BARBARA HENNBERGER So sensibel
Das Mädchen brauste mit eingezogenem Kopf und federnden Kniegelenken durchs Ziel, zog einen schneidigen Bremsschwung und stützte sich schwer atmend auf ihre Stöcke. Sie japste: »Das war die schnellste Abfahrt, die ich je gefahren bin.«
Nicht schnell genug. Denn Barbara ("Barbi") Henneberger, 22, attraktivste Erscheinung des deutschen Skisports, wurde in diesem vorolympischen Rennen am vorletzten Sonntag auf der Innsbrucker Olympia-Abfahrtsstrecke nur Zweite. Das war angesichts der internationalen Gala-Konkurrenz - Olympiasiegerin Heidi Biebl belegte den 16. Platz - ohne Zweifel ein Erfolg. Doch nie zuvor litt das Münchner »Schneeteufelchen« ("Sport Magazin") stärker unter einem speziellen Handikap als in diesem Rennen.
»Ich bin einfach zu leicht«, haderte die Schwarzhaarige. Sie ist mit 1,66 Meter Größe zwar nicht die kleinste, mit nur 52 Kilogramm Gewicht aber in der Tat die weitaus leichteste aller Damen, die sich fast Woche für Woche zu internationalen Elite-Skirennen versammeln. Da im Abfahrtslauf das Tempo in erster Linie vom Gewicht bestimmt wird, ist die ranke Läuferin (Taille: 57 Zentimeter) im Nachteil. Sie sucht indes durch exaktere Technik auszugleichen, was ihr an Gewicht fehlt: »Man muß ein bissel besser fahren als die anderen.«
Nach diesem Rezept stieg Barbi Henneberger - vom Fernsehsportler Maegerlein zur »größten Stilistin unter allen Skifahrerinnen der Welt« erhoben - trotz Konkurrenz durch die kernige Heidi Biebl zur erfolgreichsten deutschen Rennläuferin der Saison auf. Im vergangenen Monat errang die Schneemaid den wertvollsten Erfolg ihrer Karriere: Barbara Henneberger gewann bei den internationalen Rennen im schweizerischen Grindelwald Slalom und Abfahrtslauf, mithin auch die Alpine Kombination mit der Idealnote Null - Gleiches war bisher nur der Deutschen Christi Cranz (1937) und der Schweizerin Rösli Streiff (1932) gelungen. Dieser totale Sieg des Leichtgewichts beruhte nach Urteil des Schweizer Blattes »Sport« allein auf »einer ausgefeilten Technik und (dem) intelligenten Köpfchen dieses hübschen Mädchens«.
Die Sportkarriere der Münchner-Architektentochter gründet sich auf die Branche Uwe Seelers: Jung-Barbi spielte Fußball in der Straßenmannschaft. Ihre Eltern schnallten ihr schon als Vierjähriger Skier unter. Frühzeitig als Talent für den Rennlauf entdeckt und in Skiverbands-Lehrgängen gefördert, tat sie sich als Dreizehnjährige auf Bayerns Jugendmeisterschaften hervor und wurde 1957 bereits Deutsche Jugendmeisterin.
Dabei stand sie freilich im Schatten ihrer robusteren und erfolgreicheren Alterskameradin Heidi Biebl. Erst 1959 drang Barbi Henneberger zur Weltelite vor, wurde 1960 Deutsche Meisterin und errang beim olympischen Slalom in Squaw Valley die Bronzemedaille.
Daß die Münchnerin ihre alte Rivalin Biebl erst jetzt übertrumpfte, lag nicht zuletzt an einer langjährigen Doppelbelastung, der Barbi Henneberger bis 1961 ausgesetzt war: Das Mädchen wendete allen Ehrgeiz an die Vorbereitung auf das Abitur und gab auch die zeitraubende Teilnahme an Wettkämpfen nicht auf. Es blieb ihr nicht genug Zeit zum Training. Auch nach Aufnahme ihres Studiums an der Universität München (Amerikanistik mit Nebenfächern Anglistik und Geschichte) rangieren ihre beruflichen Pläne vor dem Rennsport. Sie »will versuchen zu promovieren und möchte später die diplomatische Laufbahn einschlagen - wenn sie mich dort brauchen können«.
Dieser beruflichen Zielsetzung diente auch ein halbjähriger Studienaufenthalt in Boston, wo sie Vorlesungen an der Harvard-Universität besuchte, als Verkäuferin und als Mannequin arbeitete.
Weniger erfolgreich war Barbi Henneberger indes vorher in einer anderen Branche gewesen, in der sie aufgrund ihrer attraktiven Erscheinung zunächst gleichfalls zu reüssieren versprach. Inspiniert durch ihre aparten Züge und Unbekümmertheit bei Sport-Interviews, hatten die Redaktoren der Münchner Fernseh-Abendschau die Rennläuferin als Ansagerin für das bayrische Regionalprogramm angeworben. Doch Barbi Hennebergers Münchner Dialekt wirkte bei der Mattscheiben-Ansage eher erheiternd; auch saß das Mädchen - wie selbst Mutter Henneberger einräumte - im Studio ohne Partner und Kontakt plötzlich mit Lampenfieber da und war stocksteif«.
