Zur Ausgabe
Artikel 40 / 67

BOXEN Mord in Lizenz?

aus DER SPIEGEL 8/1950

Wenn es nach Dr. Arthur Steinhaus ginge, würde nicht mehr geboxt. Fünfundzwanzig Jahre hat sich der Professor der Physiologie am George Williams College in Chikago mit den »zerstörenden Folgen des Faustkampfes auf den menschlichen Körper« beschäftigt. »Ist Boxen legalisierter Mord«, fragte das amerikanische Magazin »Look«. Und Steinhaus antwortete: »Dieser sogenannte Sport ist zu gefährlich«.

Fünfzig Prozent aller College-Direktoren und Sport-Erziehungsbehörden in den Vereinigten Staaten stimmten - inoffiziell befragt - gegen das Amateur-Boxen. Die amerikanische Militärakademie fand es mindestens fragwürdig.

Nur den Berufsboxern soll es nach Dr. Steinhaus unbelassen bleiben, vom Faustkampf zu leben. »Wenn reife Menschen sich durch einen gewissen Ruhm und Reichtum verleiten lassen, bewußt das Risiko lebenslänglicher Benommenheit auf sich zu nehmen, sollen sie das tun.«

Aber: »Kein Boxer übersteht seine Laufbahn ohne jede Gehirnverletzung. Sechzig Prozent aller Kämpfer werden früher oder später unter einer bemerkenswerten Störung ihrer Sinnesorgane zu leiden haben. Fünf Prozent bleiben ihr Leben lang schlagtrunken.«

Und: »Ein heimtückischer Aspekt des Boxens ist, daß Aerzte, Manager und der Boxer selbst von dem Gehirnschaden nichts merken. So kämpft der Boxer weiter, auch wenn er geistig schon verkrüppelt ist. Seine Schlagtrunkenheit kann erst erkannt werden, wenn sie offenbar wird - aber dann ist das Gehirn für immer ruiniert«.

Daß Gehirnverletzungen, die »unvermeidbare Folge« des Boxens sind, hält Steinhaus auch durch die Forschungsergebnisse der amerikanischen Marine für erwiesen. 147 sezierte Gehirne haben den Wissenschaftlern bestätigt, daß die vorderen Gehirnlappen - das Nervenzentrum des Menschen - auf Erschütterungen des Kopfes am empfindlichsten reagieren.

Das wissen auch die Boxer. Gene Tunney, Amerikas früherer Weltmeister im Schwergewicht (1926/28) sagt: »Wenn ich sehe, daß ein junger Bursche am Anfang seiner Laufbahn gründlich aus dem Ring geworfen wird, fühle ich mich in seinem Interesse erleichtert. Das bewahrt ihn davor, im Laufe der Jahre zu einem geistigen Wrack zusammengeschlagen zu werden«.

Auch daß schwere Trainingshandschuhe und Kopfpolster kein ausreichender Gehirnschutz sind, weiß Gene Tunney. Während des Trainings wurde er einmal zu Boden geschlagen, blieb 24 Stunden bewußtlos und drei Tage ohne Erinnerungsvermögen. »Das war die Saat zu meinem späteren Rücktritt. Das Gespenst der Schlagtrunkenheit verfolgte mich Wochen.«

Kollegen von Arthur Steinhaus haben das Gespenst so beschrieben:

Nach vier erfolgreichen Kampfjahren wird der Berufsboxer »weich«. Harte Schläge machen ihm zu schaffen, während sein »Glaskinn« das K.o.-Risiko erhöht. Schwere Kopfschläge ziehen bis in die Beine, das Reaktionsvermögen wird schwächer. Der Boxer hat aufgehört ein Gegner zu sein.

Dann lassen die Manager ihren Schützling fallen. Im Leben bleibt ein kümmernder Zweibeiner mit schwachem Konzentrations- und Erinnerungsvermögen und glasigen Augen: Der Schlagtrunkene.

Dicht vor dieser Grenze, meint Dr. Steinhaus, habe auch Sam Baroudi gestanden, als er 1948 gegen den jetzigen Schwergewichtsweltmeister Ezzard Charles in den Ring stieg. Der schwarze Nachfolger des ungeschlagenen Exmeisters Joe Louis schlug den 20jährigen Amerikaner in der zehnten Runde k.o. Besinnungslos wurde Baroudi aus dem Chikagoer Stadion getragen. Am Tage danach war er tot.

Der in 47 Berufskämpfen nur einmal geschlagene Baroudi gehört zu den 42 Amateur- und Berufsboxern, die während der letzten vier Jahre in amerikanischen Ringen für immer zu Boden gingen.

Der jüngste war elf Jahre alt

Zur Ausgabe
Artikel 40 / 67
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren