RENNPFERDE Nachbrenner im Blut
Im Stakkato-Rhythmus trommeln die Hufe des athletisch gebauten Vierbeiners aufs Geläuf. Im Nacken des Rennpferdes treten die Adern fingerdick hervor. Schweiß zieht wie ein mattglänzender Film über das seidige Fell. Mit weit aufgereckten Augen geht der kraftvolle Körper eine Geschwindigkeit von nahezu 50 Stundenkilometern. Doch kein Lüftchen fährt dem schwer schnaufenden Tier unter die Mähne denn nicht einen Meter ist es während des dröhnenden Speeds vorwärtsgekommen.
Ein Laufband, von Motorenkraft mal langsamer, mal schneller angetrieben, schluckt die raumgreifenden Schritte des Pferdes.
Was sich im Inneren des dampfenden Körpers abspielt, registrieren unablässig Elektroden. In den geschwollenen Adern sitzen Meßsonden: Die Beobachter im weißen Kittel können so, wann immer sie wollen, dem vierbeinigen Athleten auch während der schweißtreibenden Übung ins Blut sehen.
Mit dem mechanischen Geläuf und biochemischen Untersuchungen tasten sich Tierphysiologen, nach den Erfolg der Sportmediziner bei Leichtathleten und Schwimmern, Gewichthebern und Fußballspielern, auch an die verborgenen Leistungsreserven von Turnierpferden heran. Aber auch bei der Wiederherstellung verletzter Rennpferde haben
die Mediziner in den letzten Jahren erstaunliche Fortschritte erzielt.
Was die Vierbeiner zu so »ungeheuer kraftvollen Athleten« macht, wie die Engländerin Lynda Birke im Wissenschaftsmagazin »New Scientist« jüngst bewundernd feststellte, haben die neuen Sekundanten der Trainer bei ihren Experimenten erstmals exakt beobachten können.
Rennpferde, die im gestreckten Galopp über den Rasen fliegen, so stellte beispielsweise der schwedische Wissenschaftler Sune Persson von der Universität in Uppsala fest, erreichen einen Puls von 250 Schlägen in der Minute - mehr als doppelt soviel, wie die Tierphysiologen, gemessen an der Größe und am Volumen des Pferdekörpers, erwartet hatten.
Nur durch die überragende Pumpkraft ihres Zentralorgans überwinden die Vierbeiner ein Handikap, das sportliche Glanzleistungen sonst verhindern würde. Denn bei galoppierenden Pferden steigert sich zwar, wie Donald Attenburrow von der University of Exeter herausfand, die Atemfrequenz genau entsprechend der Schrittzahl - doch je öfter ihre Hufe den Boden berühren, desto flacher wird die Atmung und desto spärlicher strömt der nötige Sauerstoff durchs Blut.
Unter maximaler Belastung werden zudem nur etwa 70 Prozent der roten Blutkörperchen beim Durchfluß durch den Lungenkreislauf mit dem Gas aufgeladen - der Motor der Tiere läuft zu schnell, um einen vollen Sauerstoffaustausch zu ermöglichen.
Durch einen Trick der Natur schaffen es die Vierbeiner dennoch, Höchstleistungen auch über größere Distanzen zu erbringen.
Sobald die Belastung durch eine schnellere Gangart zunimmt, so zeigten Untersuchungen, schüttet ihre Milz aus einem Reservoir bis zu 60 Prozent zusätzliche rote Blutkörperchen aus. Die geballte Menge des sauerstoffbindenden Hämoglobins wirkt dann auf die rennenden Kraftbündel wie der Nachbrenner eines Düsenjets: Die Energieration in den Muskeln schießt über, auch wenn der Atem nur noch erbarmungswürdig flach und stoßweise geht.
Traber haben ihre Rennzeiten in den letzten Jahren dank raffinierter Trainingsmethoden immer mehr verbessert. Dagegen stagnieren seit langem die Leistungen der hochhackigen Galopper die mit etwa 60 Stundenkilometern Spitze über den Turf gehen. Vor allem bei ihnen könnte sich deshalb, dank der neuen Erkenntnisse, das Training ändern.
Verbessert haben sich durch die Bemühungen der Mediziner auch die Überlebenschancen der sensiblen Renner. Noch bis vor kurzem wurden Turnierpferde fast immer getötet, wenn sie sich beim Sprung über ein Hindernis oder im offenen Geläuf, ein Bein brachen. Der Grund: Die Tiere zerschmetterten geschiente oder vergipste Knochen nach dem Aufwachen aus der Narkose oft ein zweites Mal; oder sie belasteten das gegenüberliegende Bein so stark, daß auch dieser Knochen schließlich barst.
Inzwischen haben die gestrauchelten Athleten weit günstigere Prognosen, selbst nach schweren Frakturen wieder auf die Beine zu kommen. Neuartige Instrumente zur Stabilisierung der Knochen und ein schonenderes Narkoseverfahren ermöglichen es ihnen, schon wenige Stunden nach der Operation wieder angst- und schmerzfrei zu stehen. Nur noch Bandagen erinnern an die Blessur. »Wir machen jetzt Brüche«, erklärte jüngst der amerikanische Pferdechirurg Lawrence Bramlage von der Ohio State University, »die wir im letzten Jahr noch nicht angefaßt hätten.«
Etwa 60 Prozent der Tiere, die der US-Chirurg nach Unfällen auf der Rennbahn operiert, sehen einer unbeschwerten Zukunft als Zuchttiere entgegen. Einige der Patienten schneiden sogar noch besser ab: Sie laufen nach der Genesung wieder erfolgreich Rennen.