Tennis Nur noch mit Diener
Als Christina Walber zum erstenmal in der Szene auffällig wurde, schien sie nur eine von vielen aus der Entourage der Profis zu sein, die bei den Turnieren für verbale Vor- und Nachspiele zuständig sind.
Gerade hatte der deutsche Jungstar Marc-Kevin Goellner in Wimbledon gegen Boris Becker verloren, da wandte sich auf der Ehrentribüne Christina Walber lächelnd an die Becker-Verlobte Barbara Feltus: »Das freut uns für Boris.« Die Antwort war kühl: »Das glaube ich nicht.«
Wenig später, in der Spieler-Lounge, folgte ein neuer, vergeblicher Anlauf: »Wir haben nie gesagt, daß Marc den Boris schlägt, wir wissen doch, daß er die Nummer eins ist.« Erstaunten Zuhörern beschied die Frau, die bis dahin nur im Plural sprach, dann knapp: »Ich bin nicht die Mutter.«
Christina Walber ist womöglich weit einflußreicher als eine sorgende Mutter, jedenfalls vermutet das der Vater des Profis. Offiziell lege sie nur als Physiotherapeutin Hand an seinen Sohn. Doch zusammen mit ihrer Tochter Heidi-Marie und Trainer Andreas Maurer, glaubt Michael Goellner, habe sie eine Macht über den 22 Jahre alten Davis-Cup-Spieler, die sich »nur noch mit der Abhängigkeit in einer Sekte vergleichen läßt«.
Ein Brief, in dem Marc-Kevin Goellner den Deutschen Tennis Bund (DTB) ultimativ aufforderte, sein persönliches Betreuer-Team auch bei offiziellen Davis-Cup-Einsätzen zuzulassen, hat in der vergangenen Woche nicht nur Vater Goellner in Rage gebracht.
Der DTB lehnte das Ansinnen ab, drohte, »dann eben ohne ihn zu spielen«. Und Bild fragte besorgt: »Baby Bum Bum schon balla balla?« Doch Trainer Andreas Maurer beharrte auf uneingeschränktem Zugriffsrecht: »Marc hat seine Erfolge diesem Team zu verdanken, er braucht uns.«
Zum drittenmal innerhalb eines Jahres müssen jetzt die DTB-Funktionäre atmosphärischen Störungen begegnen, die von der Umgebung ihrer besten Profis ausgingen. Zuvor mußte schon Michael Stichs Ehefrau Jessica in den Männerbund integriert werden, weil der Wimbledon-Sieger um sich »Menschen braucht, die zu mir halten«.
Dann wurde der ohnehin störrische Becker noch unberechenbarer, weil er mit Manager Ion Tiriac auch den letzten Berater aus der Anfangszeit seiner Karriere verabschiedete und seinen Clan neu strukturierte.
Allein läßt es sich im professionellen Tennis, von Stich mal als »Zoo« und dann wieder als »Plastikwelt« wahrgenommen, offenbar nicht überleben: Beinahe alle Spieler reisen inzwischen mit einer Leibgarde von Vertrauten um den Globus, die den jungen Millionaros zu Diensten sind und die Konkurrenz durch Mobbing bekriegen.
Ein Clan, glaubt Tony Pickard, biete den wie ein Wanderzirkus durch die Welt ziehenden Profis »das Stück Familie, ohne das es nicht geht, weil das Geschäft kälter geworden ist«. Vor 20 Jahren, als sich alle nach dem Matchball »an der Theke getroffen« hätten, erinnert sich der Trainer des Schweden Stefan Edberg, seien lediglich der Spanier Manuel Orantes und der Amerikaner Arthur Ashe mit ihren Ehefrauen angereist. Später habe nur Björn Borg seinen Trainer stets dabeigehabt.
Selbst als vor zehn Jahren die deutsche Masters-Siegerin Sylvia Hanika während einer Formkrise einmal mit dem Psychologen Georg M. Sieber an der Seite die »grüne Hölle Center-Court« (Sieber) betrat, reagierte ihre Gegnerin noch ganz verschreckt. Hana Mandlikova, die bis dahin solche Helfer noch nicht gesehen hatte, glaubte ganz fest: »Der hat sie verhext.«
Heute werden von den Profis im Regelfall Doppelzimmer mit Wickelkommode gebucht, dazu Einzelzimmer für Psycho- und Physiotherapeuten, Trainer und Servicemann. Turnierveranstalter müssen, um die Stars zufriedenzustellen, Kindergarten und Zirkusbesuche anbieten. Zu seinem Training in Wimbledon fuhr Ivan Lendl mit einem Fahrrad vor, das mit einem Kindersitz ausgerüstet werden mußte.
Unter den Top ten gilt der Miniatur-Clan Edbergs als beispielhaft, weil er seit Jahren schon ohne Austausch oder Aufblähung funktioniert. Stich ("Dem Edberg hat die Ehe doch auch gutgetan") hat das Modell bereits gezielt kopiert.
