training meinen Bedürfnissen angepasst. Das heißt, nach 90 Minuten ist erst einmal Schluss, dann muss eine halbe Stunde Pause her. Ich könnte zwar noch zwei Kilometer mehr schwimmen, aber es würde mir nur Zeit für die Regeneration klauen. Ich fixiere mich nicht mehr auf Pläne.

Janofske: Wir haben außerdem den natürlichen Biorhythmus wieder aufgebaut, um den körperlichen Anforderungen gerecht zu werden.

SPIEGEL: Was heißt das?

Steffen: Ich stehe morgens um sechs auf und gehe abends um halb zehn ins Bett, und jeden Tag mache ich von eins bis halb zwei Mittagspause. 20 Minuten davon verbringe ich im Halbschlaf, damit sich mein Körper regenerieren kann, wenn ich morgens eine harte Einheit hatte und am Nachmittag wieder schnell schwimmen muss. Ich habe die innere Stimme verstummen lassen, die mir immer gesagt hat: Pausen sind schlecht. Du musst aktiv sein und das durchziehen. Ich behandle meinen Körper gut, dann kann ich auch Leistung von ihm erwarten. Ich esse Bio-Lebensmittel, nutze die Homöopathie, ich bin auf der Naturschiene. Plötzlich verläuft mein Leben sehr harmonisch.

SPIEGEL: Wie bereiten Sie sich mental auf ein Rennen vor?

Steffen: In Peking war ich vor dem 100-Meter-Finale in einem buddhistischen Tempel, das hat mich abgelenkt, das hat mich auch ein bisschen spirituell begleitet. Und in Rom bei der WM war ich in einer ganz tollen Kirche und habe eine Kerze angezündet. Das sind die Sachen, die ich vorher noch vollbringe, um mir den Beistand zu holen, um auch an irgendwas glauben zu können, denn Glauben tut gut. Mehr mache ich vor einem Wettkampf nicht. Bis dahin ist alle Arbeit getan, das ist jetzt mein Ball, auf dem ich tanzen gehe, mein Abschlussball für das Jahr. Wenn ich zum Rennen einlaufe, halte ich mich an meine Rituale.

SPIEGEL: Welche Rituale sind das?

Steffen: Ich drehe an meinem Ring, ich klopfe mich ab.

SPIEGEL: Sie klopfen sich ab?

Steffen: In Rom habe ich kurz vor dem Start gemerkt, dass eine Naht am Rücken des Schwimmanzugs sehr labil aussah. Ich durfte nichts drüberkleben, das war verboten. Meine Sorge war, dass hinten alles aufreißt, wenn ich mich beuge. Dann habe ich meine Handballen gegeneinander geklopft und den Satz gesagt: »Ich liebe und akzeptiere mich, auch wenn ich nackig auf dem Startblock stünde.« Ich habe das wie immer dreimal gemacht. Und plötzlich: buff! Alle Nervosität war weg. Ich finde es krass, wie effektiv so eine einfache Übung ist.

SPIEGEL: Frau Janofske, wie funktioniert das?

Janofske: Wir haben uns vorher mit einer solchen Situation intensiv beschäftigt. Wichtig war für uns, dass Britta sehr gern lacht und viel Sinn für Situationskomik hat. Diese Eigenschaft kann man durch bestimmte Methoden mit Stress und Angstreaktionen verschmelzen, so dass die positive Herangehensweise den negativen Angstimpuls hemmt. Deshalb kann dieses sogenannte Meridianklopfen, von dem Britta gerade sprach, schnell wirken.

SPIEGEL: Es gibt die Legende vom griechischen Soldaten, der nach der Eroberung Marathons 42 Kilometer nach Athen lief, die Botschaft vom Sieg überbrachte und dann tot zusammenbrach. Seine Willenskraft hat ihn das Leben gekostet. Ist so etwas denkbar?

Janofske: Ja. Es kann fatale Folgen haben, wenn der Körper extrem viele Stresshormone ausschüttet. Dopamin ist ein Leistungshormon, und wenn wir zu viel davon produzieren, kann der Körper Leistungen erbringen, die eigentlich menschenunmöglich sind. Das destabilisiert allerdings das Herz-Kreislauf-System, es kann kollabieren.

SPIEGEL: Kann man sich dieses Phänomen trotzdem zunutze machen?

Janofske: Der Mensch hat immense Ressourcen für den Fall, dass etwas Unerwartetes passiert. Und die kann man aktivieren.

SPIEGEL: Wie macht das eine Athletin?

Janofske: Britta und ich haben uns spielerisch gefragt, welche Ressourcen man für ein 100-Meter-Rennen braucht: Welche Qualitäten sind nötig? Wir sind auf Freude und Kraft gekommen. Und auf den Stolz, bei Olympia zu sein. Dann brauchten wir nur noch den Kick, die Energieverstärkung. Man stelle sich vor, am Horizont taucht ein Hai auf, und ich will schnell ans Ufer. Dann gibt es nur noch einen Impuls: das Ziel.

SPIEGEL: Was bewirkt das?

Janofske: Alles, was wir trainiert haben, ist im Körpergedächtnis gespeichert. Der Mensch kann sich zu diesen gespeicherten Erinnerungen Zugang verschaffen. Und er kann sich genauso fühlen wie in der Situation, an die er sich erinnert. Und in diesem Zustand, verbunden mit seinen Kraftreserven, kann er sich an den Start stellen.

SPIEGEL: Sie haben also in Britta Steffens Vergangenheit nach Ereignissen gesucht ...

Janofske: ... in denen sie sich kräftig und selbstbewusst gefühlt und besonders gefreut hat. Das Tolle daran ist, dass es gar keine Ereignisse aus dem Sport sein müssen.

SPIEGEL: Verraten Sie uns, welche das bei Ihnen waren, Frau Steffen?

Steffen: Mit absoluter Freude zum Beispiel verbinde ich ein Erlebnis mit meinem Vater. Papa ist natürlich stark und ein Held für ein kleines Mädchen. Er konnte mich nur selten aus dem Kindergarten abholen, weil er immer bis abends gearbeitet hat. Aber wenn er einmal Zeit hatte und gekommen ist, bin ich wie ein Blitz auf ihn zugerannt, er hat mich hochgenommen und in die Luft geworfen. Pures Glück.

SPIEGEL: Gibt es einen Zeitpunkt, Frau Janofske, an dem Sie sagen: Es gibt für mich nichts mehr zu tun mit Britta Steffen?

Janofske: Für mich ist das Ziel ganz klar Selbständigkeit und Autonomie. Britta war ohne mich in Rom bei der WM, das war eine ganz bewusste Entscheidung: Weltmeisterin zu werden, ohne dass ich anwesend bin.

Steffen: Ein paar Dinge gibt es noch zu tun. 2012 finden die nächsten Olympischen Spiele statt, dann bin ich fast 30 und werde mich danach vom Schwimmen verabschieden. Mir ist bewusst, dass ich jetzt im Zenit meiner Karriere stehe und dass es nur abwärtsgehen kann. Das ist auch eine Übung für mich: Wie gehe ich damit um, und wie geht es weiter? Aber ich bin vorbereitet.

SPIEGEL: Frau Janofske, Frau Steffen, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch führten die Redakteure Maik Großekathöfer und Detlef Hacke.

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