Deutsche Gold-Sensation mit Zweitbesetzung Der Lauf ihres Lebens

Katharina Hennig und Victoria Carl (v.l.)
Foto:Daniel Karmann / dpa
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Victoria Carl zitterte nach eigener Aussage »am ganzen Körper«, Katharina Hennig konnte es »nicht fassen«. Die beiden Langläuferinnen schwankten im Skizentrum von Peking noch lange nach der großen Sensation immer noch zwischen Unglauben und unendlichem Freudentaumel.
Hennig und Carl sind bei den Olympischen Winterspielen von Peking zu Gold im Teamsprint gelaufen. Nach Jahren der Tristesse im deutschen Langlauf und medaillenlosen Spielen 2018 in Pyeongchang ist es bereits die zweite völlig unerwartete Medaille. Zuvor hatte die Staffel schon Silber gewonnen.
»Ich bin voller Adrenalin. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich laufe herum wie Falschgeld«, sagte Victoria Carl. Und Hennig: »Gefühlt sind wir im falschen Film. Wir können es noch gar nicht richtig fassen, was wir gemacht haben.« Es sei »unglaublich, dass wir auf das Staffelsilber noch einen draufsetzen konnten.«

Victoria Carl auf der Ziellinie
Foto: PETER KLAUNZER / EPADabei hatten die vage gehegten Medaillenhoffnungen des deutschen Teams am Morgen noch einen mutmaßlichen Dämpfer erhalten. Eigentlich war Katherine Sauerbrey an der Seite Hennigs für den Wettbewerb geplant gewesen. Nachdem sie in der Silberstaffel bei ihren ersten Spielen noch als Startläuferin überzeugt hatte, entschied sie sich gegen den Start im Sprint. Die 24-Jährige fühlte sich nach den harten Tagen »nicht zu 100 Prozent fit«, teilte der Verband mit – ein im Spitzensport nicht selbstverständliches Eingeständnis.
Ersatzfrau Carl musste also ran. Bei zweistelligen Minusgraden, das Gesicht gegen den eisigen Wind abgeklebt mit schwarzrotgoldenen Tapes, aber immerhin auch Sonnenschein ging es in die Loipe auf die 6x1,5 Kilometer. Und es lief von Beginn an, sie folgten dem Tempo der Favoritinnen. Beim letzten Wechsel führte Deutschland knapp vor Finnland und den USA. Später sagte Carl: »Erst am letzten Berg habe ich gemerkt, dass es um eine Medaille geht.«
Im Schlussspurt besiegte sie Schweden (+0.17 Sekunden) und Russland (+0.71s) um einen Wimpernschlag. Teamkollegin Katharina Hennig schrie sie förmlich über die Ziellinie. Schon im Halbfinale hatten Hennig und Carl ihren Lauf vor den USA und Österreich gewonnen. Am vergangenen Samstag hatten beide gemeinsam mit Katherine Sauerbrey und Sofie Krehl Silber mit der Staffel gewonnen – schon das war eine große Überraschung.
Bundestrainer Peter Schlickenrieder hatte für den Teamsprint vorher noch das Erreichen des Finales als »super« Ziel genannt – erst recht nach der kurzfristigen Teamumstellung. Nach der Goldmedaille rang er im ARD-Interview mit den Tränen.
»Das ist ein brutaler Traum. Ich muss mich ein bissel zusammenreißen. Wahrscheinlich realisiert man das erst in zehn oder 20 Jahren«, sagte er. Ihm brach die Stimme, er musste mehrfach schlucken. »Ich glaube, ich könnte den ganzen Tag heulen.«
Schlickenrieder wurde an diesem Mittwoch 52 Jahre alt. Carl und Hennig haben ihm wohl das denkbar schönste Geburtstagsgeschenk gemacht.