»Sauberkeit, verdammt noch mal«
Eine Video-Aufzeichnung nach seinem jüngsten TV-Auftritt hat ihm seine Ausstrahlung wieder bestätigt. »Mann, guck' an, der Klemme«, geriet der Kaufmann Holger Klemme da angesichts seines über die Mattscheibe flimmernden Konterfeis fröhlich ins Schwärmen. Vor allem »so vom Styling her« fand er sich »taff ... irgendwie unheimlich gut aussehend, der Junge«.
Er mag sich halt, und darüber zu reden bereitet ihm keinerlei Schwierigkeiten. Seine Devise heißt: Immer locker bleiben, Public Relations bedeuten ihm viel, denn »die Verkaufe« soll schließlich stimmen.
Holger Klemme verkauft, was man als heiße Ware empfinden muß: Er vermittelt Transfers, den gesteuerten Vereinswechsel von Fußballprofis - ein manchmal hartes, häufig genug die Grenzen zum Unappetitlichen weit überschreitendes Maklergeschäft.
Erst kürzlich, zu Beginn der 21. Liga-Saison, hat sich die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg wieder veranlaßt gesehen, im Falle des von Eintracht Frankfurt an Bayer 04 Leverkusen verscherbelten Koreaners Bum Kun Tscha von einem »widerlichen Vorgang« und »regelrechten Menschenhandel« zu sprechen.
Derartige Urteile, erfährt man von Holger Klemme, einem 31jährigen Betriebswirt aus Bad Godesberg, träfen allenfalls die Branche an sich und zumal Kollegen, die er selbst als »reine Provisionshaie und Schwarzgeld-Mafiosi« verabscheut.
Er, der Sohn und Juniorpartner eines Gleisbau-Unternehmers, der sein Geld so ohnehin schon verdient, beruft sich - was »das Spielbein« anbelangt - auf sein Engagement als Berater und Interessenvertreter. Er hantiere ja nicht am Telephon, um die schnelle Mark zu machen und einen Fußballer von X nach Y zu rangieren.
In der Tat, Holger Klemme bietet - zunächst einmal - Außergewöhnliches: natürlich Hilfe beim Vereinswechsel, überdies aber auch »Maßnahmen zur Imageförderung« (etwa Pressebetreuung wie bei Jimmy Hartwig vom HSV) oder Anlageberatung (konventioneller Tip: »In feste Werte investieren") oder den Beistand bei seelisch bedingten Durchhängern - und dies »alles auf der Basis des reinen Erfolgshonorars«.
Mehr aus Zufall stieg er ein, als Norbert Nigbur, ein sprachlich ziemlich ungelenker Sportsfreund aus gemeinsamer Jugendzeit, erst Torhüter bei Schalke, dann von Hertha BSC Berlin verpflichtet und mit Sehnsucht zurück nach Westen, bei ihm angeklopft hatte: ob der Holger denn nicht mal gucken könne.
Heute, im siebten Jahr danach, muß sich Klemme um Kundschaft kaum mehr bemühen. Die Professionals rufen bei ihm an, und er, der Impresario, kann sich gar leisten, sie auszuwählen.
Er mag nur »Action-und/oder Gambling-Typen«, möglichst handfeste, redlich bemühte Spielernaturen und weist den »Zockern« die Tür, weil die für ihn »nicht ausrechenbar« sind.
Denn der Manager hat Vorsicht walten zu lassen. Das renditeträchtige Kernstück seiner Angebote - die Maklertätigkeit - stellt einen Verstoß gegen das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit dar. Letzten April hat er deshalb, mehr symbolisch, dafür gezahlt, als ihn das Amtsgericht in Düsseldorf mit einer Buße von 1000 Mark vergrätzte. Er hat Beschwerde dagegen eingelegt.
Klemme muß also Vertrauen vorschießen und darauf bauen, daß ihm seine Bemühungen - im Regelfall kassiert er zwischen fünf und zehn Prozent des jährlichen Einkommens seiner Geschäftspartner - nach Vereinswechseln oder Vertragsverlängerungen auch vergolten werden.
