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ZIELPHOTO Schatten im Spiegel

aus DER SPIEGEL 46/1966

Vor drei Monaten hatte ein unbewiesenes Tor der englischen Fußballelf bei der Weltmeisterschaft geholfen. Am vorletzten Sonntag wurde der englische Sport das Opfer einer umstrittenen Entscheidung: Der englische Fuchshengst Salvo geriet durch ein Zielphoto, das ihn überhaupt nicht erfaßt hatte, auf den zweiten Platz.

Auf den letzten Metern im »Preis von Europa« (Gewinnsumme: 250 000 Mark) war Salvo zu dem führenden russischen Hengst Anilin vorgeprescht.

»Ich habe gewonnen«, tönte Salvo -Jockey Joe Mereer siegessicher. Doch

die Rennleitung in Köln-Weidenpesch zog das Zielphoto heran und entschied: »Kurzer Kopf« für Anilin. Dem fünfjährigen Sowjethengst, der schon im letzten Jahr gesiegt hatte, fiel zum zweitenmal der Hauptpreis von 175 000 Mark zu. Anilin wurde außerdem zum teuersten Einladungs-Rennen der Welt am 11. November in Laurel Park (Gewinnsumme: 600 000 Mark) nach Amerika eingeladen. Salvo-Besitzer Gerry Oldham, ein englischer Finanzmakler, mußte sich mit 40 000 Mark bescheiden.

Seine Vertreter in Köln verlangten das Negativ des Zielbildes. »Es ist offensichtlich - und das einzige, was an der ganzen Sache klar ist«, schrieb der »Daily Express«, »daß es keine sichtbare Unterlage liefern konnte.« Das Bild zeigte einzig Anilin.

Auf dem Photo des Spiegelbildes, das vom Zielpfosten an der Innenseite der Bahn, gegenüber dem Richterturm, gewonnen wird, waren nur vieldeutige Schatten erkennbar. Der andauernde Regen hatte den Zielspiegel getrübt und beschlagen. Außerdem wollten die Engländer bemerkt haben, daß der Spiegel nicht korrekt justiert war. Eine ähnliche Fehlentscheidung, die 1949 im Rennen um die Bentinck Stakes in Goodwood seinen Hengst High Stakes begünstigt hatte, korrigierte Lord Astor damals wie ein Gentleman: Er bot dem benachteiligten Besitzer die Hälfte seines Preises.

Als sich am Tage nach der Kölner Panne Besitzer, Trainer und Funktionäre zu einer Arbeitstagung auf der Rennbahn versammelten, bestätigten Teilnehmer: »Es mußte zumindest auf totes Rennen entschieden werden.« Der fragwürdige Richterspruch deckte freilich ein Dilemma auf, in das deutsche Rennrichter jederzeit erneut geraten können. Jockey Mercer hatte für seinen Endspurt wohlbedacht die äußerste Spur gewählt. Sie war als einzige relativ hart. Innen war das Geläuf nach 17 Stunden Regen durch vier voraufgegangene Rennen zusätzlich weich und schwer geworden.

Aber Mercer hatte auf der Außenbahn die Zielkamera im toten Winkel unterlaufen. Wie auf fast allen deutschen

Galopprennbahnen schließt auch in Köln der 1896 errichtete Zielrichterturm unmittelbar an das 22 Meter breite Geläuf an. So vermag die 1950 auf dem Dach angebrachte Kamera die Ziellinie nicht vollständig zu erfassen. Auf englischen Rennbahnen, etwa in Ascot, sind die Zielphoto -Einrichtungen deshalb weiter entfernt auf das Tribünendach versetzt worden. In Köln erwägen Experten

jetzt, die Kamera über dem Geläuf zu installieren.

Die Engländer waren den Richtern der unzulänglich ausgerüsteten Rennbahn doppelt gram: Denn Sowjetjockey Nikolai Nasibow und Anilin hätten nach dem international üblichen Reglement disqualifiziert werden müssen. Sie hatten das schnellste deutsche Pferd Bandit regelwidrig nach außen gedrängt und so am Überholen gehindert. Doch Nasibow wurde lediglich verwarnt. Auf der Tribüne erwartete der russische Botschafter Zarapkin Sieg und Devisen durch den Favoriten Anilin.

Kein Protest des Salvo-Besitzers Oldham vermochte den Sowjet-Sieg umzustoßen. Er gilt - ebenso wie Englands drittes Weltmeisterschafts-Tor - als unanfechtbare Tatsachenentscheidung.

Sowjethengst Anilin im Ziel: Panne im toten Winkel

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