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OLYMPIA / FILM Optische Orgien

aus DER SPIEGEL 47/1970

»Filmen ist die Poesie unserer Tage«, verkündete Fernseh-Produzent Peter von Zahn. Nun suchen die Olympia-Macher von München den Film-Autor, der ihre Spiele für alle Erdteile und alle Zukunft poetisch überhöht.

Einige Konkurrenten für den Olympiafilm 1972 sorgten sich bei einer Diskussion anläßlich der II. Sportfilmtage In Oberhausen vor allem uni die Finanzierung. Denn von bisher elf filmischen Olympia-Dokumenten füllte nur eins die Kassen:

Noch im Vor-Fernsehzeitalter hatte sich die frühere Schauspielerin Leni Riefenstahl durch Propagandastreifen Über Nürnberger Reichsparteitage In Hitlers Augen als Olympia-Filmerin für 1936 qualifiziert.

Weil Goebbels ihr gestandene Kameraleute verweigerte, bildete sie eigene Teams aus. So erwiesen sich von 400 000 Filmmetern 300 000 als unbrauchbar. Ein Kamerastand versperrte Ehrengästen die Sicht, Blitzlichter ließen Pferde scheuen.

Aber ihr »Fest der Völker« spielte mehr als zehn Millionen Mark ein. Stalin schickte handschriftliches Lob. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) verlieh der Riefenstahl ein Olympisches Diplom. 1956 wählten Hollywood-Experten das Olympia-Opus unter die zehn besten Filme der Welt.

Die Olympia-Filmerin hatte beispielsweise den Marathonlauf zum Dauerdrama stilisiert, den Sieg des koreanischen Außenseiters Kitei Son zum Triumph schlechthin. Der Zweikampf etwa zwischen dem schwarzen US-Weitspringer Jesse Owens und dem Deutschen Lutz Lang veranschaulichte äußerste Anspannung und Erschöpfung über die Tagesaktualität hinaus.

Nach ähnlichem Rezept verfuhren die Nachfolger -- mehr oder weniger gelungen. Bewußt verzichteten alle auf olympische Vollständigkeit. » In den Filmen über die Spiele von 1956 und 1968 fehlen sieben Sportarten völlig,

Der Japaner Kon Ichikawa Inszenierte beim Olympia 1964 in Tokio mit 164 Kameraleuten und 57 Tontechnikern eine Orgie in Optik, konfrontierte das klassische Kimono-Japan mit modernem Spitzensport. Mexiko beauftragte seinen früheren Spitzenschwimmer, den Schriftsteller und Maler Alberto Isaac. Er ließ 500 000 Meter belichten. Unterwasser-Kameras ertappten Wasserballspieler, die im Tiefen traten und tunkten, zerrten und zogen, während sie an der Oberfläche Unschuldsmienen vorzeigten.

Von allen Olympia-Organisatoren freilich verlangt das IOC einen »vollständigen photographischen Bericht« für das Olympia-Museum. Den Pflicht-Film für 1972 will das Fernsehen aus seinem Material erstellen. Den Auftrag für den anspruchsvolleren Olympiafilm (voraussichtliche Kosten: sechs Millionen Mark) wird das Münchner Organisations-Komitee (OK) auf seiner nächsten Sitzung vergeben.

Windrosen-Chef Peter von Zahn schlägt vor, acht- bis zwölf minütige Episoden von zwölf international er-. folgreichen Regisseuren aneinanderzureihen. Boutiquen-Inhaber und Bobfahrer Gunter Sachs möchte einen unbekannten Olympiakämpfer ohne Medaillenchance als Helden der München-Spiele aufbauen.

Jung-Filmer Peter Schamoni plant, international erfahrene Regisseure einzuspannen und nach dem Muster des Beat-Festival-Films »Woodstock« alles festzuhalten, was zum Olympia beiträgt: Athleten und Zuschauer, Funktionäre und Einheimische. Der Hamburger Film-Produzent Walter Knoop bot Regisseur Bernhard Wicki an.

Willi Bogner, Sportfilmer und früher ein Slalomläufer der Weltklasse, will die Spiele gleichsam durch die Augen der Sportler aufnehmen und so die Probleme von Rasse und Politik, der Manipulation und Ideologie sichtbar machen, die beim Olympia aufeinanderprallen. Dazu möchte er Athleten schon vor den Spielen beobachten. Vor Dreh-Hindernissen etwa im Ostblock bangt ihm nicht: »Ich habe schon Bundeskanzler Brandt um Unterstützung gebeten.«

Doch soviel sickerte durch: Kein Kandidat erhält den Auftrag allein. Wahrscheinlich müssen von Zahn, Schamoni und Bogner zusammenarbeiten.

Als Produzent bot sich jüngst die Firma Videophon an, eine gemeinsame Tochter der Verlage Bertelsmann, Gruner und Jahr. Sie erhofft sich vom Olympiafilm Auftrieb für das Kassetten-Fernsehen.

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