Galopp Ölige Reden
Der prominente Jockei sollte ein wenig Glanz auf die in 40 DDR-Jahren arg heruntergekommene Galopprennbahn bringen, bei der Eröffnung der Turfsaison in Hoppegarten bei Berlin als Symbolfigur für eine bessere Zukunft dienen. Doch Lester Piggott, aus London eingeflogen, ritt bei seinen vier Starts nur müde hinterher.
Nur einmal hatte es Piggott, dem die Rennleitung wegen Arbeitsverweigerung sogar einen Lizenzentzug androhte, ganz eilig - als er seine Startgage von 12 000 Mark in bar kassierte. Ironisch kommentierte der einstige DDR-Spitzenjockei Alfred Lehmann, der am vorletzten Sonntag in Hoppegarten mit 85 Mark Renngeld pro Start zufrieden sein mußte, den ersten Auftritt des englischen Stars im deutschen Osten: »Da müssen wir wohl noch üben.«
Auch Monate nach der Wende stellt die ostdeutsche Galoppszene immer wieder verblüfft fest, wie ungeniert die Westler auf ihrem Terrain abzocken. Anders als in vielen olympischen Sportarten, in denen die Ost-Stars in den Westen abgeworben wurden, gibt es im Turf, der in der DDR nur eine Nebenrolle spielte, einen Treck von West nach Ost. Der Grund für das Interesse: Wer eine der sechs Galopprennbahnen unter seine Regie bekommt, erhält damit auch Verfügungsgewalt über lukrative, weil citynahe Grundstücke.
So kam Brandenburgs Finanzminister Klaus-Dieter Kühbacher nicht der Vollblüter wegen zur Saisoneröffnung nach Hoppegarten - er war schlicht in Sorge, beim »Wettlauf um den künftigen Eigentümer« der Bahn abgehängt zu werden. Das neue Bundesland hat bei der Treuhand einen Antrag auf Übereignung des Geländes gestellt, für das auch der frühere Besitzer Ansprüche geltend macht: Der enteignete Union-Klub, ein Zusammenschluß des alten Turf- und Geldadels, führt Hoppegarten immer noch mit dem symbolischen Buchwert von einer Mark in seiner Bilanz.
Aber auch andere versuchten, auf der Großbahn im Osten Berlins mitzumischen. Der Stuttgarter Unternehmensberater Eligius Barth war einer der ersten, mietete sich in Hallen und Stallungen ein und entwarf Konzepte für Hoppegarten. Doch als er die Miete schuldig blieb, drehte ihm Bahnchef Artur Boehlke vor laufenden Fernsehkameras den Strom ab.
Geschickter stellte sich Karl-Dieter Ellerbracke an, ein Multifunktionär des westdeutschen Turfs und möglicher Nachfolger des Galopp-Präsidenten Walter Scheel. Er erwarb bereits 23 000 Quadratmeter in der Nähe der Hoppegartener Trainingsbahn. Der frühere Seniorenheimleiter will dort - wie schon in Mülheim an der Ruhr - einen Trainingsstall errichten.
Angesichts der vielen Interessenten verbreitet Minister Kühbacher Zuversicht: »Wir wollen Hoppegarten lebendig haben.«
Auch in Leipzig sprach ein westdeutscher Emissär vor. Gleich nach der Wende ließ sich das Vorstandsmitglied des Frankfurter Renn-Klubs, Manfred Hilbig, von der Kölner Verbandszentrale zum Ost-Beauftragten ernennen. Einzige Qualifikation des ehemaligen Pelzhändlers: Er wurde in Leipzig geboren.
Entsprechend war das Resultat seiner Arbeit. Die Leipziger Bahn, einst die umsatzstärkste der DDR, verfällt zusehends, auch wenn eine Wuppertaler Lackfabrik Farbe für einen neuen Anstrich der morschen Tribünen stiftete. Nur ein Renntag ist finanziell gesichert, vier Veranstaltungen mußten abgesagt werden. So wurden bereits Überlegungen angestellt, auf der reizvollen Bahn ein Spielkasino zu errichten.
Hilbig, der inzwischen vom Verband suspendiert wurde, habe »nur ölige Reden gehalten«, sagt der Leipziger Geschäftsführer Peter Paul. Das einzige, was der vermeintliche Fachmann nachweisbar hinterlassen hat, sind Spesenabrechnungen in beträchtlicher Höhe.
In Halle hat eine Gruppe Münchner Unternehmensberater mit dem wohlklingenden Namen Pegasus Project die Regie über die Rennbahn übernommen, die Herren verfügen über keinerlei Erfahrung im Turf. Der Wettumsatz der ersten beiden Renntage (160 000 und 190 000 Mark) blieb weit unter dem Existenzminimum. In Köln, wo niedrigere Rennpreise ausgeschüttet wurden als in Halle, setzten die Veranstalter an einem Tag 1,4 Millionen Mark am Totalisator um.
Deshalb wollen die Pegasus-Leute auf der Rennbahn künftig auch Popkonzerte und andere Festivitäten veranstalten. Über ihre Pläne geben sie nur ungern Auskunft. »Was die genau wollen«, sagt Rennleiter Peter Tasch, »ist mir noch schleierhaft.« Insider in Halle verweisen nur lakonisch auf die Lage der Bahn zwischen Alt-und Neustadt: Sie biete ideales Bauland.
Inwieweit dem ostdeutschen Turf das Aus durch Immobilienverwertung droht, hängt wesentlich davon ab, wann die Anlaufprobleme - in Dresden zahlte der Wettcomputer 35 000 Mark zuviel aus, in Halle wurden Wetter ihre Einsätze nicht los - überwunden werden, ob die Totalisatorumsätze steigen. Die westdeutschen Funktionäre wollen auf bewährte Weise nachhelfen. Ellerbracke: »Es nützt doch nichts, wenn man nur kleines Geld in die DDR bringt.« Es müßten große Rennen stattfinden, »sonst bewegt sich nichts«.
Deshalb wird das teuerste Rennen Deutschlands in diesem Jahr in Hoppegarten gelaufen, am Tag der Einheit, am 3. Oktober. Dann geht es um den mit 520 000 Mark dotierten Prix Zino Davidoff, den der Zigarettenkonzern sponsert. Den westdeutschen Turfveranstaltern ist es nicht einmal unlieb, wenn Sponsoren wie die Hamburger Holsten-Brauerei oder BMW im Osten Rennen finanzieren - das Geld gelangt ohnehin in ihre Kassen. Da die DDR-Zucht so schlecht ist, kommt der Sieger fast immer aus Westdeutschland.