Sportstätten im Industriegebiet von Peking Wo Olympia hingehört

Big Air im Vordergund, Kühltürme im Hintergrund
Foto:TINGSHU WANG / REUTERS
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In diesen Tagen geht ein Bild der Olympischen Winterspiele von Peking in den sozialen Medien umher, das nach Ansicht vieler Symbolkraft für diesen Ausrichter ausdrücken soll.
Das Bild zeigt die Sprungschanze der Big-Air-Freestyler in Shougang, die Anlage steht mitten in einem Industriegebiet. Im Hintergrund grüßen Kühltürme und ein altes stillgelegtes Stahlwerk, das vor sich hindämmert.
»An der Freestyle-Arena zeigt sich die gesamte Absurdität der Winterspiele in Peking«, titelt der »Focus«, bei Twitter wird das Foto herumgereicht mit dem Kommentar: »Mal ehrlich, was machen wir hier eigentlich?«
Man könnte dem Twitterer die Antwort geben: Mal ehrlich, sie machen, was nur konsequent und logisch ist.

Freestyler vor Stahlwerk
Foto: PHIL NOBLE / REUTERSMan kann dem Olympia-Gastgeber China vieles vorwerfen, fast alles, aber dass er eine Skianlage in eine Industriebrache setzt, gehört zu den wenigen Dingen, bei denen man im Zusammenhang mit Peking 2022 beifällig nicken darf.
Das IOC hat die Olympischen Spiele zu einer Industrie gemacht. Die Big-Air-Schanze von Shougang steht daher genau dort, wohin Olympia gehört: ein Gewerbe vor der Kulisse eines Gewerbegebiets.
In Sotschi auf einem Kirmesgelände
Der Olympiapark von Sotschi vor acht Jahren war in ein Vergnügungs- und Kirmesgelände inklusive Riesenrad eingebettet, im Sommer wird hier Formel 1 gefahren, im Grunde wies schon während der Spiele dort nichts auf Winter hin. Ein Gelände, auf dem sich die Sponsoren mit ihren Produkten präsentieren konnten und dazwischen standen ein paar große Sporthallen im Weg. Zeugnis dessen, was Olympia ist. Ein Business.
Stadionbauten sind längst in solchen Arealen integriert, die Arena in Fröttmaning, wo der FC Bayern spielt, ist eine Wüstenei, gegen die Shougang geradezu pittoresk wirkt. Die HSV-Arena wurde jahrelang wegen der Nachbarschaft zur Müllverbrennungsanlage in Hamburg-Stellingen verspottet.
Die Bilder aus Shougang, es sind jedenfalls ehrlichere Bilder als die von Wintersportstätten, die eine Einbindung in die Natur vorgaukeln und doch nur zur Zerstörung derselben beitragen. Wenn man die Wahl hat, eine Big Air Schanze vor einen Kühlturm oder in einen Wald zu setzen, sollte man nicht lange überlegen müssen.

Wenn Sportstätten im Industriegebiet stehen
Die Umweltsünden gibt es in Peking auch, man muss leider sagen, natürlich gibt es sie: Die Abfahrtspiste mit dem Kunstschnee, die sich aus der Luft betrachtet wie ein böser Lindwurm in die schneefreie Umgebung fräst, die milliardenschwere Bob- und Rodelanlage inklusive gigantischem Hotelkomplex unweit der Chinesischen Mauer, von der man nicht weiß, ob sie anschließend als Freizeitpark oder als Sportanlage eine Zukunft haben wird.
Angemessene Idee
Aber das Bild von der Big Air als Beleg zu nehmen, dass die Spiele jetzt völlig außer Kontrolle geraten sind, ist genau falsch. Es ist vermutlich die am meisten angemessene Idee für eine Olympiastätte von allen.

Das gigantische Bob- und Rodelcenter in den Bergen von Yanqing
Foto: DANIEL MIHAILESCU / AFPDie Big-Air-Anlage ist gebaut von der deutschen Firma Schneestern von Inhaber Dirk Scheumann. Scheumann hat schon in Pyeongchang vor vier Jahren für die Sportstätten der Freestyler gesorgt, in Peking erhielt er den Auftrag, die erste Big Air zu konzipieren, die auch nach den Spielen stehen bleiben soll. Für ihn ein Zeichen, »dass das Thema Action-Sports jetzt wirklich angekommen ist«, wie er der »Süddeutschen Zeitung« gesagt hat.
Das sieht selbstverständlich surreal aus, eine Anlage mitten ins Industriegrau hineinzupacken. Aber Shougang wird schon seit Langem von einem Industrie- zu einem Freizeitpark umfunktioniert. Hier qualmt und stinkt schon lange nichts mehr. Es ist nur noch ein Industrie-Disneyland.
Der Kühlturm neben der Schanze – wäre dies Olympiamachern in einer westlichen Metropole eingefallen, in London, in München, in Mailand wären die Kommentare womöglich eher in die Richtung ausgefallen, welch coole industrieromantische Idee das darstelle, statt darüber als »typisch Peking« die Nase zu rümpfen.
Für die Olympiabewerbung des Ruhrgebiets, die mindestens so stillgelegt ist und vor sich hin rottet wie das Stahlwerk von Shougang, ist das doch eine lohnenswerte Anregung.