Doping Reich der Mittel
Wenn Sportler reisen, sind sie eine Vorzugsbehandlung gewohnt: Kein Aufenthalt am Flughafen-Gate, keine langen Paßformalitäten, keine Zollkontrolle - statt dessen warten ein freundliches Empfangskomitee und Limousinen mit Fahrern.
So war's auch Ende September, als Chinas Athleten zwei Tage vor Beginn der Asienspiele auf dem Flughafen Hiroschima landeten. Doch gleich nach der Begrüßung wurden die japanischen Gastgeber förmlich. Sie präsentierten Legitimationen, die sie als Dopingdetektive auswiesen, und baten zum Wasserlassen. Noch im Flughafengebäude - ein Novum bei der Drogenfahndung im Sport - nahmen die Kontrolleure Urinproben von Chinas starker Garde.
Scheinbar unbeeindruckt eilten die Chinesen anschließend von Erfolg zu Erfolg. Doch jetzt sind die Siege Makulatur: Elf Athleten, darunter sieben Schwimmer, wurden des Testosteron-Dopings überführt. Der Überrumplungstest gleich nach der Landung brachte endlich den Beweis für einen weltweit gehegten Verdacht: Chinas Sportler bedienen sich ungeniert im Reich der Mittel.
Der Fahndungserfolg überrascht. Denn die Chinesen galten bisher als Nachfolger der Fachdoper der DDR, die trotz ihrer flächendeckenden Arbeitsweise so gut wie nie erwischt worden waren. Trainer und Sportwissenschaftler des Honecker-Staates hatten die kommunistischen Brüder rechtzeitig mit dem Know-how über Mittel, Anwendung, Training und Ausreisekontrollen vor Wettkämpfen versorgt.
Die Chinesen lernten schnell und siegten bald. Obwohl tiefe Stimmen, breite Schultern und Akne auf Doping hinwiesen, blieben Trainings- und Wettkampfkontrollen meist ohne Befund. Als dann die Schwimmweltmeisterin Aihua Yong eher zufällig überführt wurde, wuchs der Druck, gegen die Chinesen mit allen Mitteln vorzugehen.
Damit wurden die asiatischen Sportler zu späten Opfern der deutschen Wiedervereinigung. Denn in den Schwimmplänen, die ihnen von den Ostdeutschen verkauft wurden, konnten nach der Öffnung der Tresore auch die westlichen Fahnder blättern, die Technik des Testosteron-Dopings studieren - und die Lücke im System finden. Da die Labors zudem ihre Analyseverfahren verfeinern konnten, entstand erstmals zwischen Sündern und Jägern ein Patt.
Die Technik hat sich seit der Wende kaum geändert. Der Athlet wird während des Trainings mit so feinen Dosierungen des männlichen Hormons versorgt, daß der Testosteron/Epitestosteron-Quotient den Grenzwert sechs allenfalls für einige Stunden überschreitet - deshalb bleiben Trainingskontrollen meist ohne Ergebnis.
Vor Wettkämpfen wird die Dosis dann drastisch bis zu einem Wert erhöht, der gerade noch garantiert, daß der Körper das überschüssige Testosteron bis zum Start abgebaut hat. Denn unmittelbar vor dem Wettkampf wurde bisher nie getestet - bei der obligatorischen Kontrolle nach der Siegerehrung waren die Athleten dann sauber. Die DDR hat dafür ein Verfahren entwickelt, mit dem für jeden einzelnen Sportler individuelle Abbauwerte ermittelt werden - das macht ein Doping beinahe auf die Startminute genau möglich.
Der Erfolg der bislang größten Razzia gegen das chinesische Dopingkartell läßt nun die Konkurrenz zu einer Allianz der Heuchler zusammenrücken. »China hat Doping organisiert«, sagt der schwedische Schwimmnationaltrainer Hans Chrunak, »es ist eine Erleichterung, endlich die Bestätigung zu bekommen.«
Der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) warb für einen Boykott des Weltcups in Peking, der daraufhin abgesagt wurde. Schwimmwart Ralf Beckmann hatte für die Deutschen gar die Vorreiterrolle reklamiert: »Wir wollen bei einer Veranstaltung inmitten des Dopingnestes nicht dabei sein.«
Aus den Vereinigten Staaten kam der Aufruf zur Sippenhaft. Ray Essick, Chef des US-Schwimmverbandes, forderte eine Korrektur der Weltmeisterschaftsergebnisse, obwohl im September in Rom keine der zwölf chinesischen Goldmedaillengewinnerinnen erwischt worden war.
Nur der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees tat sich schwer. Antonio Samaranch hatte bei einer Stippvisite in Hiroschima ex cathedra erklärt: »Der chinesische Sport ist sehr sauber.« Zur Korrektur mochte sich der Olympier bisher nicht durchringen.
Auch die Deutschen hätten besser geschwiegen. Kaum waren die mit Dihydrotestosteron aufgepäppelten elf Chinesen - darunter auch Weltmeisterin Lu Bin - erwischt, wurde der Leverkusener Läufer Martin Bremer, Dritter beim Weltpokal über 5000 Meter, ebenfalls des Testosteron-Dopings überführt. Und so wie die chinesische Sportführung die Sündenfälle als »Akt von Individuen« runterredete, sprachen auch die deutschen Funktionäre von einem »Einzelfall«.
Und der DSV hat gerade erst im Innenministerium mit Erfolg um eine Anstellung für den Trainer Uwe Neumann nachgesucht. Den hat Olympiasiegerin Rica Reinisch des Dopens von Kindern bezichtigt; auch in alten DDR-Akten finden sich Hinweise darauf. Der DSV möchte nun, daß »wieder Kontinuität in die sportliche Arbeit einzieht«. Y