NFL-Star Tyrann Mathieu Das Märchen vom Honigdachs

Tyrann Mathieu: Harter Alltag, harter Spieler
Foto: David Eulitt / Getty ImagesPatrick Mahomes wackelte auf den Beinen, nachdem er von den Cleveland Browns zu Boden gebracht worden war. Mit dem benommenen Quarterback wackelten am vergangenen Sonntag auch die Super-Bowl-Hoffnungen der Kansas City Chiefs. Mahomes ist der Superstar der NFL. Ein Goldjunge, dessen rechter Arm rund eine halbe Milliarde Dollar wert ist.
Kansas City gewann das Spiel gegen die Browns, aber was wird aus dem Championship Game? Dem Halbfinale vor dem Super Bowl? Bei Kopfverletzungen versteht die NFL seit Jahren keinen Spaß mehr, das Concussion Protocol entscheidet über die Einsatzfähigkeit eines Spielers. Und nun auch über die Einsatzfähigkeit des wohl wertvollsten 25-Jährigen der Sportgeschichte.
Die NFL-Experten kannten unter der Woche kaum ein anderes Thema. Mahomes trainierte zwar, aber war er wirklich gesund? Bei ihren Spekulationen über Mahomes' Gesundheitszustand wirkten die sonst gut informierten US-Journalisten wie eine Horde Millennials, die gerade »Grey’s Anatomy« schauen und die eigenen Kopfschmerzen zu diagnostizieren versuchen.
Dabei müssten sich gar nicht alle auf Mahomes konzentrieren. Denn die Chiefs haben einen zweiten Superstar im Team; einen auf den ersten Blick unscheinbaren, aber dann umso spektakuläreren. Tyrann Mathieu.
Bewegte Geschichte
Mathieu hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Er wächst in New Orleans auf, der Vater sitzt seit seiner Kindheit wegen Mordes im Gefängnis, die Mutter lässt ihn allein. Erst kümmern sich die Großeltern um ihn, später die Tante und der Onkel. In seiner Freizeit spielt er mit Freunden Basketball im Park. Gegen Mörder und andere Kriminelle, wie er später sagt. »Das lehrt dich eine andere Art des Hartseins.«
»Hart« ist ein Wort, auf das man bei Mathieus Biografie häufiger trifft. Sein ehemaliger Mitspieler Patrick Peterson sagt einmal, dass Mathieu das Footballspielen sehr einfach aussehen lässt. »Das liegt vielleicht daran, dass sein Alltag der harte Teil seines Lebens war.«

Tyrann Mathieu schaffte es nach einer harten Kindheit in die NFL
Foto: Mitchell Leff / Getty ImagesAuf der Highschool gilt Mathieu nicht nur als herausragender Passverteidiger, sondern zugleich als furchtloser Zweikämpfer.
Mathieu geht ans College, an der Louisiana State University (LSU) bekommt er ein Stipendium. Die Universität liegt in Lousianas Hauptstadt, Baton Rouge, etwas mehr als eine Autostunde nordwestlich seiner Heimatstadt. In den USA ein Katzensprung. Im berühmten Football-Pogramm der LSU, Spieler wie Odell Beckham Junior oder Joe Burrow spielten hier, bestätigt Mathieu seine Leistungen und entwickelt sich zum Starspieler.
Dort bekommt Mathieu seinen Spitznamen – »The Honey Badger«. Fans vergleichen ihn mit dem Honigdachs, der als besonders mutig gilt. Trotz seiner verhältnismäßig geringen Körpergröße hat der Honigdachs nur wenige natürliche Feinde. Bei Gefahr schreckt er sogar vor größeren Tieren wie Pferden, Rindern oder Büffeln nicht zurück. Kleinere Antilopen, Krokodile oder Giftschlangen gehören zur Beute des Fleischfressers.
Ohne Rücksicht
Auch Mathieu ist mit 1,75 Metern verhältnismäßig klein. Und auch er schreckt vor größeren Gegnern nicht zurück. Obwohl er als Cornerback vor allem Pässe des gegnerischen Quarterbacks verteidigt, liegt eine seiner großen Stärken im Spiel gegen den Lauf. Ohne Rücksicht stürzt er sich in größere und schwerere Gegenspieler. Bei der Namenssuche half vermutlich auch, dass Mathieus blonde Strähnen dem hellen Rückenfell des schwarz gefärbten Honigdachses ähneln.
Das Problem: Der Honigdachs ist auch wild und schwer zu bändigen.
Mathieu gilt als kommender Erstrundenpick im NFL-Draft. Allein mit dem Unterschriftsbonus als einer der ersten ausgewählten Spieler hätte er ausgesorgt. Im dritten Jahr an der Uni bricht Mathieus Traum aber zusammen.
Der Trainer des Footballteams streicht ihn im August 2012 aus dem Kader. Wiederholt war er durch obligatorische Drogentests gefallen. Mathieu nimmt sich eine Auszeit und macht einen Entzug in Texas. Nur rund zwei Wochen später kehrt er zurück. Im Oktober wird er dann wegen des Besitzes von Marihuana verhaftet. So schnell und hart er auf dem Feld in seine Gegenspieler kracht, so schnell und hart fährt er seine Karriere gegen die Wand.
Seine letzte Chance ist der NFL-Draft. Nach drei Jahren am College dürfen sich Spieler dafür anmelden. Auch, wenn sie nur zwei Jahre davon gespielt haben.

