SCHWIMMEN / FASSNACHT Rekorde in Rage
Nach dem Olympia-Finale in Mexico City lobte der Trainer überschwenglich den siebten des Rennens. »Hans Faßnacht ist ein Ausnahme-Talent«, schwärmte der Amerikaner Donald Gambril. »Bei mir wird er Weltrekorde kraulen.«
Der Sportlehrer des California State College in Long Beach verschaffte dem Mannheimer Faßnacht, 18, ein Stipendium und dem deutschen Schwimmsport einen Weltklasse-Athleten.
Bei den US-Hallenmeisterschaften in Long Beach bezwang der deutsche Gaststudent den Olympiasieger Michael Burton. Am vorletzten Wochenende wiederholte er seinen Erfolg über Burton in Bonn gleichsam mit einer Traummeilen-Leistung: Als erster kraulte er 400 Meter in weniger als vier Minuten (3:59,7). Insgesamt verbesserte er drei Weltbestzeiten.
Schon mit 13 Jahren hatte sich Fallnacht bei den Europameisterschaften 1964 in ein Finale (1500 Meter Kraul) vorgekämpft. In den folgenden Jahren führte der Mannheimer Trainer Hans Mill das Jung-Talent zu deutschen und Europarekorden. Aber bei internationalen Rennen steckte der Handelsoberschüler immer wieder Niederlagen ein. Sein Trainer drillte ihn spartanisch -- sogar mit Ohrfeigen.
Im Olympiajahr 1968 schlüpfte der wortkarge Faßnacht in Wuppertal unter. »Bei uns hat er wieder lachen gelernt«, freut sich sein neuer Trainer Heinz Hoffmann.
Das Siegen auf internationalen Bahnen lernte er freilich dort noch nicht. Beim Mexiko-Olympia schied Faßnacht im 1500-Meter-Kraul-Vorlauf aus; im 400-Meter-Endkampf wurde er vorletzter. Enttäuscht gab ihn sein deutscher Trainer auf.
Doch der Amerikaner Gambril überzeugte Faßnacht, daß er sich unter amerikanischen Bedingungen zum Weltstar im Bassin emporarbeiten könne. So begann der Deutsche im Dezember 1968 in Long Beach Wirtschaftswissenschaft zu studieren. Das College setzte ihm pro Semester 200 Dollar aus, Faßnachts Vater überweist monatlich 50 Dollar, und einen 100-Dollar-Scheck steuert Neckermanns Olympia-Hilfe jeden Monat bei. Dreimal wöchentlich langt er mittags bei einer deutschstämmigen Familie zu, sonst brutzelt er seine Steaks meist selbst.
Faßnachts wirtschaftswissenschaftliche Studienleistungen werden nicht voll anerkannt werden: Um etwa eine staatliche Anstellung zu beanspruchen, müßte er nach dem US-Abschluß 1972 noch einige Semester in Deutschland zugeben. Der Olympia-Krauler nimmt den Nachteil bewußt in Kauf und konzentriert sich täglich viereinhalb Stunden auf das Training.
Die Übungs-Methoden unterscheiden sich kaum von denen in Deutschland. »Wir arbeiten nur härter und mehr«, verglich Faßnacht einsilbig. Täglich schwimmt er in zwei Abschnitten insgesamt bis zu 15 Kilometer -- unterteilt in Intervalle, für die jeweils bestimmte Normzeiten vorgeschrieben sind. Beispielsweise startet die Trainingsgruppe alle fünf Minuten zu einem 400-Yard-Intervall -- 15mal. Die Schwimmer teilen sich ihr Tempo selbst ein und kontrollieren es auf Riesenuhren an der Hallenwand: Wer schneller schwimmt, gewinnt eine längere Erholungspause.
Aber jeder Bassin-Athlet muß schon im Training seinen Platz in der Mannschaft gegen nahezu gleichrangige Rivalen behaupten. In Amerika bekämpfen sich deshalb Mitglieder der besten College-Teams untereinander härter als etwa die besten Deutschen bei ihren Meisterschaften. Im Training kennen die meisten Spitzen-Schwimmer in der Bundesrepublik kaum gleichwertige Konkurrenz; in den wenigen überregionalen Rennen weichen die Stars einander vielfach aus.
Das amerikanische System fördert allerdings die Rivalität. Einige Trainer putschen ihre Schüler auf, um höhere Leistungen zu provozieren. Faßnachts deutscher College-Kollege Michael Holthaus aus Bochum hinterbrachte: »Viele Mannschaftskameraden sind sauer auf Faßnacht, weil Gambril sich zuviel mit ihm beschäftigt.«
Die beiden Deutschen überwarfen sich, als der Olympia-Verlierer Faßnacht in Amerika den weniger asketischen Star Holthaus übertrumpfte, der in Mexiko noch eine Medaille erkämpft hatte.
Als Faßnacht in Bonn für den 400-Meter-Lagen-Wettbewerb, in dem Holthaus als Favorit startete, abgewiesen wurde, argwöhnte er: »Der Vater von Holthaus hat gegen meine Nachmeldung intrigiert.« In Wirklichkeit hatte sie der Holthaus-Klub Blau-Weiß Bochum -- legal -- verhindert, weil die Meldefrist abgelaufen war. Holthaus siegte in neuer Rekordzeit. Doch anschließend setzte Faßnacht zu einem Alleingang an. Er schwamm Weltbestzeit (4:33,1 Minuten).
Nun schwor Holthaus-Vater Manfred Rache: »Der Junge muß bestraft werden, und wenn er sein USA-Visum verliert.« Inzwischen nahm Faßnacht seine unbegründeten Vorwürfe zurück. Aber er drohte Holthaus zugleich: »Den mach« ich um. Der gewinnt kein Rennen mehr gegen mich.«
Die Fachleute rechnen damit, daß sich der Konkurrenzkampf Faßnacht gegen Hotthaus, in den zwei weitere deutsche Schwimm-Studenten in den USA eingreifen werden, noch in diesem Sommer in Welt- und Europarekorden entlädt.
Demnächst nimmt der Bremer Brustschwimmer Klaus Barth als fünfter deutscher Schwimmer ein Studium in Amerika auf. »Wenn wir jetzt einen Länderkampf in den USA austragen«, spöttelte Barths Trainer Karl-Walter Fricke, »kostet die Reise nichts mehr.«