»Siegen um jeden Preis«
Vor den Fenstern seines Sprechzimmers dehnt sich in Schönheit ein herbstlicher Auwald. Sieht er ihn noch? Oder hat er nur »die Feinde« im Blick, Männer seines Standes, deren Namen er partout nicht nennen will? »Die Feinde«, sagt Armin Klümper, »wollen mein Institut kaputtmachen.«
Sie kommen in vielerlei Gestalt. Mal als Beamte einer »Sonderkommission« des Baden-Würtemberger Landeskriminalamtes, ausgerüstet mit Durchsuchungsbefehlen; mal als Agenten, die den Zeitungen Falschmeldungen über K. zuspielen; mal als Gelehrte im schwarzen Talar. Viel Feind, keine Frage, aber auch viel Ehr.
Denn am Montag nachmittag dieser Woche wollten sich gut hundert, vielleicht auch mehr »Top-Athleten« aus der Bundesrepublik vor Klümpers »Sporttraumatologischer Spezialambulanz« versammeln. Geplant war ausdrücklich »keine Demo, sondern eine Sympathiekundgebung«. Soviel illustre Namen sollen als Cordon sanitaire das Institut umringen, daß den Feinden womöglich ganz bange geworden wäre. Der »Freundeskreis Professor Klümper« hatte laut getrommelt: »Erinnerst Du Dich noch an die Zeit, als Du verletzt warst und Professor Klümper Deine letzte Rettung war? Du hast doch sofort einen Termin bekommen. Nun ist Professor Klümper 'verletzt'. Nun braucht er Dich.«
Schwerathleten sollen dabei sein, Judokämpfer, Fechter; dazu Frauen von großer Schnellkraft und bemerkenswerter Ausdauer; man rechnet sogar mit Boxern. Doch friedlich soll es zugehen, ganz friedlich. Die Goldjungs und Olympioniken, Deutsche-, Europa- und Weltmeister sowie -meisterinnen, mehr als das ZDF-Sportstudio in einem Jahr präsentieren kann, wollen, erläuterte einer von ihnen, »ja nichts weiter als sagen: Doc, Deine Athleten stehen hinter Dir! Du magst viele Feinde haben, aber Du hast auch viele Freunde«.
In letzter Minute wollte Klümper den Aufmarsch eigentlich abblasen, um den Eindruck zu vermeiden, eine Prominenten-Lobby nehme Einfluß auf ein schwebendes Verfahren. Immerhin: Eine öffentliche Ehrenerklärung mit 450 Unterschriften namhafter Sportler ist dem Arzt außerdem zugestellt worden.
Das lebhafte Engagement der prominenten Patienten steigert einen Konflikt, der schon lange schwelt. »Seit 25 Jahren ziehe ich mein letztes Hemd für die Athleten aus«, sagt Klümper. Das sehen die Sportler auch so. Von weither, aus allen Ecken der Bundesrepublik, reisen sie ins dezentrale Freiburg. Klümper ist ihr Idol. Der Zehnkämpfer Kurt Bendlin nennt den Arzt »die Vaterfigur des deutschen Sports«. Anderen ist er das »Kap der guten Hoffnung«. So manch ein Sieger hat zu Protokoll gegeben: »Ohne Klümper hätte ich es nicht geschafft.«
Der Doktor kann sich vor Patienten nicht retten. 1800 Leistungssportler hat er im letzten Jahr verarztet, und, in Gemeinschaft mit zwei Kollegen seiner Couleur, weitere 20 000 Sportopfer beiderlei Geschlechts und jeden Alters. Sein Institut - eigentlich gehört es ja der Freiburger Universität, aber davon macht bisher niemand Gebrauch - ist vor zwei Jahren für 6,5 Millionen Steuermark gebaut worden. Es ist ein Mekka für alle, denen die »schönste Nebensache der Welt« schmerzhaft auf Knorpel, Knochen und Gelenke schlug. Klümper, rühmen die sportlichen Heerscharen,
mache im Auwald hinter Freiburg den Lahmen wieder Beine.
Weil die Prominenz der Athleten den Medikus stets lobend im Munde führt, gehört der spitzbärtige Bullerkopf mittlerweile zu den zehn bekanntesten deutschen Ärzten. Er wohnt im Olymp der Heilkundigen, wo das Volk auch Frau Mildred Scheel und den Professor Hackethal angesiedelt hat. Wer aber als Arzt bei den Patienten Vertrauen und großes Ansehen genießt, der kann sich darauf verlassen, daß die Kollegen ihn ganz anders beurteilen, bestenfalls als Außenseiter oder Störenfried.
