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Doping Schwelt und kocht

Die Bewältigung der Doping-Vergangenheit beginnt: Funktionäre gehen, die Sportler müssen zum TÜV.
aus DER SPIEGEL 39/1991

Die Ingenieure vom TÜV sind für deutsche Spitzensportler bisher unbekannte Wesen. Die Athleten kennen nicht die Qualen der Autofahrer, die alle zwei Jahre bei den Technischen Überwachungsvereinen die Prüfplakette für ihre Wagen erzittern müssen - ihre zu Sonderkonditionen geleasten Sponsorautos sind fabrikneu.

Doch von Oktober an werden sich auch die Sportler an die strengen Blicke der Kontrolleure gewöhnen müssen. Bei den Leichtathleten steht dann nicht mehr der freundliche Dopingtester vom Verband, sondern der Mann vom TÜV vor der Tür.

An diesem Montag wird Theodor Rous, Vorsitzender der Anti-Doping-Kommission des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV), beim TÜV Rheinland in Köln vorstellig, um letzte Einzelheiten für den bundesweiten Sport-Einsatz der unabhängigen Kontrollorganisation zu besprechen. Rous will endlich die »Qualität der Doping-Kontrollen« verbessern - saubere Athleten wie die Hochspringer Carlo Tränhardt oder Heike Henkel hatten sich immer wieder über Mängel beklagt _(* Bei dem Hochspringer Carlo Tränhardt. ) - und deshalb »marschiert der TÜV jetzt mit«.

Der Entschluß, die Testaufgaben von unabhängigen Prüfern erledigen zu lassen, reifte bei den DLV-Verantwortlichen in der letzten Woche schnell. Monatelang hatten sie die Kritik an ihren Kontrollen mit stoischer Ruhe ausgesessen. Doch als Rous und sein Mitstreiter, der ehemalige Hürden-Europameister Harald Schmid, Fehler im angeblich so perfekten verbandseigenen Kontrollnetz nachwiesen und auch die Kontrollen im Donike-Labor sich als lückenhaft erwiesen (SPIEGEL 38/1991), war ein Aussitzen des Problems nicht länger möglich. »Wir haben in den Medien soviel um die Ohren gekriegt«, klagte DLV-Vizepräsident Werner von Moltke, »jetzt geht''s ran ans Eingemachte.«

Auf einem Außerordentlichen Verbandstag am 6. Oktober werden alle Führungspositionen des Verbands neu besetzt. Am vergangenen Montag in Sindelfingen konnten sich die Präsiden auf einer Krisensitzung zwar noch nicht zu ihrem Rücktritt durchringen, weil dies »nach einem Schuldeingeständnis« ausgesehen hätte. Doch bis zum Verbandstag wollen einige Funktionäre ihre Posten zur Verfügung stellen. »Wer ein bißchen Anstand hat«, sagt von Moltke, »der tritt zurück.«

Mit dem DLV ist bereits der zweite Sportverband an der Vergangenheitsbewältigung gescheitert. Auch bei den Schwimmern hatte die Anti-Doping-Fraktion gegen die lasche Haltung der Verbandsführer protestiert. Die Querelen endeten vorläufig mit einem Rücktritt von Präsident und Vizepräsident.

Und es wird weitere Verbände treffen. »Es schwelt woanders genauso«, weiß von Moltke, »da wird einiges hochkochen.«

Nach einer Diskussion mit dem Kasseler Sozialrichter Professor Heinrich Reiter, der die von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble initiierte »Unabhängige Dopingkommission« leitete, wußte Ferdinand Tillmann, der Vorsitzende des Sportausschusses des Bundestages: »Wir werden mit Radfahrern und Kanuten reden müssen.«

Die geheimen DDR-Aufzeichnungen weisen vor allem den Kanuverband der DDR als Doping-Zelle aus. Zur »Verbandskonzeption« zählte die Verabreichung von Anabolika; selbst 16jährige Mädchen mußten, oft unter Zwang, die Doping-Pillen schlucken. Der Kanu-Verbandsvorsitzende Ulrich Feldhoff will seinem Stellvertreter Helmut Zänsler, zu DDR-Zeiten Präsident des Verbandes, »den Rücktritt nahelegen«.

Wenn erst einmal der erste Ost-Trainer entlassen wird, kündigt SPD-Sportobmann Wilhelm Schmidt an, würden »viele auspacken«. Dann werde sich eine Enthüllungswelle fortsetzen, vor der die »Oberfunktionäre eine Heidenangst« hätten.

