FUSSBALL Pan con Leberwurst
Der Jüngling Jerome ist elf Monate alt und hat es mächtig an den Bronchien. Auch die Nase ist dicht. Nichts hilft: kein warmer Tee, keine Sandkiste, und die Fettcreme, die ihm der Vater zum Schutz vor dem spanischen Sonnenstrahl ins Gesicht schmiert, schon gar nicht - das Kind ist schwer verquengelt.
Aus der Küche eilt die Hausdame Rosa zur Hilfe. Sie fährt eine Leberwurststulle auf, akkurat geschnetzelt in viele kleine Planquadrate.
»Ah, pan con Leberwurst«, entfährt es dem Vater. Bodo Illgner, 29, schiebt seinem Sohn die wurstigen Würfel zwischen die Zähne, und sogleich legt sich Frieden über das Eckgrundstück im Madrider Villenvorort »La Moraleja«.
Aus der Ferne weht das Gebell von Hunden in den Garten, auf dem Pool schwimmt noch etwas Unrat, den der Winter hinterlassen hat. Der Hausherr zieht sich die Sonnenbrille vor die Augen und sagt: »Wir kommen schon zurecht.«
In die Sonne tritt Gattin Bianca. Ihre Lippen tragen die Farbe vollreifer Tomaten, an ihren Körper schmiegt sich ein schwarzer Stretch-Anzug mit weißen Streifen an der Seite und der Nummer fünf über der Brust. »Hab'' ich doch ganz gut ausgesucht hier, oder?« Sodann bittet Frau Illgner an den Tisch - »ich habe ein paar Kleinigkeiten herrichten lassen«.
Bloß nichts Schweres um die Mittagszeit, zumal sie das Frühstück wie gewöhnlich erst um zwölf eingenommen hat. Rosa trägt Platten mit südländischen Köstlichkeiten ins Freie, Scampi und Tintenfischringe und Schinkenhappen mit halben Oliven obendrauf und einen Teller Nudeln für die große Tochter Joline.
Kein Zweifel, das Ehepaar Illgner ist auf dem Gipfel angekommen. Seine Arbeitsteilung hat sich mal wieder als richtig erwiesen: Er hält Fußbälle, sie hält die Hand auf. Er betreibt Sport, sie betreibt das Geschäft.
Einfach fabelhaft, wie die 34jährige ihren Bodo im August letzten Jahres von Köln nach Madrid dirigierte. Um drei am Nach-
mittag ging das Telefon, und jemand sagte ihr, daß Real Madrid ihren Mann kaufen
wolle. Um fünf kam Bodo nach Hause, und sie sagte ihm, daß sie gleich zusammen nach Madrid flögen. Um neun saßen sie im Learjet und sagten sich, daß es sich lohnen müsse. Um Mitternacht unterschrieb er, was sie ausgehandelt hatte: 2,3 Millionen Mark netto für die Saison, drei Jahre lang. Haus nach Wahl und Auto nach Wahl, natürlich auf Klubkosten.
Ein vergleichbares Husarenstück ist nicht mal solchen Kollegen gelungen, die ihr Vertragswerk von hauptamtlichen Spielerberatern austüfteln lassen. Wo andere Prozente abdrücken, schickt Bodo seine Bianca vor.
Daß nach vorn strebende Menschen ihre Angelegenheiten selbständig ordnen, ist zwar so ungewöhnlich nicht - im Fall Illgner allerdings lagen die Dinge immer etwas anders.
Schon Ende der Achtziger, da Frau Illgner noch Fräulein Öttinghaus war, steht der Sohn eines Berufssoldaten mit bemerkenswerter Offenheit Modell für eine neue Gattung des Fußball-Profis. Bodo Illgner spielt Torwart, weil er damit so viel Geld verdienen will, daß es sich auch später noch nett leben läßt.
Die Branche reicht ihn als ihren Yuppie durch, weil er karrierebewußt ist, erfolgsorientiert und eigennützig, weil er Abitur hat und eine druckreife Sprache. Nie kommt ihm dabei Männerbündlerisches über die Lippen, die Fußballmannschaft als Elf-Freunde-Verein kennt er nicht, weil es solche Lagerfeuerromantik nicht mehr gibt in einem Kreis von Unternehmern, die sich im Fünfsternehotel treffen.
Suspekt wird Illgner seinem Publikum erst, als Fräulein Öttinghaus zur Frau Illgner wird. Weil die von forschem Wesen ist, setzt sie das in die Tat um, was ihr Bodo lieber nur denkt. Während der Weltmeisterschaft vor drei Jahren in den Vereinigten Staaten merkt er, daß ihm Fußball im Kreis der Nationalspieler »keinen Spaß mehr macht«.
