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SKI ALPIN Nur noch Verwandte

Zu viele Rennen und zunehmendes Desinteresse der TV-Anstalten an Live-Übertragungen: Der Weltcup hat an Attraktivität verloren.
aus DER SPIEGEL 3/1986

Erst kurvten sie auf Kunstschnee einen Hang im 14. Wiener Bezirk hinunter, der kaum höher war als das Riesenrad im Prater. Dann suchten die Skiartisten des Weltcup-Zirkus Hilfe bei der Kellnerriege ihrer Hotels.

Für den Abschlußball anläßlich des ersten Wiener Parallel-Slaloms mußten sich fast alle Rennläufer, Stenmark, Zurbriggen, der Sieger Ivano Edalini und der Zweite, Markus Wasmeier, beim Personal mit passender Kleidung eindecken: Die Bretter-Stars hatten zwar mehrere windschlüpfige Rennanzüge, aber keinen festlichen Smoking im Standardgepäck. »Wir haben den Obern nur die Unterhosen gelassen«, scherzte die Slalomtruppe nach den ersten herzhaften Getränken.

Angelockt durch ein Startgeld von 1000 Franken gingen die Ski-Asse am Dreikönigstag in der Großstadt fremd. Sie fuhren zum Vergnügen vor 10000 Wienern auf der Hohe-Wand-Wiese Mann gegen Mann um Slalomstangen und präsentierten sich auch abends noch beim Rathaus-Festival als Stars zum Anfassen. Die einst so florierende Branche alpiner Skirennsport ist in eine Flaute geraten, um die Kundschaft muß geworben werden.

An vielen Pisten, besonders in den französischen Wintersportorten aus der Retorte, stehen als Zuschauer »nur noch Verwandte der Läufer«, so ein österreichischer Ski-Journalist.

Schlimmer noch: »Das Fernseh-Publikum ist ohne Zweifel übersättigt«, sagt Manfred Vorderwülbecke vom Bayerischen Rundfunk, »wir übertragen zu viele Rennen.«

Seine Kollegen vom Österreichischen Fernsehen, die jahrelang Ski total auf der Mattscheibe gezeigt hatten, haben bereits Konsequenzen gezogen. Von den 71 Weltcupveranstaltungen dieses Winters berichten sie live nur noch über die Rennen im eigenen Land und die Klassiker im Ausland, wie etwa die Herrenabfahrt von Wengen in der Schweiz.

»Es macht nicht viel Sinn, den Damenslalom von Maribor direkt zu übertragen«, so Sportredakteur Erich Weiß. Dieses Ereignis wollten im Januar 1985 nur 4,6 Prozent der österreichischen TV-Fans sehen. In diesem Jahr mußten sie sich mit einem zeitversetzten Zusammenschnitt begnügen.

Was immer noch gut laufe, seien die klassischen Rennen wie etwa die Hahnenkammabfahrt in Kitzbühel, heißt es beim ORF. 1985 erreichte die Liveübertragung von dieser Veranstaltung eine Einschaltquote von 37 Prozent. Bei spektakulären Rennen ist auch die Kulisse am Pistenrand weiterhin groß- fast 40000 Besucher waren es im vergangenen Jahr in Kitzbühel. Aber die Zeiten, als die Fans mit Fahnen und Trompeten anrückten wie zu einem Fußball-Ländermatch, um Karl Schranz oder Franz Klammer gegen den Rest der Welt siegen zu sehen, sind auch hier vorbei.

Neues Feuer könnten die Großstadtrennen bringen, meint der Elsässer Serge Lang, der Ende der sechziger Jahre den Ski-Weltcup erfunden hatte. Er könne sich, so Lang, eine Veranstaltung wie in Wien zum Beispiel auch in Berlin vorstellen - »auf dem schönen Schuttberg, den es dort gibt«.

Lang beobachtet mit Sorge, wie das Fernsehen, das für die Sponsoren entscheidend ist, zunehmend Desinteresse signalisiert. So wurde das Rennen von Sestriere, zu dem in der Vergangenheit stets 10 bis 20 TV-Teams angereist

waren, dieses Mal nur von fünf Sendern wahrgenommen.

Wie alle Experten ist sich Lang klar, daß nur ein Ausdünnen des Rennkalenders die aufgekommene Langeweile vertreiben könnte. »Wir haben so viele wichtige Rennen«, sagt er, »daß überhaupt kein Rennen mehr wichtig ist.«

Doch eine Straffung auf etwa 40 Weltcup-Ereignisse für Damen und Herren insgesamt ist kaum durchzusetzen. Zu viele Wintersportorte haben längst die Werbewirkung großer Skirennen erkannt und richten jedes Jahr für einen Betrag zwischen 200000 und einer Million Mark ein Weltcuprennen aus. Lang: »Versuchen Sie mal, einen Ort wieder rauszuschmeißen. Der macht seine regionalen Funktionäre mobil, und die bügeln jede Streichung nieder.«

So hat die Zahl der Weltcupläufe in diesem Winter um elf zugenommen, darunter zur Saisoneröffnung sogar zwei in Argentinien.

