BUNDESREPUBLIK Preise nach Plan
Wie erfolgreichsten Turnierreiter der Welt haben das Siegen verlernt. Einzig Neckermann machte einen bedeutenden deutschen Sieg möglich: Er wurde Weltmeister im Dressurreiten.
Doch die siegverwöhnten Springreiter wurden in diesem Jahr in allen wichtigen Prüfungen besiegt: Im prestigeträchtigsten Springen, dem »Großen Preis der Nationen«, den jedes Land pro Jahr nur einmal veranstalten darf, blieb die deutsche National-Equipe seit zwei Jahren erfolglos. Sogar die international unbeachteten Polen überholten die deutsche Elite und drängten sie in der Gesamtwertung aller Nationenpreise des Jahres auf den fünften Platz.
Früher waren die Deutschen am meisten gefürchtet: Seit 1925 hatten sie 69 Nationenpreise ersprungen - obwohl sie von 1940 bis 1952 nicht für Deutschland reiten durften. Fünfmal galoppierten sie seit 1936 Olympische Parcours an, fünf Goldmedaillen bestätigten ihre Sprungherrschaft.
Besonders zwei überragende Reiter mit zwei ungewöhnlich sprungkräftigen Pferden festigten den Ruf der deutschen Turnierschule.« Der Elmshorner Fritz Thiedemann, der vier Olympia-Medaillen gewann, verfügte über den Holsteiner Wallach Meteor, das mit 150 Siegen erfolgreichste Pferd der Welt (Gewinnsumme: 177 112 Mark). Hans Günter Winkler errang auf der Stute Halla (Gewinnsumme: 157 920 Mark) drei von vier Goldmedaillen und zwei Weltmeisterschaften.
Aber 1960 wurde Halla der Zucht zugeführt (Erfolg: fünf Fohlen) und Meteor 1961 im hohen Pferdealter von 18 Jahren aus dem Parcours gezogen. In Kiel verewigten passionierte Pferdefreunde den kürzlich eingegangenen Wallach noch zu Lebzeiten in Bronze. Thiedemann sattelte ab und widmete sich der Pferdezucht. Winkler ritt zwar weiter, aber auf weit weniger erfolgreichen Pferden.
So siegte die deutsche Mannschaft beim Oktober-Olympia 1964 in Tokio schon als Außenseiter. Doch seitdem polterten die bundesbesten Equipen ständig häufiger in die aufgeschichteten Holzklotz-Mauern und imitierten Eisenbahnschranken als die ausländische Konkurrenz. Sogar beim bedeutendsten Turnier der Bundesrepublik in Aachen sammelte der Italiener Graciano Mancinelli im Juli mehr Siege als alle 22 deutschen Starter zusammen.
»Wir reiten immer tiefer in den Schlamassel hinein«, trauerte Winkler der vergangenen Reiter-Herrlichkeit nach. Winklers Halla, Thiedemann und Meteor sind bis jetzt nicht gleichwertig ersetzt. Dabei fehlt es nicht an talentierten Reitern und Pferden. Aber Winkler, der von einem vermögenden Mäzen gefördert wurde, und Thiedemann, der einen landwirtschaftlichen Betrieb besitzt, waren nicht auf Preise angewiesen. Sie ritten fremde Pferde.
Die meisten heutigen Springreiter dagegen müssen aus Siegprämien und Honoraren für die Ausbildung fremder Pferde ihren Stall finanzieren. Oft werden aus dem Gewinn weniger erfolgreicher Pferde zehn und mehr unausgebildete unterhalten. Die Unkosten, die jährlich einschließlich Reisespesen und Nenngelder anfallen, belaufen sich auf ungefähr 15 000 Mark pro Spitzenpferd. Aber nur zwölf deutsche Pferde brachten im letzten Jahr jeweils mehr als diese Summe an Preisen ein. Will, sich ein Reiter ein erfolgreiches. Springpferd kaufen, muß er bis zu 120 000 Mark dafür ausgeben - soviel wurde etwa für die Hannoveraner Stute Fairneß geboten.
Um sich einen möglichst großen Anteil an den Preisen zu sichern, rechneten die Reiter ihre Chancen nach dem Turnier-Terminplan aus. Aus dem bundesdeutschen Angebot dieses Jahres - 200 Veranstaltungen, darunter elf internationale - pickten sie sich die Springen heraus, bei denen Geldgewinne am wahrscheinlichsten erschienen. Selbst bei einem kleinen Turnier in Wolfsburg erhielt der Sieger des wichtigsten Wettbewerbs 1500 Mark.
