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Leichtathletik Postkarte genügt

Die Zehnkämpfer trotzten den Funktionären: Ein kritischer Bundestrainer bleibt im Amt, Sponsoren bezahlen zusätzliche Dopingtests.
aus DER SPIEGEL 48/1990

Die Sekretärinnen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) wurden am Montag vergangener Woche von ungewöhnlicher Post überrascht. Im Briefkasten der Geschäftsstelle in der Julius-Reiber-Straße 19 in Darmstadt steckten bündelweise Postkarten, auf denen nur ein Satz stand: »Ich bin für Claus Marek als einzig verantwortlichen Mann für den deutschen Zehnkampf.«

Marek, seit zwei Jahren Bundestrainer, sollte vom DLV ausgebootet und in den Nachwuchsbereich abgeschoben werden. Der Coach war beim Verband in Ungnade gefallen, weil er beharrlich auf zusätzliche Dopingkontrollen drängt. Da griffen die deutschen Zehnkämpfer und ihre Förderer zur Karte und protestierten schriftlich.

Die Aktiven sahen in der Verbandspolitik einen »gezielten Affront« gegen ihre Interessen, schlossen sich erstmals in der Verbandsgeschichte zusammen und begehrten gegen ihre selbstgefällige Führung auf. Denn anders als die leistungsversessenen Funktionäre haben die Zehnkämpfer mittlerweile erkannt, daß ihre Sportart nur durch rigorose Kontrollen aus dem Dopingsumpf kommt.

»Mit Entsetzen« und »voller Empörung« reagierten sie zudem in einem offenen Brief an den DLV darauf, daß ausgerechnet Cheftrainer Wolfgang Bergmann und der Schweriner Bernd Jahn ihre Betreuung verantwortlich übernehmen sollten. Für die Athleten, die sich seit zwei Jahren um ernsthafte Dopingkontrollen bemühen, war diese Entscheidung der DLV-Spitze der »Treppenwitz der Zehnkampfgeschichte«.

Bergmann wird vorgeworfen, sich den geforderten Dopingkontrollen ("Warum eigentlich?") zu widersetzen. Der Cheftrainer hatte bei den Europameisterschaften in Split den Vorschlag der Siebenkämpferin Christiane Scharf, sich jeden Monat freiwillig prüfen zu lassen, als »Blödsinn« bezeichnet. Die Athletin sah sich ständig Verdächtigungen ausgesetzt, weil sie von Thomas Kohlbacher betreut wird, dem ehemaligen Trainer und Freund von Birgit Dressel.

Die Mainzerin war 1987 qualvoll gestorben, in ihrer Wohnung waren über 100 Medikamente gefunden worden.

Auch dem einstigen DDR-Trainer Bernd Jahn attestieren die Athleten »völliges Unverständnis für die notwendige Sauberkeit« ihres Sports. Jahn hatte bei einem Athletentreffen Ende Oktober in Bernhausen zusätzliche Dopingkontrollen abgelehnt, weil man »doch 1992 bei den Olympischen Spielen in Barcelona möglichst viele Medaillen erreichen« wolle. Zehnkampf-Weltmeister Torsten Voss hatte sein Mißtrauen gegen den Meistermacher schon vorher artikuliert und sich von Jahn getrennt - unter anderem wegen Meinungsverschiedenheiten über die Notwendigkeit der Einnahme von Anabolika.

Für die Athleten war es deshalb kein Zufall, daß sich DLV-Leistungssportdirektor Horst Blattgerste gerade Jahn als Zehnkampf-Chef wünscht. Auch Sportwart Manfred Steinbach hatte sich beharrlich geweigert, vor den Qualifikationswettkämpfen für die Europameisterschaft zusätzliche Dopingtests zu veranlassen. Sportler, die sich freiwillig testen ließen, finanzierten deshalb »Sondertrainingskontrollen« aus eigener Tasche.

Bei den Deutschen Mehrkampfmeisterschaften im Juli in Salzgitter verzichtete der DLV sogar auf die obligatorischen Kontrollen. Marek schließt sich der Vermutung »böser Zungen« an, daß der Verband keine Dopingtests wollte, weil die Nachwuchsathleten Frank Müller und Michael Kohnle medikamentös »angeschoben« gewesen seien, um die Qualifikation für Split zu schaffen.

Die Kontrollen von Meister Kohnle und Vizemeister Müller - die beiden hatten zur Freude der DLV-Herren ihre Bestleistungen erheblich gesteigert - wurden kurzerhand aus »finanziellen Gründen« abgesagt. Geld war indes wieder vorhanden, als es Ende August bei einem Länderkampf darum ging, Proben von zweitklassigen Athleten zu nehmen.

Danach war den Sportlern klar, daß sie eigene Wege, losgelöst vom Verband, gehen müßten, um in der Öffentlichkeit glaubwürdig zu werden. Sie gründeten zusammen mit ihren Trainern das Zehnkampf-Team, die Interessengemeinschaft stellte sich erstmals in Split öffentlich vor. 90 Zehnkampf-Experten, unter ihnen ehemalige Aktive, Ärzte und Trainer, haben sich inzwischen in dieser »Art Gewerkschaft« (Marek) zusammengeschlossen, um das Training zu optimieren, neue Sponsoren zu gewinnen und Nachwuchssportlern beruflich zu helfen.

Vordringliches Anliegen des Zehnkampf-Teams sind die freiwilligen Dopingkontrollen. Die Athleten, zu denen neben den bundesdeutschen Spitzenstars auch Weltmeister Torsten Voss und Olympiasieger Christian Schenk aus der ehemaligen DDR zählen, haben eine Verpflichtungserklärung unterschrieben, sich regelmäßigen Trainingskontrollen zu unterziehen.

Bei der Finanzierung der Dopingtests setzen die Mehrkämpfer nicht mehr auf die Hilfe der Verbandsfunktionäre. »Wir mußten selbst initiativ werden«, sagt Marek.

Wenn sich das Zehnkampf-Team am Samstag als Verein konstituieren wird, werden die ersten Kontrollen öffentlich durchgeführt. Von Mai an wird dann der Urin der 22 Kaderathleten alle sechs Wochen auf Dopingsubstanzen untersucht. Die Kosten von 30 000 Mark will der Lebensmittelkonzern Kraft ("Nur Gutes verdient den Namen Kraft") übernehmen.

Erst als der DLV erkannte, daß ein öffentlicher Konflikt mit den Königen der Athleten nicht zu gewinnen war, gaben die Funktionäre nach. Einen Tag nach Eingang der Postkarten rief Sportwart Steinbach den ungeliebten Marek zu sich und sicherte ihm zu, auch weiterhin die deutsche Zehnkampf-Elite betreuen zu dürfen. o

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