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Rückblick 2009

aus DER SPIEGEL 53/2009

FUSSBALL

»Er hielt sich nicht mehr aus«

Am Vormittag verabschiedete er sich wie immer von seiner Familie, er müsse, sagte Robert Enke, zum Training. Aber es gab kein Training an diesem Tag bei Hannover 96, die Mannschaft hatte frei. Es war die letzte Täuschung, die Enke unternahm, um kurz nach 18 Uhr am 10. November stellte er sich in der Nähe seines Wohnorts Empede auf die Gleise und ließ sich von einem Zug überfahren. Als die Nachricht vom Suizid des Nationaltorwarts bekanntwurde, hielt der Fußballbetrieb, diese große, laute Entertainment-Maschine, für einen Moment inne. Der Deutsche Fußball-Bund sagte ein Länderspiel gegen Chile ab. Und alle stellten sich die Frage: warum? Enke war ein Idol in seinem Club. Drei Jahre vor seinem Selbstmord hatte er noch mit scheinbar übermenschlichen Kräften den Tod der eigenen Tochter verarbeitet. Doch Enke führte ein Doppelleben, der Held im Tor litt an Depressionen, einer gefährlichen, aber noch immer unterschätzten Krankheit. »Er hielt sich nicht mehr aus«, so erklärte es sein Vater Dirk Enke, ein Psychotherapeut. Immer wenn der Druck, dem ein Profifußballer ausgesetzt ist, besonders groß wurde, brach die Krankheit aus. Nur Enkes Familie und engste Freunde wussten von seinen Problemen. Die Wucht, mit der die Krankheit ihn heimsuchte, war indes auch ihnen nicht klar. 40 000 Menschen kamen zur Trauerfeier ins Stadion in Hannover, sie wurde live im Fernsehen übertragen. »Fußball ist nicht alles«, sagte DFB-Präsident Theo Zwanziger in seiner Rede. Bestattet wurde Enke im engsten Freundes- und Familienkreis.

HANDBALL

Kieler Dunst

Der Tag, an dem der Handball in Deutschland seine Unschuld verliert, ist der 8. März. An jenem Sonntag durchsuchen Beamte des Landeskriminalamts Schleswig-Holstein die Geschäftsräume des Handball-Bundesligisten THW Kiel sowie die Wohnungen des Managers Uwe Schwenker und des früheren Trainers Zvonimir Serdarusic. Die Razzia erfolgt nach einer Veröffentlichung des SPIEGEL, in der erstmals beschrieben wird, dass einer der erfolgreichsten Handballclubs der Welt seinen größten Triumph, den Gewinn der Champions League im April 2007, möglicherweise einer Schiedsrichterbestechung verdankt. Im Zentrum der Affäre steht der beim THW allmächtige Schwenker, gegen den fortan wegen des Verdachts der Untreue ermittelt wird. Der Manager selbst, so behaupten es Zeugen später auch gegenüber der Staatsanwaltschaft, soll bei einer Party auf Mallorca im Juli 2007 damit geprahlt haben, dass ihn der Triumph im Finale 120 000 Euro gekostet habe. Im Februar 2009 soll Schwenker die Manipulation erneut zugegeben haben. Beweise für die Schiebung gibt es nicht, auch kein Geständnis, dafür aber die belastenden Zeugenaussagen und Belege für fragwürdige Überweisungen und Barabhebungen. Klar ist: In der Kasse des THW Kiel fehlen 152 000 Euro. Im April trennt sich der Verein von seinem Manager, Mitte Mai gibt sich der THW auf Druck der Sponsoren eine neue Struktur. Unklar ist: Wurden mit dem Geld tatsächlich Schiedsrichter gekauft? Schwenker stellt die Vorwürfe in Abrede, doch erst im November erscheint er zur Vernehmung. Er behauptet, dass 92 000 Euro an einen Kroaten geflossen seien, der für den THW auf dem Balkan ein »Informationsnetzwerk« aufbauen sollte. Weitere 60 000 Euro habe der Verein dem damaligen Trainer Serdarusic teils als Darlehen, teils als Vorschuss gewährt. Schwenkers Aussagen bedürften »der Überprüfung«, sagt der Oberstaatsanwalt in Kiel nach der Vernehmung, »wir werden das so nicht hinnehmen«.

TENNIS

»Wunder auf zwei Beinen«

Vier Stunden und 16 Minuten sind gespielt auf dem Centre Court von Wimbledon, als Roger Federer am Abend des 5. Juli seinen ersten Matchball verwandelt. Der Schweizer hat Sportgeschichte geschrieben in diesem Moment. In fünf Sätzen hatte Federer den Amerikaner Andy Roddick besiegt, es war ein Abnutzungskampf, 5:7, 7:6, 7:6, 3:6, 16:14. Es war sein 15. Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier, kein anderer Profi hat häufiger gewonnen. »Danke, Roger, dass du uns alle zu durchschnittlichen Spielern degradiert hast«, sagte Altmeister John McEnroe hinterher. Für Boris Becker ist Federer endgültig »der beste Spieler aller Zeiten«, und die australische Tennislegende Rod Laver meinte: »Es ist unfassbar, dass ein einzelner Spieler so viel kann«, Federer sei »ein Wunder auf zwei Beinen«. Vier Wochen vor seinem historischen Triumph in London hatte Federer bereits die French Open in Paris gewonnen, es war der letzte große Titel, der ihm noch fehlte. Federer spielt einen zeitlos schönen Stil, er vertraut auf Technik, Spielwitz und Instinkt. Der Vater von Zwillingen, zwei Mädchen, hat in seiner Karriere bislang 53 Millionen Dollar Preisgeld gewonnen, er beendet 2009 als Nummer eins der Weltrangliste, zum fünften Mal in sechs Jahren. Nach seinem Erfolg in Wimbledon trug Roger Federer ein T-Shirt mit der Aufschrift: »There is no finish line« - es gibt keine Ziellinie.