Und weil es zudem in der seinerzeit darniederliegenden Auswahl nichts mehr zu verdienen gibt, weder Geld noch Ansehen, tritt er zurück - auf ausdrückliches Zuraten der Gemahlin.
Nicht, daß die sich je als Schrittmacherin für die Rechte der Frauen im allgemeinen verdächtig gemacht hätte. Sie gerät bloß in den Clinch mit den zuweilen etwas verpupten Wertbegriffen der deutschen Fußballwelt. Die hält etwa für die Ehefrauen ihrer Mitglieder das Fachwort »Spielerfrau« bereit, was immer so klingt, als werde die Stute dem Hengste zugeführt.
Bianca Illgner allerdings hat nicht nur einen feinen Sinn für den galoppierenden Geschäftsgang, sie nimmt sich auch das Recht, ihren Angetrauten im Mannschaftsquartier heimzusuchen. Und prompt ist bild in Vertretung der Nation als Inquisitor zur Stelle: »Herr Illgner, haben Sie sich mit Ihrer Frau im Hotel getroffen?«
Daß der Bannstrahl des Fußballsports immer auf solche Damen zielt, die in der Welt von Soll und Haben zu Hause sind, hat früher schon Gaby Schuster erfahren und später Martina Effenberg oder Angela Häßler. Bloß ist Bianca Illgner immer eine Idee greller gewesen als die anderen; und sie tritt mit künstlicher Haarverlängerung im Fernsehstudio auf, weil ihr das eben so gefällt; und sie trägt eine Garderobe, die manchmal so aussieht, als habe sie denselben Kostümschneider wie Komiker Wigald Boning, nur etwas stärker auf Figur geschnitten und irgendwie auch luftiger.
In der Summe ist das offenkundig im Sinne des gesellschaftlichen Konsenses über dem Limit. Die süddeutsche zeitung mokiert sich über »die Frauenrechtlerin in Hot pants«, und daß Harald Schmidt nach Bettina Böttinger ein neues Frauenopfer gefunden hatte, war eh klar: Das erste Wort, das Bianca im Spanischen aus dem Effeff beherrsche, war vorgeblich »la ola permanente": »die Dauerwelle«.
Ja, und? »Alles Komplexe«, wirft sie jenen entgegen, die sie in Deutschland angefahren haben. So was treffe sie nicht mehr, sagt sie mit demonstrativer Selbstgewißheit. Ist ja nicht so, als würde man es mit ihrer Art zu nichts bringen.
Der schnieke Bungalow hat einen BMW vor der Tür und sieben Zimmer und eine Gesindekammer für ein philippinisches Ehepaar, das von morgens um sieben bis
abends um elf den Haushalt ins Lot bringt und inzwischen sogar selbstgeraspeltes Müsli herrichten kann.
Derzeit sind die Filipinos auf Heimaturlaub, sie hatten es überhaupt ziemlich gut bisher bei den neuen Herren: Das Haus ist nämlich so raffiniert verkabelt, daß die Angestellten theoretisch von jedem Zimmer aus über einen Klingelknopf erreichbar wären. Wenn die Deutschen nur wollten, wären die Filipinos ständig auf Achse, aber die Deutschen wollen nicht, es sei denn, sie sitzen zu Tisch. Da klingeln sie dann doch schon mal. »Sonst würden die ja ständig stören«, weiß die Chefin aus der Erfahrung der ersten Zeit.
Daß die Illgners nun ausgerechnet beim weltberühmten Real Madrid ankamen, ist im Grunde nur konsequent. Real ist das Zentrum des Kapitals, Real definiert sich wie kein zweiter Fußballverein über Geld und Gloria.
Täglich sind in der »Sala de Trofeos«, einer Gedenkstätte, die wirkt, als sei hier der Kalif von Cordoba einbalsamiert, mehrere blaubekittelte Damen mit Silberputztüchern dabei, die 1200 Pokale im Glanz zu halten.
Zwar lasteten im Sommer noch 180 Millionen Mark Schulden auf dem Klub, aber dennoch hat er ungerührt 50 Millionen für neues Personal ausgegeben, man ist hier nicht so pingelig.
Wer ein anständiger Profi von Real ist, trägt gleich zwei Funktelefone bei sich, eins für den geschäftlichen Belang, das andere für private Angelegenheiten. Und weil die meisten sehr aufwendige, zum Teil mit Lenkrädern aus Mahagoniholz ausgestattete Automobile lenken, ist auf dem Trainingsgelände sogar der Parkplatz umzäunt und wird von Wachmännern ständig beobachtet.
Eine knappe Hundertschaft wichtiger Menschen im Range von Klubdirektoren ist für den sechsmaligen Europapokalsieger tätig, zu viel, als daß sich auf der Ehrentribüne noch freie Plätze fänden. Für Zugereiste ist das gewöhnungsbedürftig, Frau Illgner hatte anfangs ihre Probleme damit.