Das Deutsche Olympiade-Komitee für Reiterei (DOKR) als höchste Turnier -Instanz bestärkte die privaten Sprung - und Rechen-Akrobaten« ungewollt. Es kalkulierte selber mit Mark und Pfennig ebenso geschickt wie mit Reiter-Ruhm. Der frühere Europameister Hermann Schridde, dessen Pferd Dozent je zur Hälfte ihm und dem DOKR gehört, mußte in Frankreich starten, statt in Hamburg seinen Sieg im Deutschen Spring-Derby zu verteidigen. Die Preis -Rechnung ging auf: Schridde kassierte 12 000 Mark, in Hamburg hätte er gegen schwerere Konkurrenz nur 9000 Mark im Spring-Derby erreiten können.
Viele Reiter strapazierten ihre Springpferde übermäßig in Provinzturnieren, bei denen zwar die GewinneSumme, aber auch das Risiko geringer waren. In wichtigen internationalen Springen starteten sie dann oft nicht in bester Form. Im Zweifelsfall setzten Reiter in den höher dotierten Prüfungen Pferde ein, an denen sie ganz oder teilweise beteiligt sind: Pferde, die ihnen zur Ausbildung anvertraut worden waren, ritten sie in weniger wertvollen Springen. Oft bewilligen die Besitzer dem Reiter deshalb einen Sieganteil. So gewann Schridde etwa in Aachen mit Dozent 2850 Mark, auf Kamerad, der ihm nicht gehört, 1950 Mark.
Goldmedaillengewinner Alwin Schockemöhle aus Mühlen teilt sich in den Besitz der Springpferde Athlet, Exakt und Mephisto beispielsweise mit dem Berliner Kaufmann Schulte-Frohlinde, dessen Stieftochter Gabriele er jüngst heiratete. Mit Exakt erreichte er im vergangenen Jahr allein 38 495 Mark Gewinn. Neckermann würde dagegen nicht auf eigenem Pferd Dressur-Weltmeister. Sein Sieg auf Mariano brachte der Herzogin von Croy 960 Mark.
Bei den vier Nationenpreisen, an denen sich deutsche Equipen in diesem Jahr beteiligten, konnten niemals die erfolgreichsten Reiter und Pferde eingesetzt werden. Im sportlich angesehensten Mannschafts-Springen gibt es keine Geldpreise. Schockemöhle, der allerdings zeitweise verletzt war, startete in diesem Jahr in keinem Nationenpreis. Aber auf Athlet siegte er vor einer Woche im »Großen Preis von Amsterdam«. Schridde ritt nur einen Nationenpreis mit.
»Wir könnten drei gute Mannschaften aufstellen. Dazu gehörte nur geschickte Planung und Lenkung«, behauptete Thiedemann. »Aber die vermißt man überall.« So erfuhren die Reiter erst wenige Tage vor der Europameisterschaft, wer teilnehmen sollte. Die meisten Reiter müssen sich und ihre Pferde ohne Hilfe ausbilden. Kein offizieller Trainer versuchte, ihre Fehler und stilistischen Schwächen auszumerzen. Vor Auslands-Turnieren trafen sie sich gewöhnlich erst am Verlade-Bahnhof. Klagte Reiter Schridde: »Wir sind einfach keine Mannschaft mehr.«
Um der deutschen Springreiterei wieder in den Sattel zu verhelfen, beabsichtigt das DOKR nach amerikanischem Muster einen Trainer einzustellen. Die US-Equipe wurde von ihrem ungarischen Trainer Bertolan de Nemethy auf ihrer diesjährigen Europa-Tournee in fünf Turnieren zu fünf Siegen im Nationenpreis geführt.
Für den Trainerposten in der Bundesrepublik sollen Thiedemann oder Winkler gewonnen werden. Doch Thiedemann verlangte umfangreiche Vollmachten. Winkler möchte möglichst noch bis zu den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko selber reiten.
Über eine Detailfrage wurde bereits ausführlich diskutiert: den Trainer -Titel. Bundestrainer darf er wegen möglicher Assoziationen zum Fußball nicht heißen. Letzter Vorschlag: Bundesspringreitlehrer.
Springreiter Schridde auf Dozent: »Wir reiten immer tiefer ...
... in den Schlamassel hinein": Meteor, Thiedemann, Meteor-Denkmal in Kiel