Die Sportpolitiker halten Eile für geboten. »Von den gleichen Leuten, die jetzt Sauberkeit versprechen, sind wir jahrelang genasführt worden«, sagt Schmidt, »und vieles, was die Verbände jetzt gemacht haben, ist auch Pippifax.«

Schmidts Bundestagskollege Tillmann erwartet deshalb, daß der gesamte deutsche Leistungssport dem Beispiel der Leichtathleten folgt und den TÜV mit »überfallartigen« Doping-Kontrollen beauftragt.

Gründe für den harten Politikerkurs lieferten vor allem die halbherzigen Rechtfertigungen in der letzten Woche. Ungerührt erklärten Verbandsfunktionäre immer wieder, ihnen sei Beweismaterial nicht ausgehändigt worden. Tatsächlich aber ist DLV-Sportwart Manfred Steinbach seit einem Jahr im Besitz jener Dokumente, die die Kugelstoßer Kalman Konya und Claus-Dieter Föhrenbach belasten - er schwieg. Und DLV-Präsident Helmut Meyer wußte seit April von der Brisanz der DDR-Unterlagen - er schwieg ebenfalls.

Der Kölner Biochemiker Professor Manfred Donike, der eine unter die Urinfläschchen von Sportlern gemischte positive Probe eines Funktionärs nicht entdeckt hatte, nannte den Test des Mainzer Apothekers Horst Klehr eine »dilettantische Überprüfung der Arbeitsweise eines Labors«. Indes blieb der wortgewaltige Donike die Erklärung schuldig, warum er den angeblich so dilettantischen Test nicht locker bestanden hat. Sibyllinisch sprach er von »unvermeidlichen Grenzproblemen«.

Von Klehr auf den falschen Befund angesprochen, rechtfertigte sich Donike zunächst damit, der Funktionär müsse schon sehr alt gewesen sein - der Proband, ließ Klehr wissen, sei 32 Jahre alt. Nachdem Donike weitere Anhaltspunkte auf die Medikation erhalten hatte, erkannte er beim zweiten Blick auf die Laborwerte immerhin eines der beiden eingenommenen Aufputschmittel. Das andere, so der Professor, könne er nicht finden, weil der Funktionär wohl ein starker Raucher sei - der ehemalige Leistungssportler hatte aber am Testtag keine Zigarette angefaßt.

Für Tillmann ist die Schlußfolgerung zwingend: »Wir brauchen in Deutschland ein zweites Labor, das die Kontrolleure kontrolliert.«

Fünf Monate vor den Olympischen Winterspielen in Albertville und zehn Monate vor den Sommerspielen in Barcelona steht der deutsche Sport vor seiner härtesten Zerreißprobe: *___Athleten, die für ihre Doping-Sünden amnestiert werden ____sollen, solidarisieren sich immer stärker mit ihren ____Trainern, die Konsequenzen fürchten müssen. So ____erzwangen die Schwimmer mit einer Boykottdrohung die ____Betreuung durch dopingbelastete Ost-Trainer vor der ____Europameisterschaft. Die Leichtathletin Heike Drechsler ____droht unverblümt mit einem Wechsel ins Ausland. *___Unter den Sportlern wächst ein »Ost-West-Konflikt« ____heran, der die mühsam begonnene Verständigung stört. ____Für die ostdeutschen Aktiven, so DLV-Vize von Moltke, ____sei es unverständlich, daß ihre Vergangenheit präzise ____recherchiert werde, während die ebenfalls gedopten ____West-Kollegen verschont blieben. *___Die Doping-Diskussion vergrößert das Nachwuchsproblem. ____Sportlehrer drohen den Funktionären in einer ____bundesweiten Aktion, junge Talente vom Einstieg in den ____Leistungssport abzuhalten, solange die Sauberkeit nicht ____gewährleistet ist.

Und noch immer gibt es Zweifel daran, daß die Verbandsherren für ihre versäumten Doping-Kontrollen wirklich geradestehen. Die »seriösen, alten Herren des Sports«, erklärt der frühere Zehnkämpfer von Moltke den Wertewandel in den Führungsriegen, hätten längst nicht mehr das Sagen. In atemberaubenden »Krabbel-Karrieren« hätten sich machtbessene Ehrgeizlinge nach oben gedient, »und mit denen gibt''s nur Streß«.

Schon deshalb mag die Anti-Doping-Riege des DLV, neben Rous und Schmid auch noch die Weitsprung-Olympiasiegerin Heide Rosendahl, von einem sarkastischen Ritual nicht lassen, das seit Monaten gepflegt wird. Sie verabschieden sich mit den Worten: »Auf Wiedersehen bis zur nächsten Katastrophe.« o

* Bei dem Hochspringer Carlo Tränhardt.

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