Weißer Geist, Schwarzer Körper Wie wir den Sport vom Rassismus befreien

Ein Essay von Philipp Awounou
Es hilft nicht, sich reflexhaft über Rassismus im Sport zu empören. Sinnvoller wäre ein Herantasten an die Ausprägungen und eine Überprüfung des eigenen Verhaltens.
Bayern-Profi Serge Gnabry trägt eine Armbinde mit der Aufschrift »Black Lives Matter«

Bayern-Profi Serge Gnabry trägt eine Armbinde mit der Aufschrift »Black Lives Matter«

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Matthias Hangst/ dpa

Ich habe vor Kurzem nach deutschen Büchern und Filmen gesucht, die sich mit Rassismus im Sport auseinandersetzen. Mit Strukturen, Denkmustern und Lösungsansätzen, eine ausgewogene Auseinandersetzung mit der Thematik.

Was ich fand, war vor allem: Nazizeug. Bücher über Skinheads auf Fantribünen, rechtsextreme Funktionäre, Beleidigungen auf dem Spielfeld. Über offensten, unverhohlenen Hass.

Es ist wichtig, diese Phänomene zu beschreiben, definitiv. Doch für die Akteure des Sports ist es auch leicht, sich glaubhaft von ihnen abzugrenzen und so zu tun, als sei das Problem Rassismus damit hinreichend verhandelt.

Ich hätte mir mehr Beiträge gewünscht, die nicht bei gewaltvoll ausgelebter Ideologie ansetzen. Beiträge, die Rassismus nicht implizit mit Rechtsextremismus gleichsetzen. Dabei würde genau das den Diskurs beschleunigen – sowohl im Sport als auch außerhalb. Sich von eindimensionalen Auffassungen zu lösen und Rassismus in all seinen Spielarten zu betrachten.

Gerade im Fall des modernen Sports sind die Verflechtungen mannigfaltig. Sie gehen weit über Hakenkreuze und Bananenschalen hinaus, sind komplex, und nicht zuletzt: ambivalent.

Einerseits wohnt dem sportlichen Wettbewerb – trotz Doping, Betrug oder Korruption – eine gewisse Aufrichtigkeit inne. Über Sieg und Niederlage entscheiden objektiv messbare Faktoren, der Spielraum zur Umdeutung ist gering. So konnte der Schwarze Sprinter Jesse Owens 1936 mitten in Nazideutschland vier olympische Goldmedaillen gewinnen, und selbst die hasserfüllteste Rede Hitlers hätte seinen Erfolg nicht aus der Wirklichkeit poltern können. Owens ist nur ein Beleg von vielen, die zeigen, dass der Sport lange schon zu den wenigen sozialen Räumen gehört, in denen ethnische und andere Minderheiten adäquat vertreten oder sogar überrepräsentiert sind.

Andererseits ist diese Vielfalt systematisch beschränkt. Beschränkt auf die Ebene der Athleten, während sich die Führungsriegen weitgehend homogen aufstellen. Beschränkt auf Sportarten wie Fußball oder Leichtathletik, während höhere kulturelle und finanzielle Hürden etwa im Tennis, Hockey oder Radsport die Zugänge verknappen. Und beschränkt auch darin, dass Diversität teils lieber performt wird, in Statements, Kampagnen und Filmen, statt aktiv gelebt. 

Diese Dissonanz aus Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit ist ein elementarer Wesensteil des Sports.

Seit Tag eins.

Sport ohne Rassismus gab es nie

Nicht ohne Zufall setzte der Siegeszug des modernen Sports zur Hochphase des Kolonialismus ein. Den Auftakt machten die Briten, die schon an den heimischen Schulen festgestellt hatten, dass es von höherem Nutzen war, Jungs gegen Bälle kicken oder komische Ledereier herumwerfen zu lassen. Ab Ende des 19. Jahrhunderts verbreiteten sie ihre neuesten Errungenschaften – Fußball, Tennis, Rugby, Cricket – im gesamten Imperium. Nicht als reiner Zeitvertreib, sondern auch als politisches Instrument: Sport sollte Ruhe und Einheit stiften, disziplinieren, europäische Werte vermitteln. Kurz: Kontrolle sichern.

Doch natürlich lassen sich ganze Kontinente nicht allein durch Mittel wie Sport beherrschen. Zur Sicherung von Einfluss und Ressourcen wurden Menschen erniedrigt, ermordet, jeglicher Würde beraubt, all das von Mächten, die sich als aufgeklärt und christlich definierten. Um diese offensichtliche Spannung zu lösen, entstand noch weit vor dem modernen Sport eine zentrale Legitimation: moderner Rassismus.

