FUSSBALLZEITSCHRIFTEN Seicht und sexy
Die Interviews des Journalisten Oliver Lück sind Studien der Angst. Erst neulich wieder habe einer seiner Gesprächspartner vor Nervosität geschwitzt »wie in der Sauna«, berichtet er mit Mitleid in der Stimme. »Tim Borowski, unserem Fußball-Nationalspieler, hätte eine Dusche sichtlich gutgetan.«
Trotz aller Anteilnahme: Seine Gegenüber von ihren Angstschweißattacken zu erlösen käme Lück, 32, nicht in den Sinn. Im Gegenteil. Der Redakteur des Fußballmagazins »Rund« schließt die zu Befragenden an einen Lügendetektor an. Erhöhte Pulsfrequenzen und Stress sind die Folge. Aber auch echte Geständnisse wie das des Mainzer Trainers Jürgen Klopp: »Ich habe, kurz bevor ich Trainer wurde, Sandro Schwarz, einem sehr guten Freund von mir, eine Kopfnuss verpasst.« Und Nationalspieler Per Mertesacker räumte ein, beim Autofahren »tick ich manchmal aus«.
Seit Juli verblüfft »Rund« mit einer unkonventionellen Berichterstattung übers Kicken - und damit ist es nicht allein. »Player«, seit Oktober auf dem Markt, verbindet als erstes Fußballmagazin in Deutschland den traditionell ernsten Kicksport mit traditionell seichtem Lifestyle. Sichtlich stolz steht »Player«-Chefredakteur
Oliver Wurm vor einem Computer und zeigt die Bilder eines Modeshootings, wie es sonst eher in »Brigitte« üblich ist: Werder Bremens Spieler Nelson Valdez und Naldo posieren als nacktbeinige Models für Mützen, Schals und Jacken, grinsend und durchaus sexy, vor einer brennenden Tonne mitten im Weserstadion. Hohe Leseraufmerksamkeit wird auch das Schwarzweißfoto erzielt haben, das Wurm von Mailands Torjäger Andrej Schewtschenko drucken ließ: Im Vordergrund schmachtete, sparsam bekleidet, dessen Gattin Kristen.
Sollte es Barmherzigkeit im Medienuniversum geben, dann wird sie nun den Fußballjournalisten zuteil. Jahrelang galt der Markt im Printbereich als gesättigt; monatlich oder noch seltener erscheinende Titel wie »Sports« oder »Hattrick« kamen und gingen. Neben der Tagespresse beherrschte das biedere Zentralorgan »Kicker«, 85, das Genre. Auch gegen die feuchtfröhlichen Eskapaden der »Sport Bild« kam niemand an, unnachahmlich Schlagzeilen wie: »Das Pipi-Geheimnis von Doll / 5 Urinproben am Tag: Darum läuft's beim HSV«.
Jetzt aber, im Fieber der nahenden Weltmeisterschaft, finden kleine und große Verlagshäuser Themen aus der Fußballwelt auf einmal ungeheuer profitverdächtig. Der Stuttgarter Motor-Presse-Verlag schickte - mit Michael Ballack auf dem Titel - das Hochglanzblatt »Champ« probehalber an den Start. Angetrieben von Branchenanalysten, die ordentliche Zuwächse im Anzeigengeschäft prognostizieren, tummelt sich somit eine Garde junger, wilder Magazine auf dem Spielfeld, um Werbekunden und neuen Käuferschichten nachzujagen.
Und wie alle Kinder sind sie angetreten, ihre Eltern zu entmachten - sie wollen die Fußballberichterstattung revolutionieren.
Das macht auch Sinn. Schließlich hat die Welt des Fußballs sich gewandelt. Fußball ist längst zum popkulturellen Gesamtkunstwerk avanciert und vereint alle Gesellschaftsschichten. Vorbei die Tage, da in Fankurven nur Schnauzbartträger in Jeans-Kutten und mit Vokuhila-Frisuren standen. Heute huldigen Kinofilme wie »Kick it like Beckham«, »Das Wunder von Bern« oder »Goal!« dem Ballsport. Sönke Wortmann produziert gerade eine Fußballserie für Sat.1. Und auch die Theaterintendanten in Hamburg, Hannover, Leipzig oder Heidelberg peppen zur WM-Spielzeit ihre Häuser mit Ballstücken auf. Die Konsumenten dieser Ereignisse - alles neue Leserschichten.
