In wenigen Tagen starten mit einem Jahr Verspätung die Olympischen Sommerspiele in Tokio. Am Freitag steigt die Eröffnungsfeier – wegen der Corona-Pandemie in einem Stadion mit leeren Rängen.
Felix Lill, SPIEGEL-Reporter:
»Also die Euphorie, die sich die Veranstalter erhofft haben, die ist tatsächlich nicht zu spüren. Viele Leute, wenn ich jetzt mit meinen persönlichen Kontakten spreche, sind jetzt gar nicht mehr begeistert von dem Thema. Die schütteln einfach den Kopf. Da gibt's eine Menge Resignation. Weil dieses Event einfach stattfindet, obwohl die meisten Leute das eigentlich nicht wollen und seit eineinhalb Jahren schon nicht wollen. Seit die Pandemie begonnen hat.«
Laut Umfragen hätte sich eine Mehrheit der Japanerinnen und Japaner gewünscht, dass die Sommerspiele erneut verschoben oder ganz abgesagt worden wären. Sie fürchten, dass Olympia zum Superspreading-Event wird. Denn mit Athleten, Betreuern und Offiziellen kommen etwa 100.000 Menschen nach Tokio.
Yoshizo Watanabe, Demonstrant:
»Ich mache mir Sorgen. Es werden viele Menschen aus verschiedenen Ländern kommen. Ich mache sie nicht verantwortlich, aber Risiken wie das durch die Delta-Variante werden so größer. Ich bin also klar dafür, dass wir die Spiele absagen.«
Yukari, Demonstrantin:
»Die Menschen in Japan haben schreckliche Angst. Aber die Regierung erklärt nichts, gibt uns keine wissenschaftlichen Gründe. Ich schäme mich. Ich schäme mich dafür, dass unser Premierminister sich nicht erklären will und kann.«
Felix Lill:
»Das ist nicht die übliche Art, Konflikte zu lösen, in dem Land auf die Straße gehen und lauthals zu protestieren. Insofern ja, das ist ein Indikator dafür, dass ziemlich viele Leute ziemlich sauer sind, wenn man auch nur Hunderte auf der Straße hat und protestieren sieht gegen diese Spiele.«
Aber das IOC und die japanische Regierung ziehen Olympia trotzdem durch. Sie verweisen auf die strengen Regeln.
Masa Takaya, Sprecher des Organisationskomitees:
»Für das IOC und Tokio 2020 ist es klar, dass es sicher ist, im olympischen Dorf zu wohnen.«
Schon vor dem Start gab es nun allerdings erste Infektionen innerhalb des Olympischen Dorfs. Die Veranstalter bemühen sich nun zu betonen, dass die Fälle schnell erkannt und eingegrenzt werden. Aber in den Regeln gibt es auch Lücken.
Felix Lill, SPIEGEL-Reporter:
»Ich kann es als einer der Journalisten beurteilen. Man hat zwei Wochen sehr strenge Regeln. Gleichzeitig darf man – aber weil man am Anfang nicht im Hotel essen darf, weil das als zu gefährlich gilt – dann aber 15 Minuten raus aus dem Hotel, um sich etwas zu essen zu kaufen. Und solche Regeln, die intiuitiv erstmal nicht viel Sinn ergeben – davon gibt es einige.«
So bleibt für die japanische Bevölkerung ein Risiko.
Felix Lill, SPIEGEL-Reporter:
»Anfang letzter Woche hat die Präsidentin der japanischen Ärztinnen Organisation gesagt, dass ist ein Affront gegen den Versuch, Leben zu retten, diese Olympischen Spiele jetzt zu veranstalten. Sie ist relativ überzeugt davon, dass das Virus hier sehr deutlich weitergetragen wird, und Leute, die diese Haltung haben, davon gibt es einige.«
Ein Problem: Im Olympischen Dorf arbeiten viele freiwillige Helfer, die Infektionen in die Stadt tragen können. Einer von ihnen ist bereits infiziert.
Und in Japan steigen die Infektionszahlen gerade ohnehin extrem schnell, das Land steht am Beginn einer dritten Welle. Und erst rund 20 Prozent der Bevölkerung sind zweimal geimpft.
Sportlerinnen und Sportler äußern sich nur vorsichtig. Für sie ist es ein schmaler Grat, weil sie auch auf ihre Sponsoren angewiesen sind. So sind es eher die älteren, die sich meinungsstark zeigen.
Felix Lill, SPIEGEL-Reporter:
»In Japan ist das zum Beispiel Hitomi Niiya. Das ist eine Langstreckenläufer, die schon bei mehreren Olympischen Spielen teilgenommen hat. Und die hat zum Beispiel mal gesagt, das war noch im letzten Jahr, als Corona aber schon lief, dass sie als Athletin natürlich diese Spiele will, aber als Privatperson nicht.«
Dass ihr Land dieses Risiko eingeht, wundert viele Japanerinnen und Japaner vor allem, weil das, was die größte Sportveranstaltung der Welt ausmacht, ohnehin fehlt: die Gäste aus der ganzen Welt.
Hinzu kommt der finanzielle Aspekt: Die Spiele werden ein Verlustgeschäft, das ist längst klar. Aber dann – so denken wohl die Veranstalter – sollen sie nach den hohen Investitionen immerhin stattfinden. Es geht auch noch um viel Geld für Fernsehrechte und von Sponsoren. Aber selbst hier steigt die Ablehnung. Toyota ist bereits abgesprungen. Der japanische Autobauer wird keine Werbespots mit Bezug auf Olympia zeigen – wohl wegen der Skepsis in der Bevölkerung.
Und dann spielt auch noch das belastete japanische Verhältnis zu China eine Rolle.
Felix Lill, SPIEGEL-Reporter:
»Die japanische Regierung hat relativ schnell erklärt, dass diese Spiele den Sieg der Menschheit über die Pandemie markieren sollen. Danach sieht es natürlich jetzt überhaupt nicht aus. Warum diese Spiele dennoch stattfinden? Da wird einerseits als Erklärung angeführt, aber natürlich auch die ist nicht offiziell geäußert worden von der Regierung, dass man vermeiden will, dass danach China diese Erklärung des Siegs der Menschheit über die Pandemie zufällt, wenn nämlich Peking 2022 die Winterspiele veranstaltet. Insofern wäre es vielleicht schmerzhaft für die ziemlich nationalistisch orientierte japanische Regierung, wenn Japan das nicht kann und China dann schon.«
So wird Olympia mal wieder auch zu einem politischen Wettkampf. Welchen gesundheitlichen Preis Japan dafür zahlen muss, werden die nächsten Wochen zeigen.