Sanktionen des IOC gegen Belarus »Das war der Druck mutiger Athlet*innen«

Das IOC reagiert nach langem Zögern auf die politische Unterdrückung von Sportlern in Belarus. Die Reaktionen aus Sport und Politik sind zunächst positiv – aber auch an Erwartungen geknüpft.
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Nikolai Petrov / imago images/ITAR-TASS

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat bis auf Weiteres mehrere Mitglieder des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) von Belarus suspendiert – darunter auch Alexander Lukaschenko, der Staatspräsident und Vorsitzender des NOK ist.

»Das IOC ist zu dem Schluss gekommen, dass die derzeitige NOK-Führung die belarussischen Sportler offenbar nicht angemessen vor politischer Diskriminierung durch NOK-Mitglieder, Mitgliedsorganisationen und der Sportbewegung schützt«, hieß es in einer Erklärung . Das widerspreche der olympischen Charta und schade dem Ruf der olympischen Bewegung, hieß es. Den Begriff der Menschenrechtsverletzung vermied das IOC in der Veröffentlichung allerdings.

Lukaschenko wurde von allen Veranstaltungen des IOC, auch von den Olympischen Spielen, ausgeschlossen, das IOC stellte zudem vorerst alle finanziellen Zuwendungen für das NOK von Belarus ein.

Das IOC folgt damit den Forderungen belarussischer und internationaler Athletenvereinigungen aus den vergangenen Wochen, auch wenn es auf diese in seiner Erklärung am Abend nicht näher einging und nur von »erhaltenen Anschuldigungen« schrieb. Sportler und Sportfunktionäre hatten zuletzt wiederholt gegenüber dem IOC Menschenrechtsverletzungen durch die belarussische Führung beklagt.

Die Belarusian Sport Solidarity Foundation (BSSF) zeigte sich in einer ersten Reaktion am Abend zufrieden mit den Sanktionen. »Das ist sehr wichtig für die ganze Sportwelt, da es um Gerechtigkeit geht«, sagte Alexander Apeikin, Handball-Funktionär im Exil und Mitgründer der BSSF, dem SPIEGEL. »Das Beispiel der belarussischen Athleten zeigt, dass alle Sportler für ihre Rechte kämpfen müssen. Es ist ein wichtiger Schritt in der Promotion von Menschenrechten im Sport.«

Belarus befindet sich seit den Präsidentschaftswahlen im August in einer schweren innenpolitischen Krise. Staatspräsident Lukaschenko ist im Land hochumstritten. Nach seiner vermeintlichen Wiederwahl im Sommer war er gewaltsam gegen Demonstranten vorgegangen. Die Demokratiebewegung fordert seinen Rücktritt, die Freilassung aller politischen Gefangenen und Neuwahlen. Auch etwa 1200 Sportler und Sportfunktionäre hatten sich den Forderungen in einem offenen Brief angeschlossen, obwohl diese sich oft über Stipendien oder Anstellung in direkter Abhängigkeit zum Staat befinden. Danach kam es offenbar zu gezielten Maßnahmen gegen sie.

Sportler erlitten Jobverlust, Gewaltanwendung und Inhaftierung

Die BSSF hatte dem IOC nach mehreren Wochen internen Austauschs vor zwei Wochen eine Liste mit über 65 Fällen und Belegen geschickt, in denen Sportler, Trainer und Funktionäre systematischer Repression ausgesetzt gewesen sein sollen. Unter den Betroffenen waren demnach auch olympische Medaillengewinner und Olympiateilnehmer, etwa aus den Sportarten Leichtathletik, Judo, Eishockey, Schwimmen und Basketball. Die Fälle reichten von Inhaftierungen über Gewaltanwendung bis hin zu Jobverlust, Suspendierung vom Sportbetrieb und Nationalmannschaften.

Der Argumentation der Sportler nach handelte es sich um systematische Menschenrechtsverletzungen, die auch den ethischen Prinzipien der olympischen Charta widersprechen. Als besonders problematisch wurde außerdem die unmittelbare Anbindung des Sports an die Staatsführung ausgemacht: Staatspräsident Lukaschenko und sein Sohn sind zugleich Präsident und Vizepräsident des NOK von Belarus.

Maximilian Klein, bei Athleten Deutschland verantwortlich für den Bereich internationale Beziehungen, sagte dem SPIEGEL am Abend, man begrüße die angekündigten Maßnahmen. »Darüber hinaus sollte sich das IOC nun vollumfänglich zu seiner menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht bekennen und aufarbeiten, wie es überhaupt so weit kommen konnte: Hat sich die jahrelange Duldung der Personalunion von politischer und sportlicher Führung nachteilig auf die Menschenrechte der Athleten ausgewirkt?«

Athleten Deutschland hatte in den vergangenen Wochen zu den internationalen Unterstützern der belarussischen Sportler gehört und sich unter anderen mit Unterstützerschreiben an das IOC, aber auch an die Mitglieder des Deutschen Bundestags gewandt. Die olympische Bewegung müsse künftig »den menschenrechtlichen Risiken, die mit ihrer Geschäftstätigkeit verbunden sind, proaktiv begegnen«, sagte Klein weiter. »Deshalb sollte sie dringend eine Menschenrechtsstrategie auf Grundlage der Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umsetzen.«

»Erwartung an Kurswechsel nicht zu hoch hängen«

Auch Dagmar Freitag, die Sportausschuss-Vorsitzende in Deutschen Bundestag, plädiert dafür, vor einem vorzeitigen Lob für das IOC abzuwarten. »Entscheidend wird der weitere Umgang des IOC mit dem NOK von Belarus sein. Wie schnell das IOC Sanktionen auch wieder revidieren kann, haben wir zuletzt im Falle der russischen Olympiamannschaft am Ende der Winterspiele in Pyeongchang gesehen«, teilte sie dem SPIEGEL mit.

Auch wenn die Entscheidung grundsätzlich zu begrüßen sei, dürfe »man nicht übersehen, dass es wohl vor allem der öffentliche Druck mutiger Athlet*innen aus Belarus, von unabhängigen internationalen oder nationaler Athletenorganisationen wie Athleten Deutschland und nicht zuletzt der Medien war, die diese Entscheidung maßgeblich vorangetrieben haben.«

Und weiter: »Ich würde die Erwartungen auf einen grundsätzlichen Kurswechsel nicht zu hoch hängen, sondern wirklich erst die weitere Entwicklung abwarten. Wie wird das NOK von Belarus konkret reagieren? Welche Maßnahmen oder Zusagen reichen dem IOC möglicherweise schon aus, um die Sanktionen teilweise oder in Gänze zurückzunehmen? All das wird man vor einer endgültigen Bewertung abwarten müssen.«

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