Putsch abgewehrt
Als Thomas Berthold nach dem nervenden 1:1 der Deutschen im zweiten Vorrundenspiel gegen Spanien Trainer und Mitspieler öffentlich des Dilettantismus zieh, sah sich DFB-Chef Egidius Braun unbeirrt seinem Glauben ans Gute verpflichtet: Immerhin habe der Stuttgarter Abwehrrecke keinen beleidigt. Er hätte ja auch, so Braun, behaupten können, Berti Vogts habe »keinen blassen Schimmer« oder sei gar »eine Pfeife«.
Daß jener Teil der Jungmillionäre, den Berthold selbst »die Mafia« nennt, versucht hatte, den Bundestrainer zu ihrem Befehlsempfänger zu degradieren, hatte Braun nicht mitgekriegt.
Auch Vogts selbst wollte nur »eine positive Unruhe« erkannt haben, seine Profis seien »Gott sei Dank mit ihrer eigenen Leistung unzufrieden« gewesen. Als er ihnen alle taktischen Fehler beim temperamentlosen Fußball gegen die Spanier vorgeführt habe, hätten sie selbst Unzulänglichkeiten eingeräumt, und auf einmal sei »eine ganz nette Unterhaltung rausgekommen«.
Die offizielle Version klang arg harmlos und realitätsfern. Doch intern hatte Vogts mit einem Machtwort ("Ich bin richtig laut geworden") die aufmüpfigen Profis zur Räson gebracht; kleinlaut widerriefen sie ihre Kritik. Berthold: »Das war nicht so gemeint.«
Putschversuch abgewehrt. Vogts hatte die Gefahr der Allianz seiner Veteranen - neben Berthold droschen auch Lothar Matthäus, Andreas Brehme und Rudi Völler mehr oder weniger unverhohlen auf den Rest ein - zeitig erkannt. Die Polarisierung zwischen Alt und Jung hatte das Team zu lähmen begonnen, als deutlich geworden war, daß in der brütenden Hitze Chicagos Erfahrung nicht alles ist. Zu ungeniert wollten die alten Herren Jüngere für sich und ihre Interessen laufen lassen.
Matthäus betrachtet die WM in den USA als letzten Schritt zu einem auf allen Werbemärkten anerkannten Weltstar - da registrierte der Kapitän mit versteinerter Miene, daß in den beiden ersten Spielen mit Matthias Sammer und Stefan Effenberg zwei Dauerläufer von Vogts als beste Spieler herausgestellt wurden. Dem bauernschlauen Brehme dagegen ist alles recht, was seine natürliche Langsamkeit kaschieren hilft.
Für Völler geht es darum, zum Karriereende hin nicht plötzlich vom Publikumsliebling direkt in die Zweitklassigkeit abzustürzen. Und Berthold fühlte sich schon immer einem Elitekodex mehr verpflichtet als der Mannschaft.
Auf der anderen Seite stehen Jürgen Klinsmann, Effenberg und Sammer. Mittelstürmer Klinsmann fürchtet, daß ihm auf dem Weg zum Publikumsliebling dieser Titelkämpfe ob der vielen Rennerei buchstäblich die Luft ausgeht; Effenberg glaubt spätestens seit WM-Beginn, daß Anerkennung und Werbemillionen, die Matthäus zufallen, eigentlich ihm gebühren; Sammer sind intrigante Tricks so zuwider, daß er sie nicht einmal wahrnimmt.
Daß die Attacken der Altvorderen gerade auf Sammer zielten, wurde der Revolte zum Verhängnis. Denn keiner verkörpert inzwischen stärker die Vogtsschen Mannschaftsideale als der ehemalige Dresdner.
Weil aber auch eine gescheiterte Revolution zuweilen eines ihrer Kinder frißt, hat es nun wohl Andreas Möller erwischt, zugleich Hofnarr der Mannschaftssenioren, Lieblingsschüler von Berti Vogts und wohl der talentierteste Fußballer im deutschen Team.
Auf jede nur denkbare Weise hatten sie versucht, dem milchgesichtigen Möller ein stärkeres Rückgrat einzuziehen. Vogts probierte es immer wieder mit Einzelgesprächen; die »Mafia« lud den Neu-Dortmunder im Bus als Gasthörer auf die letzte Bank, wo sich seit Volksschultagen bei Klassenfahrten stets die Meinungsführer versammeln; und als Matthäus laut über einen möglichen Abschied aus der Nationalelf nach der WM nachdachte, brachte er gar Möller als seinen Nachfolger für das Kapitänsamt ins Gespräch.
Was als psychologische Krücke gedacht war, nahm nur einer wirklich ernst - Möller selbst. Lauthals verkündete er, für »größere Aufgaben« bereit zu sein, kam in der Praxis aber nie über die Rolle des Chefchens hinaus, das ängstlich Zweikämpfe meidet und nur aus sicherer Deckung schießt.
So kann »Turbo-Andy«, wie er sich gern nennen läßt, selbst der Häme kaum noch entkommen. Für einen wie Möller, lästert Vogts, habe er stets »ein Stück Papier mit«, um die Taktik, die der Möchtegern-Käptn so schwer begreift, aufzumalen.