Ausgerechnet vor Bodos erstem Heimspiel hatte man ihr einen Platz auf dem schäbigen Seitenrang zugewiesen. Sie ist dann stracks mit ihrer Karte in die Geschäftsstelle gelaufen und hat »den Herren« Bescheid gesagt. Wann immer sie es in Zukunft wünscht, soll es nun ein besseres Ticket geben, Tribüne Mitte.
Solche Irritationen sind zu verkraften, solange es im wesentlichen stimmt. Und da gibt es wirklich gar nichts: Bodo und Bianca Illgner haben in Madrid ihre Lebensstellung gefunden. In der Zeitung liest er meistens nur freundliche Sachen über sich und sonst gar nichts, er ist hier »der deutsche Schrank« oder auch bloß »el Grande«. Sein Trainer Capello sagt, ohne el Grande wäre Madrid jetzt nicht Tabellenführer.
Früher in Köln mußte der Weltmeister von 1990 nicht nur Bälle fangen, sondern gelegentlich auch zu seiner Überzeugung stehen, was er eigentlich nur dann tat, wenn mal wieder jemand Beschwerden über Illgners Ehefrau hatte. Dann gab er Interviews und keilte zurück. Wenn er die Gesprächsmanuskripte noch mal gegenlas, erschrak er meistens und entschärfte die Sprengsätze.
Bodo Illgner hat nichts von dem, was seine deutschen Vorfahren bei Real Madrid hatten. Günter Netzer hielt es mit den 68ern, Paul Breitner mit Mao Tse-tung und Ché Guevara, Bernd Schuster mit dem Widerstand aller Art. Illgner leistet sich nicht mal eine kleine Macke: »Ich bin eben der gute Torwart.«
Und von dem gibt es im Fanshop bestenfalls eine Autogrammkarte für 100 Peseten. Die richtig Großen, Raúl, Suker oder Mijatovic, sind hier auf Wimpelchen zu haben, für 495 Peseten das Stück.
Der Mann aus Deutschland kann, wenn er etwa nach dem Spiel vorige Woche gegen Santander geduscht hat, von Fans und Reportern weitgehend unbehelligt in seinen Peugeot steigen - mit einer Paketsendung aus der Heimat unter dem Arm: Sein Ausrüster hat neue Badelatschen und einen neuen Bademantel geschickt.
Die Ehefrau muß nur den Bestellschein ausfüllen, und schon ist die Ware da. Solche Arbeiten macht sie mal eben nebenbei, denn es ist weiß Gott nicht so, daß sie sonst nichts zu tun hätte. Wenn Bianca Illgner nicht gerade im Keller an ihren Fitneßgeräten übt ("anderthalb Stunden täglich"), sorgt sie dafür, daß das Geld auch anständig arbeitet: »Man kann das ja nicht einfach rumliegen lassen.« Gelegentlich muß sie auch den Spaniern aufs Dach steigen - Netto-Verträge haben ihre Tücken, das deutsche Finanzamt will Bescheinigungen sehen, und in Spanien bleiben die Bescheinigungen meistens irgendwo stecken. »Aber das bring'' ich denen auch noch bei.«
Während er wieder mit Erste-Hilfe-Maßnahmen für den schwächelnden Jerome befaßt ist ("Soll ich ihm jetzt noch etwas überziehen?"), ist sie bereits bei den Herausforderungen, die die Zukunft mit sich bringen wird.
Bianca Illgner will beim Internationalen Fußball-Verband eine Lizenz als Spielerberaterin erwerben. Was gut war für den Bodo, kann nicht schlecht sein für die Nachfahren. So ein Gewerbeschein kostet allerdings erst einmal 200 000 Schweizer Franken, und deshalb guckt sie jetzt auch verschärft auf die Pesete.
Dem Ehepaar von den Philippinen dürfte das zum Verhängnis geworden sein. Sobald der Heimaturlaub vorbei ist, wird auch bei den Illgners Schluß sein. Bianca läßt sich nämlich »nicht gern bescheißen«.
Neulich, sagt sie, sei sie ihnen auf die Schliche gekommen. Die beiden mußten auf den Markt, zum Einkaufen, für die Illgners. Bei der Abrechnung war die Chefin über eine satte Forderung von der Fischtheke gestolpert. Sie durchkämmte den Mülleimer und fand einen Beleg über Langusten.
Die Filipinos hatten nicht aufgepaßt. Familie Illgner ißt nämlich keine Langusten. Jedenfalls nicht jeden Tag.
* Am Montag der vorigen Woche beim 2 : 1 gegen Racing Santanderim Bernabeu-Stadion in Madrid.* Im Wohnzimmer ihres Madrider Hauses.