»Der Klümper«, sagte Professor Herbert Reindell, selber vom Fach und vor Jahrzehnten sein Chef, »ist der Hackethal der Sportmedizin.« Und auf »solche Ärzte«, ergänzt NOK-Chef Willi Daume, »können wir verzichten«.
Deshalb hat man, wenn Klümper mal wieder so richtig in Fahrt war, das Bein einfach stehen lassen. Auf die Nase fällt er dann ganz von allein. 1976, bei den Olympischen Spielen in Montreal, wurde Klümper trotz dringender Bitten seiner Patienten nicht akkreditiert. Klümper durfte nicht mal in die Mensa. Seine Freunde reichten ihm die Nahrung durch das Gitter.
Auf die Reise zu den Spielen von Los Angeles hat der Doktor nach dieser Lektion wohlweislich verzichtet. Vor Schaden hat ihn das trotzdem nicht bewahrt. Denn einen seiner Patienten, den Radfahrer und potentiellen Medaillengewinner Gerhard Strittmatter, ließen die Funktionäre wegen Dopingverdachts gar nicht erst starten. Klümper hatte ihm, Wochen vorher, wegen einer Verletzung Anabolika gespritzt.
Das tut er gar zu gern. Klümpers Widersacher Joseph Keul, auch er ein Freiburger Sportmediziner und Leiter der offiziellen Olympiaärzte, erklärte das öffentlich zu einem »unverständlichen Fehler«. Sowas läßt sich Klümper nicht sagen. »Absolute Unverschämtheit«, polterte er zurück, »Krönung der Unkollegialität«.
»Klümper ist ein Stümper« war schon 1972, die Spiele gastierten in München, in Kreisen der promovierten Kollegen gereimt worden. Man sieht: Die Fehde, niemals beigelegt, eskaliert im olympischen Rhythmus.
Einzelkämpfer Klümper, die Brust vom Hemd entblößt, zieht viele Speere auf sich. Der jetzt 49jährige, geboren in Westfalen, wirkt privat eher schüchtern. Seine öffentlichen Äußerungen hingegen sind ausnahmslos aggressiv getönt. »Von den 6000 Sportärzten der Republik taugen höchstens 24 etwas.« Unter den 5976 anderen Kollegen, den Nichtskönnern, seien aber viele, »die das Maul weit aufreißen«.
Wer an Klümpers Behandlungsweise Kritik übt, sieht sich ruckzuck der »Kompetenz« für verlustig erklärt. Gegnerische Stellungnahmen nennt er gern »Pamphlete«. Seine Art, Medizin zu
treiben, steht für ihn selbst jenseits der kollegialen Supervision. Dabei treibt er es wirklich bunt. Die herkömmliche Farbabstufung der Heilkunst - oben der Weißkittel, unten der blasse oder blutige Patient - ist bei Klümper außer Kraft gesetzt. Dieser Arzt identifiziert sich völlig mit seinen hochsportlichen Kranken - deren Wünsche (und seien sie noch so bekloppt) sind ihm Richtschnur des Handelns.
Der Leistungssportler will siegen, siegen um jeden Preis. Lieber tot als zweiter. Gerissene Sehnen, ruinierte Bandscheiben und Menisken, verschlissene Knorpel in fehlbelasteten, überforderten Gelenken, Muskelkrämpfe, Kapseldehnungen - die lange Liste der Sportverletzungen bringt, klagt Klümper, »80 Prozent der Ärzte dazu zu sagen: Lassen Sie's bleiben, geben Sie den Sport auf«.
Das ist - jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Vernunft, die Schmerzen, Spätschäden und Lebenserwartung ins Kalkül ziehen muß - der richtige Rat. Nur trifft er beim Top-Athleten auf taube Ohren. Gold und dessen soziale Äquivalente winken nur dem, der dafür seine Knochen hinhält.
