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OLYMPIA-FERNSEHEN Russisches Roulette

Westeuropas TV-Anstalten, allen voran die Bundesdeutschen, wollen das Akkreditierungslimit für die Olympischen Spiele in Moskau weit überziehen.
aus DER SPIEGEL 23/1979

Innenminister Gerhart Baum gab sich zufrieden. Seine Gespräche über das vorolympische Klima, verkündete der Bonn-Reisende jüngst in Moskau, seien »ausgezeichnet« verlaufen.

Was Baum nicht angesprochen hatte: die Probleme bei der Übermittlung der völkerverbindenden Wettkämpfe auf die bundesdeutschen Bildschirme. Dabei stehen nämlich, versicherte ein TV-Manager dem SPIEGEL, »die Dinge noch längst nicht zum besten«.

Schon vor Monaten hatten sich ARD und ZDF darauf geeinigt, den Moskauer Medaillenkrieg samt Eröffnungs- und Schlußzeremonie vom 19. Juli bis 3. August 1980 im täglichen Wechsel zu verbreiten.

Um die zu erwartende Bilderflut optimal nach den nationalen Erwartungen ihrer heimischen Zuschauer kanalisieren zu können, glauben ARD und ZDF allerdings, in der Sowjet-Metropole einen konkurrenzlosen Aufwand treiben zu müssen: Allein 150 Mitarbeiter sind für die TV-Berichterstattung vorgesehen, weitere 46 sollen das Radio beliefern.

196 Mann -- das ist Europa-Rekord. Zwar haben die Briten gar 198 Vertreter für Olympia vorgesehen, doch bieten sie auch -- ein wahres Horror-Bild -- noch mehr Grätschen und Sprünge. Denn anders als die beiden westdeutschen Systeme haben sich die BBC und das kommerzielle ITV, die gerade im Sport auf hartem Konkurrenzkurs liegen, nicht auf einen gemeinsamen Olympia-Dienst geeinigt und drohen ihrem Insel-Publikum mit Dubletten.

Dennoch: Selbst im Vergleich mit den Engländern steht die bundesdeutsche Crew an der Spitze. Die Österreicher beispielsweise bescheiden sich mit 30 Repräsentanten, Dänen und Schweizer gar mit je 28. Die European Broadcasting Union (EBU), der Dachverband von 34 westeuropäischen und mediterranen Sendegesellschaften und deren Verhandlungsführer in Moskau, sieht die bundesdeutsche Übergröße denn auch ungern, zumal die EBU täglich zwei komplette TV-Programme aus den Moskauer Sportstätten über Extra-Drähte westwärts überspielt.

Aber ein solches paneuropäisches Sammelsurium, gaben die Sportredakteure von ARD und ZDF zu bedenken, würde naturgemäß viel zu wenig auf die Interessen der Bundesbürger eingehen und beim hiesigen Publikum möglicherweise ähnlichen Unmut erwecken wie 1976 die Berichte aus Montreal.

Damals waren die Olympia-Fans aus Protest gegen die lückenhaften und stutzerhaft kommentierten Übertragungen von ARD und ZDF massenweise in ausländische Kanäle abgewandert. Den meisten Zulauf und ungewöhnlichen Beifall fand dabei vor allem das Fernsehen der DDR.

Eine ähnliche Blöße möchten sich die Öffentlich-Rechtlichen gerade im Hinblick auf mögliche politisch-propagandistische Untertöne des Moskauer Völkertreffens nicht noch mal geben. Deshalb versteifte sich die von WDR-Intendant von Sell geleitete ARD/ ZDF-Olympia-Kommission auch gleich zu Beginn ihrer Planung auf einen Moskauer Großeinsatz.

Das sowjetische Organisationskomitee indes, das technisch wie planerisch vor einem televisionären Weltrekord steht, stellte sich bislang taub gegenüber der Inflation westeuropäischer Fernsehvertreter. Von den insgesamt 3800 Mitarbeitern, die die Russen für die rund 135 Rundfunkgesellschaften aus aller Welt zulassen wollen, fallen auf die EBU genau 1000 -- 97 zu wenig.

Daß die Organisatoren in Moskau noch nachgeben und bei ihrem Mangel an Unterkünften noch zehn Prozent mehr EBU-Repräsentanten akkreditieren werden, hielt ein Verhandlungsteilnehmer für »höchst unwahrscheinlich«. ARD und ZDF spielen »Russisches Roulette« (ein TV-Funktionär): Bei einem harten Njet würde die bundesdeutsche TV-Olympia-Planung über den Haufen geworfen.

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