Es waren die großen europäischen Denker und Wissenschaftler, die Kants und Voltaires, die entlang ethnischer Gruppen diese Skala der Menschlichkeit konstruierten. Vom weißen, zivilisierten, vernunftbegabten Geist herab zum Schwarzen, wilden, hilfsbedürftigen Körper. Es war ihre rassifizierende Dogmatik, die weltweit Gesellschaften ordnete und noch heute prägt. Auch den Sport, der den weißen Überlegenheitsethos nicht nur verinnerlicht, sondern mit eigenen Codes versehen hat. Ersetzen Sie beispielsweise die Wörter vernunftbegabt und zivilisiert durch spielintelligent und diszipliniert. Oder tauschen Sie wild und hilfsbedürftig gegen physisch und taktisch naiv. Schon beherrschen Sie Grundvokabeln eines subtilen, sportspezifisch codierten Rassismus.

Die Pariser Starspieler Kylian Mbappé (l.) und Neymar vor dem nachgeholten Champions-League-Spiel gegen Istanbul. Die Partie war wegen rassistischer Äußerungen eines Schiedsrichters abgebrochen worden

Die Pariser Starspieler Kylian Mbappé (l.) und Neymar vor dem nachgeholten Champions-League-Spiel gegen Istanbul. Die Partie war wegen rassistischer Äußerungen eines Schiedsrichters abgebrochen worden

Foto: JB Autissier / imago images/PanoramiC

Es gibt dazu diverse Befunde aus verschiedensten Bereichen. Etwa eine Studie über Fußballkommentatoren  in Europas Top-Ligen: Wenn die Sprecher die Intelligenz von Spielern lobten, bezogen sie sich in mehr als 60 Prozent der untersuchten Fälle auf Akteure mit heller Haut. Wenn sie sich hingegen negativ über den Intellekt von Spielern äußerten, betraf dies in knapp zwei Drittel der Fälle Spieler mit dunklerer Haut. Und wenn es um die Physis ging? Dann war es 6,59-mal wahrscheinlicher, dass die Kommentatoren Spieler mit dunkler Haut thematisierten.

Es ist der sportliche Ableger der urrassistischen Hierarchie: weißer Geist, schwarzer Körper.

Der Mythos der Schwarzen Dominanz

Im Sport haben sich diese biologistischen Rassismen als besonders haltbar erwiesen. Bis heute glauben die meisten – auch Betroffene – an den Mythos des überlegenen Schwarzen Athleten, des westafrikanischen Sprinters und ostafrikanischen Läufers.

Der Autor Gavin Evans hat hierzu ein ganzes Buch geschrieben, »Skin Deep«, in dem er mit pseudowissenschaftlichen Mythen aufräumt, tatsächliche Unterschiede erläutert und einordnet: Beispielsweise ist ein im Durchschnitt minimal höherer Körperschwerpunkt keine Erklärung für das Fehlen von Schwarzen Weltklasse-Schwimmern. Denn Überraschung: Es werden auch Millionen Schwarzer Menschen mit Michael-Phelps-Körpern geboren. Sie wurden nur jahrzehntelang systematisch vom Schwimmbetrieb ferngehalten und haben bis heute kaum soziokulturellen Bezug zu dieser Sportart.

»Um rassistisch zu handeln, reicht es völlig aus, in einer Welt sozialisiert zu werden, die Menschen seit Jahrhunderten nach rassifizierten Merkmalen wertet. Das gilt für Weiße und Nicht-Weiße«

Quasi umgekehrt verhält es sich mit der Schwarzen Dominanz im Sprint oder Langstreckenlauf. Biologie kann die Verhältnisse nicht erklären, und doch betrachten viele das olympische 100-Meter-Finale oder die Flugeinlagen in der NBA und denken bei all der dunklen Haut nur an eines: Genetik. Dass zugleich 24 von 28 Olympiasiegern im Hochsprung weiß sein können, ohne dass dabei ähnliche Annahmen getriggert werden, offenbart den oft rassistisch geprägten Blick bei der Bewertung von sportlicher Leistung.

Falls Sie sich gerade ertappt oder angegriffen fühlen: Sie sind nicht allein.

Viele Menschen, die auf problematische Denkweisen hingewiesen werden, glauben, dadurch zu ideologischen Rassisten, Rechtsextremen oder Nazis erklärt worden zu sein. Zugegeben, mitunter geschieht genau das, vor allem im Netz. Doch Evans' Buch und die Kommentatoren-Studie erzählen vom Gegenteil: davon, dass Rassismen eben nicht von bewussten Haltungen und bösem Willen abhängen. Um rassistisch zu handeln, reicht es völlig aus, in einer Welt sozialisiert zu werden, die Menschen seit Jahrhunderten nach rassifizierten Merkmalen wertet. Das gilt für Weiße und Nicht-Weiße.  