Harter Verteidiger: Tyrann Mathieu ist vor allem gegen den Lauf stark
Foto: DAVID TULIS / imago images/UPI PhotoPatrick Peterson spielt bei der LSU gemeinsam mit Mathieu auf der Position des Cornerbacks, des Passverteidigers. 2011 wird er in der ersten Runde von den Arizona Cardinals gedraftet. Obwohl sie nur ein Jahr zusammenspielen, werden sie beste Freunde. Nach den Skandalen holt Peterson ihn nach Florida zu seiner Familie. »Ich dachte, dass es eine gute Idee für ihn war, Baton Rouge zu verlassen«, sagt Peterson später. Das erste Mal wirklich weg von zu Hause.
In Florida bereitet sich Mathieu auf den Draft vor, er überzeugt in den Probetrainings. Dennoch weichen viele NFL-Teams vor einem Angebot zurück.
Ein riskantes Talent
»Ich habe mich wie ein Erstrundentalent gefühlt. Ich wusste nur nicht, ob jemand für mich dieses Risiko eingeht«, sagt Mathieu damals. Die Cardinals gehen dieses Risiko ein, wenn sie es auch auf ein Minimum reduzieren. Mathieu verpflichtet sich zu regelmäßigen Drogentests. Zudem wird das Gehalt stark von seinen Leistungen abhängig gemacht. Mathieu akzeptiert. Eine andere Wahl hat er auch nicht, will er in der NFL spielen.
Als sein Name an 69. Stelle genannt wird, bricht Mathieu in Tränen aus. Petersons Cardinals verpflichten ihn.
Es folgt ein rasanter Aufstieg. In Arizona schult man Mathieu zum Safety um, er ist nicht nur bei der Passverteidigung stark, sondern auch im Tackling. Schnell entwickelt er sich zur Stütze eines Teams, das als Mitfavorit auf den Super Bowl gilt. Den Titel gewinnen die Cardinals aber nicht, auch weil Mathieu durch mehrere schwere Verletzungen wie Kreuzbandrisse zurückgeworfen wird.
Über Houston kommt Mathieu 2018 nach Kansas City. Zu einem Team, das sich im Aufbruch befindet. Mit Patrick Mahomes wird bei den Chiefs gerade ein überaus talentierter 22-Jähriger zum Stamm-Quarterback ernannt. Für den großen Erfolg braucht es aber nicht nur den Arm eines Mahomes, sondern auch den Instinkt eines Mathieu.
Im vergangenen Jahr holte das Team erstmals in der Super-Bowl-Ära den Titel.

Er hält ihm den Rücken frei: Tyrann Mathieu (rechts) und Quarterback Patrick Mahomes
Foto: David J. Phillip / APKaum ein Verteidiger in der Liga agiert so intelligent wie Mathieu. Als Safety spielt er etwas tiefer als die Cornerbacks; er muss auf der einen Seite tiefe Pässe verteidigen, aber auch auf Läufe des Gegners reagieren können. Vor dem gegnerischen Spielzug schleicht Mathieu hinter der Defensive Line, den größeren und schwereren Jungs, hin und her. Behält der Quarterback den Ball in der Hand, antizipiert er Passwege, wartet auf den perfekten Moment, um den Ball abzufangen.
Der Goldstandard seiner Position
Gibt der Quarterback den Ball an seinen Runningback weiter, sucht er die Lücken in der gegnerischen Offensive Line, um den Gegenspieler früh zu Fall zu bringen. Fast wie ein weiterer Linebacker. Mathieu hat die Position des Safety über die Jahre revolutioniert, er ist zum Goldstandard geworden.
In den Divisional Playoffs am vergangenen Wochenende gegen die Cleveland Browns antizipierte er in einer Szene den Lauf des Gegenspielers. Anstatt direkt auf ihn draufzugehen, lief er etwas weiter zur Seitenlinie. Mathieu sah, dass seine Mitspieler ebenfalls den Tackle setzen konnten. Also stellte er die einzige Fluchtmöglichkeit des Gegenspielers zu.
In einem so testosteronbeladenen und schnellen Sport wie Football fallen diese Spielzüge weniger auf als beispielsweise die Interception, die Mathieu im gleichen Spiel fing. Sie machen ihn aber umso wertvoller für die Chiefs und das Team erst zu dem Titelfavoriten, das es ist.
Das wird auch in der Nacht auf Montag im AFC Championship Game, dem NFL-Halbfinale, gegen die Buffalo Bills (0.40 Uhr, TV: ProSieben, Stream: Dazn) so sein. Mit Mahomes übrigens, der nach seiner Kopfverletzung von der Liga für das Spiel freigegeben wurde. Für den Super Bowl braucht es aber mehr als nur einen Spieler.
Es braucht auch einen Honigdachs.