Erfreut über diese Ski-Inflation von den südamerikanischen Anden über die nordamerikanischen Rocky Mountains bis hin zum japanischen Bergland ist lediglich der Weltcup-Titelsponsor, der Chemiekonzern BASF. Für 3,5 Millionen Mark trägt zwei Winter lang jedes Zielband und jede Zielbande sein Emblem. »Wir sind ein internationales Unternehmen und froh, wenn wir in allen Winkeln dieser Erde bekannt werden«, sagt ein Firmensprecher.

Um dem vor Weihnachten fast schon traditionellen Schneemangel in den Alpen zu entgehen, möchte der Skiweltverband Fis im kommenden Dezember die Weltcup-Serie erstmals in Nordamerika starten. Dort fanden die Rennen zum Ausklang der Saison im März statt.

Doch damit kann sich ein großer Teil der Ski- und Ausrüsterfirmen, die mit ihrem Geld den Weltcup entscheidend mitfinanzieren, nicht anfreunden. »Der Wintersportmarkt stagniert. Da denken die doch nicht daran, ihre Werbeträger während des Weihnachtsgeschäfts fast unbemerkt in Übersee herumrutschen zu lassen«, so ein Insider.

»Abfahrtsstrecken müssen wieder schwieriger werden«, forderte im vergangenen Winter Österreichs Ski-Idol Franz Klammer, »dabei müssen wir eben auch Stürze weniger guter Fahrer in Kauf nehmen.« Das Fernsehen unterstützte den Ruf nach spektakulären Sprüngen, Schwüngen und - unausgesprochen - Stürzen.

Doch Klammers Vorschlag scheiterte. Serge Lang, ebenfalls ein Verfechter der attraktiven Buckelpiste: »Die Ausrichterorte wollen leider plattgewalzte Autobahnen, auf denen die Fahrer in der Hocke von Start bis Ziel runterrasen können. Denn die Piste soll ja anschließend auch für gehobene Freizeitsportler befahrbar sein, die sich einmal im Urlaub fast so kühn wie ihre Vorbilder in das Wagnis einer Weltcup-Abfahrt stürzen möchten.«

Die Mehrheit der Fis-Offiziellen ist ebenfalls für die eintönige Hochgeschwindigkeitsstrecke, um schwache Fahrer aus Ländern ohne Skitradition überhaupt für Weltcup-Rennen zulassen zu können.

Weil sie sich von den Funktionären gegängelt fühlten und außerdem voll Neid auf die Einkommensentwicklung etwa im Tennis starrten, probten die männlichen Abfahrer, »die Lokomotiven des Weltcups« (Rennläufer Conradin Cathomen), im Frühjahr 1985 den Aufstand. Mit einer eigens gegründeten internationalen Abfahrer-Vereinigung wollten sie eine reine Profi-Serie - nur für Abfahrtsläufe - starten. Sponsoren-Kontrakte für rund 20 Millionen Mark so Cathomen, habe man schon an der Angel.

Doch als die potentiellen Geldgeber bemerkten, daß die Fernsehübertragungen dieses »Men's Downhill Grand Prix« nicht gesichert waren, zerschlug sich das Projekt, zumindest vorläufig. »Außerdem mußten die Jungs ja mit ihren Nationalteams wieder brav ins Sommertrainingslager einrücken«, sagte der österreichische Skijournalist Heinz Prüller, »da war Schluß mit der Rebellion.«

Die Fis versuchte, den Unmut der Athleten zu besänftigen. Über die Zuwendungen aus den nationalen Skipools und der Ausrüstungsfirmen hinaus, die Spitzenleute wie dem Schweizer Doppelweltmeister Pirmin Zurbriggen immerhin ein sechsstelliges jährliches Einkommen garantierten, gestattete sie den Läuferinnen und Läufern, sich persönliche Sponsoren zu suchen.

Sturzhelme, Mützen und Stirnbänder dürfen von diesem Winter an über beiden Ohren mit Werbung bestückt werden, nicht aber auf der Frontseite. Seitdem verrutschen den Siegern die Kopfbedeckungen jedesmal, wenn Kameraleute oder Photographen von vorne Bilder machen: Wer Werbung trägt, trägt sie über der Stirn.

Das finanzielle Engagement der Wirtschaft ist jedoch zögernd. Von den deutschen Männern hat nur Riesenslalom-Weltmeister Markus Wasmeier einen Kontrakt - »weit unter 100000 Mark« - mit dem Kreditkarten-Unternehmen Diners Club. Die Mädchen aus der Bundesrepublik, obwohl sportlich recht erfolgreich, stehen ganz ohne persönliche Sponsoren da.

»Es fehlen halt auch für die Wirtschaft Siegertypen, wie sie etwa das Tennis mit Boris Becker hat«, meint Serge Lang. Gäbe es im Skizirkus mehr Persönlichkeiten, würde der Weltcup von selbst wieder attraktiver.

»Aber wie sollen die jungen Leute Persönlichkeit entwickeln«, fragt Lang, »wenn von morgens bis abends ihre Trainer sie am Händchen halten?«

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