Ein Auslöser dieser Entwicklung war fraglos David Beckham. Der englische Fußball-Beau bewies, dass Kicker nicht nur vor laufenden Kameras auf den Rasen rotzen, sondern auch zur Stil-Ikone taugen. Schließlich heiratete Beckham ein Mitglied der erfolgreichsten Mädchencombo aller Zeiten, der Spice Girls, ging auf Galas, traf die Queen. Welche Frisur er gerade trug, welches Modelabel er überstreifte, der Monteurssohn aus London-Chingford war der Trendsetter. Seinetwegen halten heute sogar Menschen, die das Spiel an sich verachten, Fußballgrößen für Popstars. In der klassischen Berichterstattung der Spielvor- und -nachbereitung wird sich
die mittlerweile heterogene Fangemeinde nicht wirklich wiederfinden. Darum gibt es für die Anhänger des Personenkults jetzt »Player«.
Der Clou des Blatts sind seine üppigen Titelgeschichten, jeweils nur einem Spieler gewidmet. Bislang feierte »Player« Lukas Podolski auf 36 Seiten und Kevin Kuranyi sogar auf 42. Für die Januar-Ausgabe ließ sich Oliver Kahn in Lederschaftstiefeln ablichten. Auf dem Bolzplatz nennt man so etwas einen Doppelpass: Das Heft profitiert von den Profis, weil die lange Interviews und Fotoshootings gewähren, und das sichert Exklusivität. Den Kickern wiederum dienen die Riesenstorys zur Imagepflege. Um auszuloten, ob die Stars tatsächlich zwei Tage lang zur Verfügung stehen, wurde das Konzept vorab wichtigen Spielerberatern und Vereinsmanagern vorgestellt.
Ob die jungen Monatsmagazine den Boom überleben, wird sich erst nach der WM zeigen. In jedem Fall haben die Titel gegen auflagenstärkere Wettbewerber zu kämpfen, die im Vorfeld des großen Sportereignisses an die Kioske schwemmen und dann auch wieder verschwinden werden. Der Heinrich Bauer Verlag veröffentlichte im Dezember erstmals »Fußball-Fieber«, ein eher uninspiriertes, von der Fifa lizenziertes Propagandaorgan, das den Programmzeitschriften des Medienhauses beiliegt, in einer Stärke von 5,7 Millionen. Mit dem Segen der Fifa wird zudem das alle zwei Monate erscheinende »Countdown« produziert. Die Verlagsgruppe Handelsblatt brachte im Dezember »Doppelpass« als Supplement von »Handelsblatt« und »Wirtschaftswoche« heraus, für April ist eine weitere Ausgabe geplant.
Rainer Schäfer, Chefredakteur des eher analytisch-fachlich orientierten »Rund«, gibt sich angesichts der vielfältigen Konkurrenz gelassen. Er weist auf Studien hin, nach denen es in Deutschland mehr als sieben Millionen Menschen geben soll, die sich Zeitschriften lesend über Fußball informieren wollen. Eine Zahl, die auch die Macher von »Champ« ermutigen wird, weiter nach einem neuen Verlag zu suchen, nachdem die Motor Presse Stuttgart den Testlauf nicht fortsetzen wollte.
Geht es nach den Plänen von Dirk Makritzki, so soll sich nicht nur der Magazinmarkt mächtig bewegen, sondern sogar das Tageszeitungsgeschäft in Aufruhr geraten. Der Sportjournalist aus Berlin, derzeit Geschäftsführer des Internet-Dienstleisters Eurostream, möchte das ehemalige DDR-Blatt »Sportecho« wiederbeleben - eine tägliche Sportzeitung.
Das Projekt würde die »Bild«-Zeitung attackieren. Startkapital in zweistelliger Millionenhöhe steht angeblich zur Verfügung, zu den Geldgebern soll ein Sportwettenanbieter gehören. Schon bald will sich Makritzki, 36, mit einem Verlag geeinigt haben, der das Konzept umsetzen wird. CHRISTINE KOISCHWITZ
* Mit Ehefrau Kristen Pazik.