Klümper ebnet diesen Helden den Weg zurück in die Sportstätte. Das danken sie ihm. Er hört ihnen zu, stundenlang, die halbe Nacht. Ein gestreßter Sportler, der endlich einmal alle seine Schmerzen, Beschwerden und Ängste ohne Zeitdruck einem väterlichen Freund und Experten darlegen kann, der fühlt sich geborgen. Während der Sprechstunde (in Freiburg verdient sie ihren Namen noch) trinkt der Arzt große Tassen Kaffee und bläst viel blauen Rauch in die Luft. Seine Trostworte sind klar und leicht verständlich. Wenn und aber kennt er nicht.
Die intensive Hinwendung, das Ernstnehmen der Sportler-Klage, es ist die halbe Miete. Den Rest besorgt Polypragmasie. So nennen die Ärzte, meist etwas abfällig, die Vielgeschäftigkeit, die Behandlung einer Krankheit mit zahlreichen unterschiedlichen Mitteln und Methoden. Darin ist Klümper ein großer Meister. Sein Glaubenssatz lautet: »Es ist alles erlaubt, was hilft.« Und was hilft nicht alles!
Bei einem Sportler in erster Linie die Injektion. Die Spritze zeigt dem Patienten, daß sein Arzt entschlossen ist, richtig ranzugehen, reinzustechen ins Zentrum der Beschwerden - und sei es in eine (von Natur aus keimfreie) Gelenkhöhle. Wer von Berufs wegen seinen Leib als Fußballer, Turner oder Schwerathlet schindet, der fürchtet sich nicht vor aktiver Therapie, der sehnt sie herbei. Mit den üblichen Doktorsprüchen wie »Schön ruhighalten« oder »Nicht belasten« ist ein lädierter Sportsfreund niemals zufrieden. Er will, daß umgehend etwas geschieht, möglichst das Maximale. Da ist er in Freiburg schon richtig.
»Wir spritzen niemanden fit«, wehrt sich Klümper gegen die Vorwürfe seiner Kollegen, er sei ein leichtfertiger »Spritzendoktor«. Das mag stimmen. Aber wahr ist auch: Die Nadel ist Klümpers liebste Waffe. Mit ihrer Hilfe appliziert der Sporttraumatologe alle möglichen Arzneistoffe an alle möglichen Stellen. Lädiertem Knorpel verhilft er beispielsweise durch einen Spritzencocktail aus Aminozucker, extrem verdünnten Pflanzenextrakten und entkernten Frischzellen zur Regeneration. Streng wissenschaftlich gesehen kann dieser Cocktail nichts bewirken, glaubt man der Schulmedizin. Hört man hingegen auf die gespritzten Sportler, so vertreibt die Klümpersche Injektion alle Molesten.
Ist doch klar, daß die anderen Sportärzte - die Feinde? - auch gern so geliebt würden wie der brummige Walddoktor. Schließlich strahlt der Ruhm des Athleten auch auf seinen Arzt zurück. Klümpers Freunde sind sich einig, daß nur der »Neid« der Sportmediziner, die im Schatten stehen, ihren Leibarzt jetzt in Schwierigkeiten gebracht hat.
Die Sonderkommission »Ärzte und Apotheken« des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg sieht das anders. Sie sei, sagt ein Oberstaatsanwalt, tätig geworden, weil »Krankenkassen sich an uns gewandt haben, um Abrechnungen überprüfen zu lassen«.
Mit Krankenscheinen und Rezepten hat Klümper, um das mindeste zu sagen, ähnlich unkonventionell hantiert wie mit seinen Spritzen. »Formale Verstöße« hat er bereits eingeräumt. Ob das, wie die Ermittler für möglich halten, schon »Betrug zum Nachteil von Ersatz- und Ortskrankenkassen« ist, wird sich in diesem Jahr nicht mehr klären lassen.
In einer Steuerangelegenheit hat sich der umstrittene Medikus durch eine Selbstanzeige noch rechtzeitig Luft verschafft. Nun darf Klümper für mehr als eine Million Mark Nebeneinnahmen nachträglich den Fiskus sponsern.
»Er ist mit den Nerven fertig«, urteilt Klümper-Freund Eberhard Gienger, 1974 Weltmeister am Reck. »Er braucht Zeit, um alles zu verkraften.«
Der Doktor selber weiß nicht recht, ob ihn seine Prominenz eher »belastet oder beschützt«. Nur in einem ist er seiner Sache sicher: Der ganze Ärger, die Heimsuchungen, »das alles ist mit absoluter Sicherheit von meinen Feinden angestoßen worden«.