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LEICHTATHLETIK Pillen und Sprünge

Am neuen deutschen Leichtathletik-Star Eva Wilms entzündete sich heftiger Streit: Sind Rekorde ohne verbotene Präparate noch möglich?
aus DER SPIEGEL 44/1976

Wer hilft, die Herausforderung des Ostblocks anzunehmen?«, lautete eine Anzeige im Fachblatt »Leichtathletik«. Dann: »Rekordhalterin sucht Sponsor für Olympiavorbereitung.«

Unterstützung suchte und fand die Kugelstoßerin Eva Wilms, 24, aus München. Seit Jahren waren im Kugelstoßen Ostblock-Athletinnen mit einem Kreuz und Muskelpaketen wie Möbelpacker unter sich geblieben.

Als einzige Kugelstoßerin eines Nicht-Ostblocklandes drang Eva Wilms in Montreal in den Endkampf vor. Kürzlich rückte sie völlig unerwartet dem Weltrekord im Fünfkampf (4932 Punkte)* auf acht Punkte nahe

* Fünfkampf: 100 Meter Hürden, Kugelstoßen, Hochsprung, Weitsprung und 200 Meter (Von 1977 an 800 Meter).

und erzielte dabei einen neuen bundesdeutschen Rekord im Kugelstoßen.

Eva Wilms (1,80 Meter; 84 Kilo) hätte mit ihren Leistungen beim Olympia in Montreal die DDR-Siegerinnen im Fünfkampf glatt ausgestochen und im Kugelstoßen Bronze eingeheimst. Der beispiellose Leistungssprung einer Kugelstoßerin im Sprint, Sprung und Hürdenlauf machte »Experten und Konkurrentinnen fassungslos«, wie der Düsseldorfer Sportjournalist und frühere Marathon-Olympiateilnehmer Manfred Steffny schrieb.

Steffny schloß daraus und aus einer beträchtlichen Gewichtszunahme, »der Sache komme man schon etwas näher. wenn man von jener verhängnisvollen Muskelpille spricht«, mithin Anabolika anspreche, die auch eine tiefe Stimme erzeugten.

Erst kürzlich entzog das Internationale Olympische Komitee (IOC) zwei Bulgaren und einem Polen die Medaillen, nachdem sie durch den Anabolika-Test entlarvt worden waren. Dagegen führte der gescheiterte Gießener Olympia-Anwärter Gerhard Steines seinen Mißerfolg im Kugelstoßen darauf zurück, daß er keine Anabolika eingenommen habe. Steines zu Steffny: »Mit normalen Mitteln habe ich ausgereizt.«

In einem erbitterten Fernseh-Streitgespräch unterstellte Steffny nun Eva Wilms und ihrem Trainer Christian Gehrmann, sie benutzten Muskelpillen.

Schließlich wedelte der Journalist mit einem 1000-Mark-Schein. Den wollte er der Jugendabteilung des Wilms-Vereins ESV Neuaubing stiften, falls die Rekordlerin und ihr »schillernder Trainer« (Steffny) öffentlich versicherten, keine Anabolika angewendet zu haben. Eva Wilms bot eine eidesstattliche Erklärung an, »noch nie verbotene Mittel (Anabolika)« geschluckt zu haben.

Die Einigung scheiterte an der Formulierung. Denn Gehrmann bestreitet nicht, daß die von ihm beratenen Athleten sich aus einem Arsenal von Präparaten regelmäßig stärken -- wie die Spitzensportler überall. »Aber es ist kein verbotenes Mittel darunter«, versicherte Gehrmann.

Auf sportärztlichen Rat versorgen sich seine Sportlerinnen seit Jahren mit eisenhaltigen Mitteln wie »Ferrum« und ernähren sich nach einer ausgetüftelten Diät. Sie enthält Mineralien, Enzyme und Vitamine. Auch während des sensationellen Fünfkampfes verabreichte Gehrmann der Athletin »Kochsalz- und Magnesiumpräparate sowie Vitamin E in sehr hohen Dosen«.

Schließlich enthält seine Sportapotheke auch »Antibabypillen mit gewissen Androgenen«, wie sie auch im Ostblock zur Leistungssteigerung angewendet werden.

Fest steht, daß Eva Wilms in der Leichtathletik-Hochburg Leverkusen ohne besonderen Erfolg trainiert hatte. Dann versprach ihr der Trainer-Außenseiter Gehrmann 1973 raschen Leistungszuwachs nach seinen Methoden. Sie verpflichtete sich auf drei Monate und verbesserte sich sprunghaft.

Gehrmann, der auch schon den besonders flugfähigen Diskus »Supersegler« entwickelt hatte, setzte auch im Training ungewohnte Ideen um: Kugelstoßerin Eva Wilms stemmt wie andere in der sogenannten Folterkammer Gewichte bis zu 100 Kilo.

Aber im Stadion bereitet sie sich wie eine Mehrkämpferin vor. Sie sprintet, springt und übt Hürdenlauf. Aus dem Stand hüpfte sie 3,05 Meter und im Dreisprung 8,75 Meter weit. »Ohne angemessene Schnelligkeit und ohne ein gewisses Sprungvermögen«, erläutert Gehrmann seine im Ostblock bekannte, hierzulande jedoch ungewöhnliche Methode, sei auch im Kugelstoßen »kein Ergebnis der Weltklasse« möglich.

Auch der US-Diskuswerfer MacWilkins ließ sich von Gehrmann trimmen. Erfolg: Weltrekord und Olympiasieg. Doch erst jetzt bemüht sich Gehrmann an der Kölner Trainer-Akademie um das anerkannte Diplom.

Die Theorie hinderte Gehrmann nicht, wiederum durch eine Anzeige in »Leichtathletik«, schon zum »Zweiten Internationalen Werfer-Lehrgang« (Kosten: 250 Mark) nach München einzuladen. Dort demonstrieren MacWilkins und Eva Wilms seine Trainings-Methoden. Auch im Programm: »Anabolika im Leistungssport«.

Von Gehrmann erhofft nun der Deutsche Leichtathletik-Verband eine Renaissance seiner Werferinnen. Er bestellte ihn zum Bundestrainer im Kugelstoßen und Diskuswerfen.

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