
Radprofi Lennard Kämna: Die neue Rundfahrthoffnung
Radprofi Lennard Kämna "Da muss ich mich erst mal hocharbeiten"
Zur Person
Lennard Kämna, 22 Jahre alt, zählt spätestens seit seinen Welt- und Europameistertiteln im Zeitfahren in der Jugend zu den größten deutschen Radsporttalenten. Bei seiner ersten Tour de France in diesem Jahr belegte er den 40. Platz und war zweitbester Deutscher hinter Emanuel Buchmann. Wenige Tage vor der am Donnerstag beginnenden Deutschland-Tour hat Buchmanns Team Bora-Hansgrohe die Verpflichtung von Kämna ab dem kommenden Jahr bekanntgegeben.
SPIEGEL ONLINE: Herr Kämna, vor wenigen Tagen wurde Ihr Wechsel von Team Sunweb zu Bora-Hansgrohe bekannt. Sie sagten, Sie wollen dort den nächsten Schritt machen. Was heißt das konkret?
Kämna: Ich möchte mich im Zeitfahren steigern, da habe ich in den letzten Jahren ein bisschen geschwächelt. Das Gleiche gilt auch für das Bergfahren. Da will ich meine Leistung von diesem Jahr bestätigen und vielleicht weiter ausbauen.
SPIEGEL ONLINE: Warum sind die Chancen dafür bei Bora besser als bei Sunweb?
Kämna: Ich weiß nicht, ob ich direkt sagen kann, dass die Chancen da viel besser sind als bei Sunweb. Ich denke, ich habe bei beiden Teams faire Chancen. Das war ein Bauchgefühl, aus dem ich mich für den Wechsel entschieden habe.

Radprofi Lennard Kämna: Die neue Rundfahrthoffnung
SPIEGEL ONLINE: Konkret wurden die Wechselgerüchte nach der Tour de France, die für Sie sehr gut gelaufen ist. Insbesondere Ihre Leistungen auf der letzten Pyrenäenetappe, als Sie Sechster wurden, und am Galibier in den Alpen, als Sie Vierter wurden, waren beeindruckend.
Kämna: Da habe ich mich selbst total überrascht. Ich wusste, dass ich gut in Form bin, gut trainiert habe und in einer Ausreißergruppe eine gute Platzierung erreichen kann. Aber dass es des Öfteren so gut läuft, damit hätte ich nicht gerechnet.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie bei Sunweb einen guten Kontakt zu Topfahrer Tom Dumoulin?
Kämna: In diesem Jahr hatte ich relativ wenig Kontakt zu ihm, weil wir sehr unterschiedliche Rennprogramme hatten. Es ist jetzt nicht so, dass ich ihn anrufe und frage, wie es ihm geht, oder andersrum. Wir verstehen uns gut, aber das ist ein professionelles Verhältnis.
SPIEGEL ONLINE: Schon in jungen Jahren bescheinigte man Ihnen großes Talent. Doch im vergangenen Jahr erlebten Sie auch einen Rückschlag und mussten eine mehrwöchige Pause einlegen. Was war da los?
Kämna: Ich hatte zu Beginn des Jahres viel mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Ich bin von einer Krankheit zur nächsten gelaufen. Ich habe mich dann selbst verheizt und war mental erschöpft, sodass ich gesagt habe, ich brauche eine kurze Pause vom Leistungssport. Das waren dann sechs oder sieben Wochen, die ich nicht auf dem Rad war. Kann man auch Sommerferien nennen. Danach bin ich wieder ganz normal eingestiegen und war ein bisschen frischer im Kopf. Seitdem läuft es besser.
SPIEGEL ONLINE: Vergangene Woche hat Marcel Kittel seine Karriere beendet. Er sagte, er habe Spaß und Motivation verloren und sprach von mentalen Problemen. War Ihre Situation vergleichbar?
Kämna: Nein. Marcel Kittels und meine Situation sind sehr unterschiedlich, weil meine Pause eine Folge der vielen Krankheiten und Rückschläge war. Ich hatte das Gefühl, ich muss meinem Körper diese Pause geben, weil es zu viel war. Ich glaube, bei Marcel Kittel ist vieles zusammengekommen, was am Ende dazu geführt hat, dass er nicht mehr fahren wollte. Das war ja kein krankheitsbedingter Auslöser, das waren mehr mentale Sachen. Die sind bei mir auch aus den körperlichen Schwächen entstanden, aber auf einem anderen Level.
SPIEGEL ONLINE: Kittel sagte, aus seiner Sicht habe ihm sein Team Katusha-Alpecin zu viel Druck gemacht. Nun steigen nach der starken Tour de France vielleicht auch die Erwartungen an Sie. Wie gehen Sie damit um?
Kämna: Ich denke, damit werde ich gut umgehen können. Ich bin aber auch der Meinung, dass der Druck nicht zu groß sein wird, weil wir sehr viele andere sehr gute Fahrer im Team haben. Da muss ich mich erstmal hocharbeiten, weil ich in der Hierarchie etwas weiter unten angesiedelt bin. Von daher wird es völlig legitim sein, dass ich zu Beginn nicht die Riesenergebnisse einfahren werde.
SPIEGEL ONLINE: Sie wirkten nach der schweren Galibier-Etappe sehr euphorisch. Was finden Sie toll daran, sich die Berge hochzuquälen?
Kämna: Das ist seit meinen Kindheitstagen so. Was ich als Kind mitverfolgt habe, waren die Bergetappen bei der Tour de France, die Ausreißergruppen, das ganze Spiel. Das war das, was mich fasziniert hat am Radsport und warum ich gesagt habe, ich will das auf einer leistungsbezogenen Basis machen. Und da vorne mit dabei zu sein, ist das, wovon ich immer geträumt habe, deswegen hat mich das sehr gefreut.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind ein ziemlich guter Zeit- und Bergfahrer, zwei Komponenten, die einen guten Klassementfahrer ausmachen. Wollen Sie einer werden?
Kämna: Ich denke schon, dass ich in die Richtung Gesamtklassement gehen möchte. Aber erstmal nur für einwöchige Rundfahrten, um mich dort zu beweisen und Top-Ten-Resultate rauszufahren. Und ob es irgendwann für mehr reicht oder nicht, wird man sehen.
SPIEGEL ONLINE: Bei Bora-Hansgrohe fährt mit Emanuel Buchmann bereits ein sehr starker Rundfahrer. Gab es in den Vertragsgesprächen schon Planungen für das kommende Jahr? Fahren Sie wieder zur Tour de France?
Kämna: Nein, das weiß ich noch nicht. Wir haben kurz darüber gesprochen, was ein, zwei coole Rennen wären. Aber über die Tour de France oder das Rennprogramm für das nächste Jahr haben wir noch nicht gesprochen. Das kommt alles im Oktober und November.
SPIEGEL ONLINE: Ab Donnerstag steht für Sie die Deutschland-Tour an. Wird das Ihr Abschied bei Sunweb?
Kämna: Ich bin danach noch beim Münsterland-Giro und bei einem Rennen in China. Da habe ich also noch gutes Programm. Da will ich so gut fahren, wie es geht, und ein loyaler Helfer sein. Ich will einfach Rennen fahren, wie immer.