Zitate 2009

»Ich wusste weder, wo ich bin, noch, warum ich dort bin. Ich konnte nicht sprechen, nichts schmecken und nicht riechen. Meine Eltern mussten mir jeden Tag aufs Neue erklären, dass ich ihr Sohn sei.«

Der Schweizer Skirennfahrer Daniel Albrecht, der bei einem Sturz ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten hatte, über sein Erwachen aus einem dreiwöchigen künstlichen Koma.

»Manchmal habe ich mich wirklich wie der Ungeliebte gefühlt.«

Der Rennfahrer Michael Schumacher.

»Es sollte das Ziel im Leben sein, jeden Tag in Kunst zu verwandeln.«

Arsène Wenger, Trainer des englischen Fußballclubs FC Arsenal.

»Ich empfinde mich als Wasserwesen, das Wasser ist mein Territorium. Es ist ein sehr starkes Gefühl von ,meins, meins, meins'.«

Die mehrfache Schwimm-Weltmeisterin und Olympiasiegerin Britta Steffen.

»Etwa zwei Wochen nach der ersten Injektion konnte ich Intervalle rennen, ohne einen Funken Müdigkeit zu spüren. Ich hängte meine Kumpel am Berg ab und dachte: Wow! Mehr davon!«

Die österreichische Triathletin Lisa Hütthaler über die Wirkung ihrer ersten Epo-Injektion.

»Egal, wie nett und ehrbar ein Business sein mag: Es gibt überall jemanden, der nicht möchte, dass du der zentrale Mann bist.«

Motorsport-Präsident Max Mosley über seinen Sexskandal und die Obszönität der Formel 1.

Quelle: DER SPIEGEL

LEICHTATHLETIK

Weltrekord in Berlin

Im Anschluss an ein Rennen in Manchester erklärte der Sprinter Usain Bolt im vergangenen März, dass sich die Welt auf ein Sportwunder gefasst machen solle. Es sei ihm möglich, die 100 Meter unter 9,60 Sekunden zu laufen. »Ich muss mich nur danach fühlen«, sagte der Olympiasieger aus Jamaika. Fünf Monate später stieg Bolt beim 100-Meter-Finale der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin in den Startblock. Es war eine laue Sommernacht, leichter Rückenwind. Über 50 000 Zuschauer im Olympiastadion hielten den Atem an. Bolt lief in 9,58 Sekunden durchs Ziel. Weltrekord. Das Publikum sprang begeistert aus den Sitzen. Die 100 Meter sind ein episches Rennen, sie stehen symbolisch für die Leistungsfähigkeit des Menschen. Bolt, 23, hat die Grenzen neu gesteckt. Er wird oft zum Thema Doping befragt, doch größer als die Zweifel sind Bewunderung und Begeisterung für den Rekordläufer aus der Karibik. Nach seinem Sieg in Berlin genoss er ein paar Partynächte, dann verabschiedete er sich erst einmal von der großen Sprintbühne und flog zurück nach Jamaika. Sein nächstes Ziel, sagte er, seien die Olympischen Spiele 2012 in London und eine Zeit unter 9,50 Sekunden. »Ich bin noch nicht fertig mit dem Job.«

SCHWIMMEN

Zeit der Plastikhäute

Schwimmen gehörte einmal zu den simpelsten Sportarten. Alles, was man im Becken brauchte, waren Badeanzug oder Badehose. Dann entwickelten die Hersteller die Ganzkörperanzüge, beschichteten diese mit Kunststoff und verschweißten die Einzelteile mittels Ultraschall, damit sich fast keine bremsenden Nähte bilden. Eine halbe Stunde brauchen die Athleten, um sich das Hightech-Textil über den Leib zu ziehen. Das Schwimmen geht hinterher umso schneller, die Anzüge lösten eine Flut von Weltrekorden aus: im abgelaufenen Jahr fast 150. Zwei Deutsche prägten die absurde Saison mit ihren Doppelsiegen und Weltrekorden bei der WM in Rom. Britta Steffen, 26, gewann über 50 und 100 Meter Freistil, Paul Biedermann, 23, holte sich die Titel über 200 und 400 Meter Freistil und besiegte dabei sogar US-Superstar Michael Phelps. So unterschiedlich die sensible Steffen und der selbstbewusste Biedermann auch auftreten, in einer Frage sind sie sich einig: Ihre Bestzeiten verdanken sie der Cleverness ihrer Ausrüster. Doch die Zeit der Plastikhäute läuft aus, vom neuen Jahr an dürfen wie früher nur noch knapp geschnittene Textilien getragen werden. Die Prognose, wie viele Weltrekorde das Jahr 2010 denn bringen wird, fällt leicht: wohl keinen.

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