Distanzierung ist bequem

Eigentlich könnte dieser Umstand entlastend wirken. Immerhin koppelt er Rassismus nicht an den Einzelnen, sondern an eine Struktur, an internalisierte, oft unbewusste Muster. Doch scheinbar fühlen sich viele Nicht-Betroffene von der bloßen Anerkennung dieses strukturellen Rassismus derart bedroht, dass sie ihn lieber leugnen und auf ein populistisches Verständnis zurückgreifen. Rassismus ist böse. Ich bin gut. Also kann ich nicht rassistisch sein.

Wer unter dieser Prämisse mit Rassismus-Hinweisen konfrontiert wird, der hat kein Ganzes mehr, keine übergeordnete Struktur, die seine persönliche Haftung mindert. Für den wird der Hinweis zum Vorwurf, und statt des eigenen Verhaltens gilt es nun, die eigene Person mitsamt Werten zu verteidigen. Und wie geht das am einfachsten?

Durch Distanzierung.

Was haben sich Verbände, Sportler, Funktionäre, Fans – neuerdings auch Schiedsrichter – nicht schon distanziert: von diesem und jenem Vorfall, von diesem Skandal und jener Aktion. Und natürlich: von »jeglicher Form des Rassismus«. Als würden Probleme verschwinden, indem man sich von ihnen entfernt.

Natürlich hat diese Klare-Kante-Floskel eine sinnvolle Ebene, doch vor allem ist sie ein bequemer Weg, sich implizit freizusprechen. Die wirklich hilfreiche Reaktion wäre das Gegenteil. Keine Distanz, sondern kritische Annäherung: ein Herantasten an die verschiedenen Ausprägungen von Rassismus, eine offene Überprüfung des eigenen Verhaltens statt der reflexhaften Ablehnung jeglicher Schuld.

»Entwicklungen dieser Art stiften Hoffnung. Hoffnung auf einen stärker sensibilisierten, weniger ambivalenten Sport. Schließlich eignet er sich nicht nur zum Erhalt, sondern auch zum Bruch rassistischer Strukturen«

Die Debatte hätte dann die Chance, sich stärker von Einzelpersonen und kurzen Stürmen der Entrüstung zu lösen und stattdessen die zugrunde liegenden Mechanismen zu fokussieren: eine rassistisch strukturierte Sportwelt, in der Trainer, Scouts, Funktionäre, Reporter, Fans – ungeachtet ihrer bewussten Einstellungen – zu der Annahme tendieren, dass Menschen qua Herkunft unterschiedlich begabt und bewertbar sind.

Strukturen brechen auf

Das Perfide an dieser Scheinlogik ist, dass sie sich selbst bestätigt. Etwa im US-Football: Seit Jahrzehnten sind die Quarterbacks nahezu ausschließlich weiß, während die stärker physisch geprägten Positionen von Schwarzen dominiert werden. Diese Rollenverteilung rührt nicht von mangelnder kognitiver oder athletischer Eignung. Sie rührt von der Annahme einer mangelnden Eignung, gepaart mit der entsprechenden Verteilung von Ressourcen, Zugängen und Fördermöglichkeiten.

Nun, da diese Strukturen zunehmend aufbrechen, kommt es zu entlarvenden Momenten. So ist der bestbezahlte Quarterback der NFL-Geschichte seit diesem Jahr Schwarz: Pat Mahomes, kein Freak-Athlet, sondern ein exzellenter Passer und Entscheider. Der bestbezahlte Runningback der Geschichte ist seit diesem Jahr weiß, Christian McCaffrey.

Entwicklungen dieser Art ergeben sich nicht aus Lippenbekenntnissen. Sie zeugen von struktureller Veränderung – und das stiftet Hoffnung. Hoffnung auf einen stärker sensibilisierten, weniger ambivalenten Sport. Schließlich eignet er sich nicht nur zum Erhalt, sondern auch zum Bruch rassistischer Strukturen – ebenfalls seit Tag eins. In Befreiungskämpfen gegen Kolonialmächte, in Bürgerrechtsbewegungen, im Kampf gegen Polizeigewalt – vielfach in seiner Geschichte wurde der Sport effektvoll als politische Bühne genutzt.

Leider vor allem von Menschen, die sich von Rassismus nicht einfach distanzieren können.

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