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GALOPPRENNEN / SHOEMAKER Nachruf überlebt

aus DER SPIEGEL 47/1970

Der Arzt hielt die Frühgeburt für nicht lebensfähig. William Lee Shoemaker, Sohn eines texanischen Plantagenarbeiters aus El Paso« wog nur 1135 Gramm. Die Großmutter packte ihn In einen Schuhkarton und bewahrte ihn nachts in der Röhre eines Backofens auf. Dennoch glaubte Vater Shoemaker 1931: »Aus dem Jungen wird nichts.«

Er irrte. Der Brutkasten-Boy überlebte und wurde zum reichsten Berufssportler der Welt -- als Jockei. Shoemakers Däumlings-Dimensionen (149 Zentimeter groß, 45 Kilo schwer) verschafften ihm viel häufiger Ritte als den schwereren Rivalen. Im September startete er zum 24 534. Mal und gewann sein 6033. Rennen -- das war Weltrekord. Inzwischen siegte er schon wieder In 40 Rennen.

Das Sorgenkind ritt für seine Auftraggeber in 21 Jahren mehr als 43 Millionen Dollar zusammen. Shoemaker selbst verdiente 4,5 Millionen. Fünfmal wurde er US-Champion. Zehnmal führte er die Liste als gewinnreichster Jockei des Jahres an. Mehr als 80mal gewann er 100 000-Dollar-Rennen. In Arizona besitzt er eine Ranch, In Texas Ölfelder. In der Prominenten-Niederlassung Beverly Hills hat er ein Haus und ein Restaurant. In Hollywood trat er sogar in einer Revue mit einem Song ("The Race is on") auf.

»Bis auf seine Körpergröße«, folgerte die »Los Angeles Times«, »ist er ein großer Mann.« Der »Schuh«, wie ihn die Galopp-Branche nennt, wiegelt seinen Ruhm ab. »Ich versuche nur, stets ausgeruht zu sein, denn das überträgt sich auf das Pferd.«

Am letzten Mittwoch freilich nutzte auch Shoemakers Ruhe nichts. Im »Washington, D. C. International«, zu dem alljährlich die erfolgreichsten Pferde und Jockeis eingeladen werden, ritt er den Außenseiter Fiddle Isle und wurde nur Vierter. Es ist das einzige große US-Rennen, In dem er noch nie gewonnen hat.

Den ersten Sieg hatte er 1949 schon im dritten Rennen seines Lebens errungen. Mit 219 Erfolgen im Premieren-Jahr ist er der bislang beste Jockeilehrling der Welt. 1953 stellte er wieder einen Weltrekord auf: 485 Siege in einer Saison. An bisher acht Renntagen startete und siegte er sechsmal.

Seriensieger Shoemaker profitierte freilich von der seit 15 Jahren anhaltenden amerikanischen Rennsport-Renaissance. Seit 1955 stieg die Zahl der jährlich veranstalteten Rennen um 20 558 auf 52 315 an. Derzeit gibt es 2000 Renntage pro Saison mehr als vor 15 Jahren. Die Rennpreise kletterten 1969 auf etwa 169 Millionen Dollar, der Toto-Umsatz näherte sich der Vier-Milliarden-Grenze. Starjockei Shoemaker stieg jedes Jahr weit mehr als 1000mal in den Sattel -- wenn er nicht im Krankenhaus lag.

Zweimal stürzte der Vielbeschäftigte so schwer, daß Fachjournalisten bereits Nachrufe verfaßten. 1969 im Hollywood Park prallte er so unglücklich gegen ein Holzgeländer, daß er sich einen Beckenbruch und innere Verletzungen zuzog. Sein bestes Pferd Damascus, mit dem er 1967 fast 818 000 Dollar gewonnen und einen neuen Weltrekord aufgestellt hatte, mußte nun ein anderer Jockei reiten.

Vorsichtshalber suchte der Ersatzmann bei Shoemaker Rat -- zwecklos, Damascus verlor. Der lädierte Champion beglückwünschte später den Sieger: »Dein Glück, daß ich nicht dabei war.« Und das US-Magazin »Sports Illustrated« kommentierte lakonisch: »Der Schuh war nicht im Sattel.«

Gerüchte, daß er wohl nie mehr im Sattel zu sehen sein würde, entkräftete das Leichtgewicht: »Eine Verletzung wird nich nicht stoppen«, lehnte er den Rücktritt vom Krankenbett aus ab. 1970 ritt er weiter. Selbst Trainer John Nerud schwärmte, obwohl Shoemaker ihm einmal im Kentucky-Derby durch einen Leichtsinnsfehler auf der Ziellinie den Sieg verpatzt hatte: »Er kann alles besser.«

Bei seinem einzigen Auslandsstart in Paris freilich merkten das die Zuschauer nicht. Shoemakers subtile Reitkunst glänzt vor allem auf den engen US-Kursen, auf denen die anderen Jockeis zumeist mit Kraft und harten Peitschenschlägen die Pferde antreiben. Auf den längeren Pariser Kursen und gegen ebenso feinnervige Rivalen war der US-Star machtlos.

Doch die europäische Herausforderung läßt ihn nicht ruhen, Noch sieben Jahre will er Rennen reiten. »Im letzten Jahr meiner Laufbahn aber«, verkündete er, »werde ich ein großes Rennen in Frankreich gewinnen.«

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