Snooker-Rekordweltmeister Ronnie O’Sullivan Genie und Grinch

Kunstvoll wie Roger Federer, unverwüstlich wie Tiger Woods: Ronnie O’Sullivan vergleicht sich gern mit den Granden ihrer Sportarten. In der Snooker-Welt ist er selbst längst ein Held.
Kommentiert jeden Stoß mit einer Grimasse: Ronnie O’Sullivan

Kommentiert jeden Stoß mit einer Grimasse: Ronnie O’Sullivan

Foto: OLI SCARFF / AFP

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Ronnie O’Sullivan ist bekannt für seine Emotionen. Für seine Ausbrüche, seine Grimassen, mit denen er jeden Stoß eines Spiels kommentiert. Verquollene Augen, aber Tränen? Die sieht man eher selten beim stets missmutigen Snooker-König.

O’Sullivan, 46, war gerade zum siebten Mal Weltmeister geworden. Als ältester Spieler überhaupt. Und er hatte damit die Bestmarke von Snooker-Legende Stephen Hendry aus den Neunzigerjahren eingestellt. Doch es war nicht dieser Rekord, der den Engländer zu Tränen rührte. Es waren die Worte seines Finalgegners Judd Trump.

Minutenlang lagen sich die beiden in den Armen, die Kameras zeigten den Rücken O’Sullivans, und die Arme Trumps, wie er kräftig zupackte – und dem Sieger Worte ins Ohr sprach, die nur für jenen Mann bestimmt waren, den er später den »besten Spieler aller Zeiten« nannte: »Er wird immer besser und besser. Seine Entschlossenheit und seine Hingabe sind deutlich zu sehen. Er war mit Abstand der beste Spieler des Turniers.«

»Wunderschöne Worte«, die ihn »fertig gemacht haben«: Ronnie O’Sullivan und Judd Trump

»Wunderschöne Worte«, die ihn »fertig gemacht haben«: Ronnie O’Sullivan und Judd Trump

Foto: OLI SCARFF / AFP

Entlang dieser Würdigung werden sich auch die persönlichen Worte zuvor bewegt habe. Genaueres verriet auch O’Sullivan nicht, sagte später nur, es seien diese »wunderschönen Worte« gewesen, die ihn »fertig gemacht haben«.

Vielleicht hat Trump jenen Mann, gegen den er im WM-Finale im Crucible Theatre von Sheffield keine Chance gehabt hatte, an all seine Erfolge erinnert. An den Weg, den er vor und seit seinem ersten Titel vor 21 Jahren gegangen ist, an die Kämpfe, die er neben dem grünen Tisch gegen sich selbst austragen musste, die Dienste, die er als Galionsfigur dem einem Sport erwiesen hat, zu dem er stets eine ambivalente Beziehung hatte.

30 Punkte Vorsprung

Ronald Antonio O’Sullivan galt schon früh als eines der größten Snooker-Talente. Erwachsene bekamen 30 Punkte Vorsprung vor dem Jungen aus Wordsley bei Birmingham. Bereits mit 17 Jahren gewann er seinen ersten Titel als Profi, als er bei den UK Championship 1993 den damaligen Dominator der Szene besiegte: Stephen Hendry.

In der Folge sammelte er Titel am Fließband ein, sein rasantes, aggressives und offensives Spiel brachte ihm den Spitznamen The Rocket, die Rakete, ein. Seit 1997 hält er mit großem Abstand den Geschwindigkeitsrekord für ein sogenanntes Maximum: Für 36 Stöße mit der Maximalausbeute von 147 Punkten in einer Aufnahme brauchte er fünf Minuten und acht Sekunden.

Jeder Satz eine Schlagzeile

Diese Angriffslust legte er nicht nur im Spiel an den Tag. Immer wieder drohte er mit Rücktritt, legte sich mit der Szene an, schimpfte über den »so schlechten« Nachwuchs. Jahrelang taugte im Grunde jede Aussage des Enfant terrible des sogenannten Gentlemansports zu einer Schlagzeile. Bei der WM 2022 kam der Grinch des Snooker nur einmal durch, als er zu Beginn des Finals lautstark mit dem Schiedsrichter diskutierte. In Erinnerung bleiben aber werden die Tränen der Rührung.

Nummer sieben: O’Sullivan feiert mit Tochter Lily und Sohn Ronnie

Nummer sieben: O’Sullivan feiert mit Tochter Lily und Sohn Ronnie

Foto: OLI SCARFF / AFP

Es ist die Langlebigkeit, die bei O’Sullivan verblüfft. War seine Karriere doch seit den frühesten Phasen auch von Suchtproblemen und Depressionen begleitet. Dass er nach 2001, 2004, 2008, 2012 und 2013 plötzlich auch 2020 und 2022 noch einmal zwei WM-Titel gewinnt, war nicht abzusehen. Die sogenannte Triple Crown aus WM, Masters und UK Championship, die im Snooker als das Maß der Dinge gilt, ist bisher nur elf Spielern gelungen. O’Sullivan hat nun alle drei Turniere jeweils siebenmal gewonnen. Und selbst mit 46 Jahren hatte er auch bei dieser WM keinen wirklichen Gegner. Vor dem einseitigen Endspiel besiegte er seinen ewigen Rivalen John Higgins deutlich. Auch die ersten drei Runden bereiteten dem Snooker-Genie, dass sich in Interviews und eigenen Büchern mit Sportikonen wie Tiger Woods oder Roger Federer vergleicht, keine Probleme.

Stephen Hendry sagte gar, er sei überrascht, dass O’Sullivan so lange gebraucht habe, um seinen Rekord einzustellen. Für ihn sei es »eine große Ehre«, den Rekord mit O’Sullivan zu teilen. »Er hat Snooker auf ein ganz neues Level gehoben.« Und Ronnie O’Sullivan? Er reagierte in seiner bekannt launigen Art: »Wir können uns den Rekord für ein Jahr teilen.«

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