Der Schwede hat eine Frau gewählt, die ihre Tennisbegeisterung bereits an der Seite des Ex-Profis Mats Wilander demonstriert hatte. Trainer Pickard - ein Brite, der an Abstiegssorgen von Nottingham Forest mehr leidet als an Edbergs Doppelfehlern - entdeckte den Schweden 1985 und brachte ihm »die Dinge des Lebens, etwa Humor« (Pickard) bei; seither sind die Freunde, wie der Schweizer Jakob Hlasek urteilt, »das ideale Gespann«.
Wünscht Edberg Gesellschaft im Kino oder beim doppelten Cheeseburger, will Stich zum Golfen begleitet werden oder Backgammon spielen oder Becker durch die Kneipen ziehen - der Clan hat lustig und bereitwillig auf die Wünsche des Meisters einzugehen. Im Gefolge Boris Beckers zu reisen ist höchste Ehre und Sklaverei zugleich. Der Patriarch heuert und feuert nach Belieben.
Ex-Hochspringer Carlo Thränhardt wurde verstoßen, weil er ein autobiographisches Filmprojekt verbockt hatte: »Ein Film über den weltbesten Tennisspieler, aber nicht vom weltbesten Filmemacher« (Becker). Doch in seiner Formkrise holte der Wimbledonsieger den Kumpel zurück - als Fitmacher.
Nach der Trennung von Tiriac ist der Schlägerbespanner Ulrich Kühnel Dienstältester im Becker-Clan. Der studierte Bauingenieur klärt den Realschulabgänger schon mal auf dem Platz über »Massenträgheit und Schwerpunktverlagerung« auf, ist ansonsten aber froh, wenn der Chef »mich Freund nennt«.
Verliert der vorzeitig, wie in der zweiten Runde der French Open, gibt Freundin Barbara, akkreditiert als »Familie Becker«, bemüht ein paar Witze zum besten. Und Interimscoach Eric Jelen beendet die Therapie in jammervoller Ehrfurcht: »Komm jetzt, Baron.«
Nicht selten greift der Clan auch unterstützend in den Konkurrenzkampf ein. Gezielt werden Gerüchte gestreut, um den Gegner zu ärgern; den gleichen Zweck erfüllt mitunter auch demonstrative Harmonie. So beginnt Stich, wie in der letzten Woche in Long Island, auf der Tribüne dann besonders auffällig mit seiner Jessica zu turteln, wenn Becker wieder mal in eine Niederlage stolpert.
In Spanien befehden sich der Clan um Sergi Bruguera und die Sanchez-Familie aus Barcelona beinahe wie amerikanische Straßenbanden. Treffen die Akteure aufeinander, zielen sie sich die Bälle mit Vorliebe auf den Körper; auf den Tribünen wird verbal hingelangt - bis zu Andeutungen über Sexualpraktiken.
Im Damentennis, von erzkonservativen Rollenbildern durchzogen, agieren besonders fest geschlossene Gesellschaften. Selbst Bundestrainer Klaus Hofsäss schätzt »die Psyche der Frau« so ein, daß jede »einen Beschützer für sich allein« brauche. Der wird dann in der eigenen Familie rekrutiert, meist ist es der Vater, sonst der ältere Bruder.
So verbleiben die jugendlichen Goldesel, von denen die Familien-Clans leben, im Grunde auch dann im heimischen Kinderzimmer, wenn sie in Tokio oder Paris antreten. Erst wenn sie so sehr leiden, daß die Preisgelder ausbleiben, wird zum Trost »ein Pflaumenaugust für einsame Stunden« (Hofsäss) zugelassen.
Stefano Capriati ("Ich suche keinen Rat") läßt seine Tochter Jennifer zuweilen von acht Leibwächtern wie einen Schatz hüten. Geht Gabriela Sabatini tanzen, verscheucht Bruder Osvaldo Verehrer. Und selbst als Peter Graf eine Geliebte als »Freundin von der Steffi« in den Clan einführte, mochte sich die Weltranglisten-Erste nicht aus der väterlichen Umklammerung lösen.
Bei den Männern schienen bisher nur die Amerikaner Andre Agassi und Michael Chang von vergleichbar »erdrückenden Clans« (Hlasek) gefesselt. Die Chang-Familie feuert alle Coachs, die Einfluß aufs Training nehmen wollen. Agassi, ein schüchterner Mann mit Haarausfall, wurde von Bruder, Manager und Trainern für den Sportschuh-Riesen Nike zu einer Marionette mit Rebellenruf ausgebildet, isoliert von den Kollegen.
Unter ähnlicher Aufsicht vermutet Michael Goellner nun seinen Sohn. Das Team entscheide sogar, »wann und was er mit uns bereden darf - soweit er mit seinen Eltern überhaupt spricht«. Dem Talent, das bei den beiden letzten Turnieren schon die Auftaktspiele verlor, prophezeit er »in drei bis vier Jahren einen Scherbenhaufen« seiner Karriere.
Doch der Filius hat sich entschieden. Sein Trainer ist »für mich der beste in der Welt«; die beiden Frauen sind nicht nur für die Physis, sondern »auch für gute Laune zuständig«, Heidi-Marie Walber zudem »eine gute Freundin«. Also verlangt er weiterhin vom Deutschen Tennis Bund: »Die drei sollen immer für mich da sein.«
Clans, sagt Hlasek, könnten wie ein Gefängnis sein - lebenslänglich. Y