
Maulkorb für Olympia-Sportler Schweigen ist Goldmedaille


IOC-Präsident Thomas Bach
Foto: DENIS BALIBOUSE/ REUTERSDas Internationale Olympische Komitee (IOC) hat am Montag ein Foto veröffentlicht. Es zeigt Präsident Thomas Bach in den schneebedeckten Bergen von Lausanne, er vereint darauf zwei Nachwuchssportler bei den Youth Olympics in großväterlichem Gestus mit den Händen auf ihren Schultern. „This is the Olympic Spirit“, sagte Bach demnach. Die beiden Ski-Talente kommen aus dem Iran und den USA. Ein schönes Zeichen sportlicher Verständigung in Zeiten politischer Krise, so scheint es.
Im Kontext wirkt es nur zynisch. Denn ein paar Tage zuvor hat das IOC eine Richtlinie für die Sommerspiele in Tokio veröffentlicht. Demnach dürfen Sportler in den olympischen Stätten keine politischen Statements abgeben. Die Regel gilt zwar nicht für Interviews vor oder nach den Wettkämpfen. Im Moment größter Aufmerksamkeit aber, beim Wettkampf und der Siegerehrung, greift die verordnete Schweigepflicht. Sie beschneidet die Sportler im Recht auf freie Meinungsäußerung.
Bach rechtfertigt das so: Die Olympischen Spiele dürften keine Plattform sein, „um politische oder andere potenziell spaltende Ziele voranzutreiben. Wenn die politische Neutralität nicht respektiert wird, dann werden die Olympischen Spiele die Welt spalten, und nicht vereinigen.“
Sportler schweigen, Funktionäre sprechen. Umso mehr Scheinwerferlicht strahlt dann auf Letztere.
Allzu mündig sollen die Athleten offenbar nicht sein. Im vergangenen Jahr hatten die Proteste deutlich zugenommen. Sportlerinnen und Sportler benannten Missstände. Sie traten bei Wettkämpfen für Gleichberechtigung ein, gegen Rassismus, auch gegen Doping. Beispielhaft etwa die Fußballweltmeisterin Megan Rapinoe, die sich gegen Trumps Politik stellte.
Das IOC musste nach dieser Erfahrung nun auch kritische Töne und TV-Bilder aus Tokio fürchten. Und weil schlechte Stimmung schlecht fürs Geschäft ist, unterbanden die Funktionäre solch geschäftsschädigendes Verhalten vorsorglich.
In der Rang- und Rechteordnung des IOC stehen Sportler ganz unten
Dabei beweist Thomas Bach selbst immer wieder, wie politisch die Olympischen Spiele sind. Laut Recherchen der Süddeutschen Zeitung besitzt der Sportfunktionär mehrere Diplomatenpässe. Ständig lässt er sich mit Staatschefs ablichten. Zuletzt bei den Winterspielen in Pyeongchang 2018 mimte er den Friedensbringer zwischen Nord- und Südkorea. Das politische Verhältnis der verfeindeten Bruderstaaten ist längst wieder abgekühlt. Die schönen Bilder von Bachs Bemühen jedoch blieben in Erinnerung. Einmal mehr wurde sein Name, ganz in seinem Sinne, mit dem Friedensnobelpreis in Verbindung gebracht.
Das IOC, so scheint es, erlaubt Politik nur dann, wenn sie ihm selbst nützt. Das zeigt einmal mehr, wie wenig Wertschätzung Bach und das IOC für die eigentlichen Protagonisten ihres Milliardengeschäfts übrig haben. In der Rang- und Rechteordnung stehen die Sportler ganz unten. Die Namen der jungen Athleten, die mit Bach für die Völkerverständigung zwischen Iran und den USA posieren durften – es sind wohl die Skimountaineerer Ali Kalhor und Grace Staberg – nannte das IOC nicht einmal. Sie waren nur Beiwerk für die Selbstinszenierung der Funktionäre.
Das IOC vertut damit eine Chance. Lange schon kämpft es um Akzeptanz. Zuletzt fanden sich kaum noch Bewerber um die Spiele. Wenn sich Sportler politisch positionieren und für Werte einsetzen, damit Vorbild und Inspiration sind, dann würde das dem IOC eigentlich gut zu Gesicht stehen. Denn das ist es, wofür die Spiele einmal standen, und was sich die Gesellschaft einmal von ihnen versprach: Ein Symbol des friedlichen Wettstreits der Völker. Der Maulkorb des IOC jedoch steht nur für Unterdrückung, Gängelung – und die Eitelkeit der Funktionäre.