Aber er makelt erfolgreich. Ohne ihn hätte der 1. FC Kaiserslautern vermutlich nicht seinen Jungstar Thomas Allofs, der Hamburger SV nicht das Laufwunder Jürgen Groh, Werder Bremen nicht den Aufsteiger der letzten Saison, den »Spieler des Jahres«, Rudi Völler, einkaufen können. Kein Vermittler wäre fähig, wie er, zwei komplette Mannschaften auflaufen zu lassen. Schon keimt in manchen Vereinen das Unbehagen, er sei damit in der Lage, auch Ergebnisse zu manipulieren.
Für die in Köln erscheinende »Sport-Illustrierte« ist der ehemalige Libero des Amateurvereins RSV Bösingfeld aus dem lippischen Extertal mithin zur unbestrittenen Nr. 1 im Marketing des bezahlten Fußballs, zum »Drahtzieher«, »Mann im Hintergrund«, gar zur »grauen Eminenz der Bundesliga« avanciert.
Gewiß ist er alles andere als ein Würdenträger. Vielmehr steht Klemme voll auf der Höhe von Zeit und Zeitgefühl - mit seinen leicht geschwungenen Beinen, dem sehnenstarken Hals, den das obligatorische Edelmetallkettchen ziert, und
der gepflegten Kleinstlocken-Haarstruktur, eine Toni-Schumacher-Adaption mit Einsprengseln von Bruno Pezzey: eine »Gestalt der Liga«.
Aus dem aktuellen Vokabular schöpfend und damit verständlich, spricht er die Sprache der Kundschaft. Er begegnet ihr »bewußt auf der gleichen Ebene«, spürt sofort, was Sache ist, wenn ihn der Thomy aus Lautern anklingelt oder der Joschi in Hamburg oder der Rudi in Bremen nicht klarkommt.
Dann rauscht er mit seinem »280er CE« auf superbreiten Reifen und vermittels kürzerer, harter Stoßdämpfer und Federn extrem tief über dem Boden liegend, vorzugsweise nächtens über die Autobahnen, um sich seinen sensiblen Starkickern zuzuwenden.
Unablässig ist er am Ball, hört in den Stadien auch hinter den Kulissen das Gras wachsen, hat in der vergangenen Saison - die Weltmeisterschaften nicht mal eingeschlossen - neben der üblichen Einzelbetreuung 84 Fußballspiele begutachtet.
Schulterklopfend begrüßt oder »ätzend angemacht«, aber ständig ins Visier genommen, bewegt er sich zielsicher in Hotelhallen, Klubgeschäftsstellen, diversen Bars, lädt zu Drinks ein (sein Spezielles: Kirschsaft mit Wodka) und fühlt sich als »Paradiesvogel mit anerkanntem Fachwissen«.
Gegen die Regeln seiner eher im dunkeln arbeitenden Branche setzt Klemme auf »Offenlegen«, »Ran an den Feind«, »Klartext« mit Kodderschnauze. Wo immer sich seines Erachtens Schlimmes zusammenbraut, er in den Klubs »zwischenmenschliche Schweinereien en masse« oder unter den Vorständen »jede Menge Profilneurotiker« erkennen kann, glaubt der Kritiker, »diese Scheiße in die Öffentlichkeit raushauen« zu müssen.
Das ist es, was den Deutschen Fußball-Bund - und zwar weit mehr als alle vermeintlichen Ungesetzlichkeiten des Klemmeschen Wirkens - gegen den selbsternannten Spieler-Manager so in Rage bringt: daß »der Kerl«, wie ein Sprecher in der Frankfurter Zentrale verständnislos registriert, »statt klammheimlich Kohle zu machen«, derart »die Klappe aufreißt«.
Doch Holger Klemme läßt sich davon nicht beeindrucken. Unerschrocken setzt er noch einen drauf, indem er den DFB als »Papiertiger« und »herbeigesungene Macht«, dessen Präsidenten Hermann Neuberger als »den Hans-Dietrich Genscher des deutschen Fußballs« wie den Funktionärskörper darunter als eine »Flaschensammlung« verhöhnt.
