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TISCHTENNIS / WELTMEISTERSCHAFT Pannen an der Platte

aus DER SPIEGEL 18/1969

Ein Beifallssturm bekräftigte die Olympiazuversicht des Münchner Oberbürgermeisters Dr. Hans-Jochen Vogel: »Ich hoffe, daß Sie München als Freunde verlassen werden.« Im Schneesturm zerstob die vorolympische Hoffnung. Denn in der ungeheizten Eishalle spielten 450 Tischtennisspieler aus 56 Ländern um die Weltmeisterschaft -- und froren um die Wette.

»In diesem Eiskeller macht Tischtennis keinen Spaß«, nörgelte der Schwede Bo Persson. Sein Landsmann Hans Alser barg bei jeder Spielunterbrechung den Schläger unter der Bluse, damit die Gummibespannung nicht beschlug. Einige Teilnehmerinnen behielten sogar im Spiel ihre Handschuhe an. Der deutsche Meister Eberhard Schöler vermied hochfliegende Bälle. weil der Zugwind den zweieinhalb Gramm schweren Zelluloidball abtrieb. Die Österreicher ließen sich Wintermäntel nachschicken.

Obendrein verschnupften Siege der deutschen Gastgeber die Konkurrenz. Die Männer belegten in der Gesamtwertung den zweiten, die Frauen den fünften Platz -- so erfolgreich waren sie noch nie gewesen.

Dreieinhalb Jahre vor den Olympischen Sommerspielen 1972 in München sollte die am letzten Sonntag beendete Tischtennis-Weltmeisterschaft den Sportruhm der Olympiastadt mehren. Hagel und Frost während »der größten Hallensport-Veranstaltung der Welt«, so der Präsident des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) Dr. Dieter Mauritz« kühlten das Vertrauen der Teilnehmer in deutsches Organisations-Talent merklich ab.

Die sogenannte Mehrzweckhalle auf dem Olympiagelände Oberwiesenfeld besaß weder eingebaute Heizungen noch ein festes Dach. Gegen Regen und Wind zurrten die Organisatoren nur eine Plastik-Decke fest. Absinkende Temperaturen brachten zeitweilig sogar die hochempfindlichen Zählgeräte neben den Spieltischen ins Stottern. Erst am vierten Tag installierten die Veranstalter transportable Öfen.

»Durch diesen Mißerfolg«, klagte Oberbürgermeister Vogel, »sind wir in der Propaganda für die Olympischen Spiele um ein Jahr zurückgeworfen worden.« Der rührige OB hatte bereits 1966 die Titelkämpfe in seine Stadt geholt. DTTB-Generalsekretär Jupp Schlaf, 49, stimmte eigenmächtig zu, obwohl von der Austragungsstätte erst ein Modell existierte.

Als wenige Wochen später Münchens Vogel mit Hilfe des bundesdeutschen Olympiapräsidenten Willi Daume auch die Olympischen Spiele 1972 in den städtischen Veranstaltungskalender einzureihen vermochte, geriet Bayerns Hauptstadt in Bewegung. Die Tischtennis-Titelkämpfe erhielten nun den Rang eines Olympia-Manövers, obwohl Tischtennis keine olympische Disziplin ist. Denn: Die Zelluloid-Athleten unterscheiden nicht zwischen Amateuren und Profis.

Sogar Bundesinnenminister Ernst Benda lobte das Münchner Tischplatterln als »Förderung der Olympiastadt«. Doch Planungs-Pannen machten die olympische Hilfsaktion teuer. So schoß der Bund zu den Gesamtkosten von 750 000 Mark, denen nur 250 000 Mark an Einnahmen aus dem Kartenverkauf, Fernsehhonoraren und Industriewerbung gegenüberstanden, 230 000 Mark zu. 140 000 Mark brachte die Stadt München, 55 000 Mark ·das Land Bayern auf. Bayerns Ministerpräsident Goppel verärgerten die Ausgaben offensichtlich so sehr, daß er seinen Auftritt absagte.

Empfindlicher jedoch traf Organisator Schlaf die Absage der weltbesten, Spieler aus China. »Die Chinesen haben die gleiche Wirkung wie wir Deutschen vor dem Krieg«, erklärte er. »Damals füllten wir im Ausland die Hallen, weil alle glaubten, wir würden mit Hörnern auf dem Kopf spielen.« Doch während der Kulturrevolution maßregelte der chinesische Verband (20 Millionen Spieler) zwei seiner Weltmeister und blieb den Titelkämpfen in der Bundesrepublik (200 000 Spieler) fern.

So beherrschten Japaner und Deutsche den Plattenkampf. Den zweimaligen Dritten der letzten Einzelweltmeisterschaften, Eberhard Schöler aus Düsseldorf, spornte eine Intrige zur Höchstleistung an. Ein schwedischer Funktionär hatte durchgesetzt, daß der gefürchtete Deutsche nicht unter die gesetzten Favoriten eingereiht wurde und deshalb im Einzelwettbewerb frühzeitig auf die in der Weitrangliste höher eingestuften Spieler stieß.

Nun konzentrierte sich Schöler besonders auf den Swaythling-Cup für die beste Equipe. Er siegte 21mal und verlor nur ein Spiel. Erstmals seit Gründung der DTTB drang ein deutsches Herren-Team in die Endspiele einer Weltmeisterschaft vor.

Die deutschen Siege verdrängten vorübergehend alle Finanzquerelen. Doch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Sportbundes, Karlheinz Gieseler, befürchtet ein teures Olympia. »Was der Tischtennis-Bund da mit Zuschüssen gestopft hat«, rügte er, »war keine finanzielle Lücke, sondern ein finanzielles Loch.«

Und ein »Sprecher des Bonner Innenministeriums bemängelte: »Noch nie kostete uns eine Sportveranstaltung soviel Geld.«

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