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RADRENNEN / BERUFSFAHRER Räder zurück

aus DER SPIEGEL 45/1967

In der Bundesrepublik legten 11399 lizenzierte Radsportler jede Woche im Training fünfmal die Entfernung von der Erde zum Mond zurück. Die meisten plagten sich in der Hoffnung auf eine glanzvolle und einträgliche Karriere. Aber Star-Gagen kassiert nur ein einziger deutscher Rennfahrer.

Der Kölner Rudi Altig, 30, erkämpfte seit 1959 vier Weltmeisterschaften. Bei der Tour de France, dem schwersten Etappenrennen der Welt, erspurtete er sieben Tagessiege, einmal gewann er die Punktwertung. Ausländische Firmen verpflichteten den Anhänger der Joga-Lehre. Der italienische Salami-Fabrikant Ambrogio Molteni zahlte ihm 80 000 Mark Jahresgehalt.

Der Kurs des erfolgreichsten deutschen Rennradlers stieg bis auf 6500 Mark für einen Start. Altigs gesamte Gagen schätzten Fachleute auf nahezu eine Million Mark. Er kaufte davon ein Mietshaus und richtete sich bei Köln einen komfortablen Bungalow ein.

Altigs hoher Kilometerlohn verleitete viele deutsche Amateure zu voreiligen Hoffnungen auf Preise und Prestige. Aber nur wenige hatten Erfolg wie der Kölner Rolf Wolfshohl, der als Berufsfahrer drei Weltmeisterschaften errang und in einer französischen Firmenmannschaft für BIC-Kugelschreiber warb. Nur sechs Deutsche fahren für ausländische Firmen.

In den führenden Radsport-Ländern finanzieren vorwiegend Firmen und Fabriken den Radsport als einen Zweig der Werbung. Als fahrende Plakate werben Werksfahrer bei Radrennen für französische Peugeot-Wagen und Mercier-Champagner, für holländische Willem-II-Zigarren und italienische Ignis-Kühlschränke.

Die radelnden Werkswerber trugen die Firmen-Reklame auf Trikots, Rennhosen und Mützenschirmen bei jedem internationalen Wettkampf über Europas Landstraßen. Das Fernsehen strahlte die Werbung in Millionen Konsumenten-Stuben.

Den ausländischen Firmen war die Schleichwerbung im Renntempo Stargagen bis zu 180 000 Mark pro Jahr und Jahres-Etats bis zu einer Million Mark wert. In der Bundesrepublik formierten die Kettenfabrik Ruberg und Renner in Hagen und das Schweinfurter Freilauf-Werk Torpedo der Fichtel-und-Sachs-Gruppe eigene Werbe-Teams.

»Viele junge Rennfahrer stürzten sich blindlings in ein Abenteuer«, kritisierte ihr Vorbild Altig. »Sie wären besser in ihrem Beruf geblieben.« Deutsche Firmen geizten mit Gagen. Die Torpedo-Werke zweigten nur 200 000 Mark ihres Werbe-Etats ab. Denn ihre strampelnden Anzeigenträger traten zuwenig in Erscheinung: Eine Deutschland-Rundfahrt fand seit 1962 nur einmal statt. Kleinere Provinz-Veranstaltungen wurden kaum beachtet.

Altigs Kölner Nachbar Hans Junkermann hatte sich fünfmal im Vorderfeld der Tour de France placiert. Bei Torpedo bezog er 1600 Mark Monatsgehalt. Ruberg-Rennfahrer Hanspeter Kanters dagegen verdiente nur 200 Mark -- und auch die nur während zehn Monaten.

Rennpreise rundeten die festen Gagen nur unzulänglich auf. An einem Rennen in Kamp-Lintfort bei Duisburg strampelten die Mannschaften von Ruberg und Torpedo beispielsweise für je 1400 Mark -- für weniger als Altig allein erhielt (3000 Mark). Weil nur wenige Ausländer am dürftigen Gagen-Tisch der Bundesrepublik zugreifen durften, schlossen ausländische Veranstalter umgekehrt die Konkurrenz der hungrigen Deutschen aus.

Nur die Hälfte der Bundes-Berufsfahrer vermochte von ihrem Sport zu leben. Einige arbeiteten halbtägig, Kanteis beispielsweise im väterlichen Fuhrgeschäft. Für Ernst Streng, der 1964 noch Olympiasieger war, sorgte zeitweise die mitarbeitende Ehefrau.

Im Winter boten die acht deutschen Sechstage-Rennen den unterbezahlten Fahrern wenigstens eine Statisten-Chance. Aber von 24(10 Mark Minimal-Gage blieben -- falls der Fahrer durchhielt -- allenfalls 1500 Mark. Masseur, Kraftkost und Proviant-Boten müssen die Fahrer bezahlen.

Die namenlosen Starter, die keine Chance auf einen Sieg hatten, konzentrierten sich besonders auf Prämien-Spurts. Die gewonnenen Sonderpreise vom Kinderroller bis zum Küchenherd versteigerten sie nach Rennschluß untereinander. Doch die wertvollsten Sachpreise ergatterten meist die Stars: Der Schweizer Fritz Pfenninger erspurtete bei Sechstage-Rennen schon 20 Automobile, die er mit 20 Prozent Rabatt verkaufte.

So schmolz die Gruppe der deutschen Berufsfahrer in diesem Jahr auf 31 zusammen (Belgien: 350). Aus Geldmangel verzettelten sich die Kümmerfahrer. Der Kölner Streng bewarb sieh etwa in seinem zweiten Rennen hinter Schrittmachern schon um die Deutsche Steher-Meisterschaft. Bei den entscheidenden internationalen Wettkämpfen im letzten Sommer versagten die unzulänglich trainierten und schlecht vorbereiteten Deutschen.

12 000 Mark hatte der Bund Deutscher Radfahrer seiner Amateur-Kasse entnommen, um eine zehnköpfige National-Mannschaft aus Berufsfahrern zur Tour de France zu schicken. Nur vier Fahrer erreichten das Ziel.

Skandale häuften sich. Auch deutsche Rennfahrer hatten sich mit verbotenen Drogen gedopt. Nachdem die Firmen Ruberg und Torpedo in den Sog der wirtschaftlichen Rezession geraten waren, lösten sie im Oktober ihre Equipen auf. »Die Werbung durch Rennfahrer rentiert sich nicht« begründete Torpedo-Rennleiter Rolf Baler.

Auch Ruberg verlangte die firmeneigenen Rennräder. Ersatzteile und Werbe-Trikots zurück. »Wir sehen hungernd in die Zukunft«, klagte Mannschafts-Chef Wolfgang Gronen. In England versuchte er -- vergebens -- »den Trümmerhaufen anderweitig unterzubringen«.

Die meisten der 16 entlassenen Berufsfahrer müssen umsatteln. Rennfahrer Ernst Jöhnk veränderte sich schon -- hinter die Theke eines Eckernförder Lokals.

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