Warum tut er das und legt sich mit diesem mächtigen Dachverband an? Bloß aus Daffke? Treibt ihn die Geltungssucht?
Wahr ist, daß er, »um Power zu spüren, Trouble braucht«, und auch ansonsten scheint der selbstbewußte Agent provocateur nicht gerade auf höchstem Diskussionsniveau um die Reste eines schwindenden Wertebewußtseins und einer gefährdeten Moral anzustehen.
Die Wortkanone Holger Klemme kämpft um weniger. Denn allemal klar ist es dem Schnelldenker - der in dem von ihm bezogenen halben Dutzend Zeitungen lieber die Politikseiten als die Sportnachrichten studiert -, daß es auf der Welt notwendigere Erwerbszweige gibt als den von ihm ausgeguckten.
Was hier aufscheint, ist eine seltsame Mischung aus ball- und milieuverrücktem Fan und, in seiner Eigenschaft als Betriebswirt, einer starken Lust an der vorgeblich klassischen Ökonomie, die vom DFB wie zahllosen Vereinsfunktionären Fall für Fall mißachtet werde.
Holger Klemme will »Sauberkeit ... verdammt noch mal«. Und Sauberkeit heißt für ihn, auf einen Nenner gebracht, Marktwirtschaft; freilich soziale, unter Berücksichtigung der in der Arbeitswelt von den Gewerkschaften erstrittenen Waffengleichheit unter den Partnern.
Waffengleichheit ist das Schlüsselwort, das der clevere, aber vor dem Hintergrund der im DFB festverwurzelten Scheinheiligkeit geradezu wie ein sympathischer Schinderhannes anmutende Geschäftsmann zur Rechtfertigung seines Business ständig bereithält.
Bei den ersten Verträgen, so hat Klemme beobachtet, wird das unerfahrene Talent von gewieften Vereinsmanagern »gnadenlos über den Tisch gezogen«. Folglich müsse beim Verhandlungspoker, »etwa mit einem Ausgefuchsten wie dem Netzer«, einer mit Durchblick auf der Matte stehen.
So plädiert er für sich; hat als ersten großen Fisch den Horst Hrubesch an Land gezogen oder später den Torsteher Rudi Kargus vermakelt, der es ihm im nachhinein dankbar schriftlich gab, daß er als »der totale Profi« gehandelt habe.
Selbst ein Vereinspräsident, der aus Scheu vor dem DFB seinen Namen nicht preisgeben möchte, rühmt »die hohe Sachkompetenz« des Kicker-Agenten.
Der Liga-Ausschuß des Deutschen Fußball-Bundes beriet über das Phänomen mehr als zwei Stunden. Alsdann, ohne Klemme zu nennen, sind die Vereine per Rundbrief gewarnt worden, der DFB könne sich veranlaßt sehen, privat vermittelten Akteuren die Lizenz zu verweigern.
»Oioioioi«, spottet da der Bundesliga erfolgreichster Spieler-Manager und schlägt zurück: Falls die Herren das wirklich versuchten, gebe es eben »'n bißchen was um die Ohren, nicht wahr!«
Manches spricht dafür, daß sich der ungebärdige Impresario solche Despektierlichkeiten durchaus leisten kann, ohne dafür büßen zu müssen. Immerhin scheint die Bundesanstalt für Arbeit, auf die sich der DFB so gerne beruft, in Sachen Klemme kapituliert zu haben.
Dürfe man »nicht zufrieden sein«, so fragt die Anstalt, »wenn sich denn auch mal ohne uns noch irgendwo Arbeitsverhältnisse ergeben, die nur mehr aus den Gesetzen des Marktes zustande kommen?«
Das ist der Ton, aus dem für Holger Klemme Musik gemacht wird. Aber er hat's ja schon immer gewußt: »Die Nürnberger, der Präsident, der Stingl - alles lockere Typen, die die Problematik natürlich sehen.«