Gelöster widmet sie sich zahlreichen Nebensports. Sie taucht mit der Harpune, schießt mit Pfeil und Bogen, reitet auf den Pferden befreundeter Sportsmänner - »Mietpferde sind nicht besonders gut, und was mir abgeht, ist ein eigenes Pferd« -, will sich jedoch vom Tennis zurückziehen. Begründung: »Weil ich es dick habe, immer zu rennen - ich mag Sportarten lieber, bei denen es von selber geht.«
Dazu zählt sie das Fischen. Sie stellt in Loisach und Isar, fachmännisch mit der »Fliege des Monats« am Haken, den Forellen nach. Sie bevorzugt künstliche Köder auch beim Angeln nach dem Hecht: »Erst einen kleinen Fisch totmachen, dann den Haken durchziehen - das ist mir zu bazig.« Ihr Rekordfang: ein achtpfündiger Hecht, am Blinker aus dem Lech gezogen.
In ihrer Begeisterung für hohes Tempo
- sie verschaffte sich sogar das Erlebnis
eines 800-Stundenkilometer-Flugs im Düsenjäger-Trainer »T 33« der Bundeswehr - fühlt sich Barbi Henneberger behindert, weil ihr nur Mutters 61er VW 1200 zur Verfügung steht. Sie sagt: »Ein schnellerer Wagen wäre mir lieber.«
Höhere Geschwindigkeitsbereiche auf der Straße erschließt ihr mitunter ein roter VW 1500 mit Skirennläufer Willy Bogner junior, Sohn des Skimodenfabrikanten Willy Bogner, am Steuer.
Reporter meldeten die beiden mehrfach als versprochenes Paar, doch die Pisten -Fahrerin dementiert: »Da ist nix dahinter. Da geh' i eher z' Fuß auf'n Montblanc 'nauf.«
Die Freundschaft mit Willy Bogner ergab sich aus dem gemeinsam betriebenen Ski-Rennsport - einem Sport, der Mutter Henneberger mit ständiger Sorge um ihre Tochter erfüllt: »Ich sag' der Barbi immer, sie soll nichts Verrücktes machen. Wenn sie sich gut placiert, genügt das vollkommen. Wir möchten doch, daß unsere Tochter heil und sauber heimkommt ... auch innerlich.«
Mutter Hennebergers Besorgnis um ihr Kind ("Sie ist doch so sensibel") hat im Grunde die gleiche Ursache wie das Gewichtshandikap der Tochter beim Abfahrtslauf: Zart wie die Aquarelle, die sie in ihrer Freizeit pinselt, ist auch Barbi Henneberger selbst.
Einst als Jungmädchen in 3000 Meter Hohe am Plateau Rosa nahe Cervinia schon beim Skianschnallen ohnmächtig geworden, wagt sie heute im Gegensatz zu strammen Konkurrentinnen nicht, Gewichtheben in ihr Training einzubeziehen. Typisch für ihre unathletische Konstitution war denn auch, daß sie nach dem großen Erfolg von Grindelwald schon beim nächsten Rennen in Schruns, obendrein noch erkältet, zusammenklappte - in knapp zwei Wochen hatte sie acht Wettkämpfe gegen stärkste Gegnerinnen bestreiten müssen.
Daher scheint merkwürdig, daß die Läuferin die wilden Abfahrtsrennen dem vergleichsweise milden Slalom vorzieht, und schwer erklärlich, woher sie die Kraft für Schußfahrten und knirschende Schwünge auf Eispisten nimmt. Der Münchner Olympia-Masseur Max Lechner glaubt es zu wissen: »De Barbi, de hat koa Gramm Fett, aber wer glaubt, daß de koa Kraft hat, der täuscht sich gewaltig.« Ihre Muskeln seien »wie Gummiseile - dünn, stark, elastisch«.
Barbi Henneberger schlug mit ihren dünnen Muskeln zum Saisonbeginn beim Riesenslalom auf der Zugspitze sogar 41 von 44 männlichen Konkurrenten.
Ihren Gewichtsnachteil ("Ich bin nicht der Typ, der dick wird") gegenüber der weiblichen Konkurrenz sucht sie einerseits durch sorgfältigste Materialauswahl wettzumachen. So gehört sie im Gegensatz zu fast allen anderen Eliteläuferinnen keinem Fabrik-Rennstall an. Sie sagt: »Ich will unabhängig sein und fahre alle Marken durcheinander, wie ich sie brauche: Kneissl-Ski im Slalom, Fischer-Ski in der Abfahrt und abwechselnd Erbacher- oder Kneissl-Ski im Riesenslalom. Dafür kriege ich bis auf die - geliehenen - Ski nichts.«
Hauptsächlich aber trachtet sie ihre an Gewicht überlegenen Gegnerinnen durch eine technisch ausgefeiltere und daher zeitsparende Fahrweise zu übertrumpfen. Auf Strecken von schwierigem, schnellem Charakter gelingt ihr das auch meistens.
Beim vorolympischen Abfahrtsrennen am Innsbrucker Patscherkofel aber gab »ein Mordsflachstück« (so Barbi Henneberger), auf dem sich das Gewicht entscheidend auswirkte, den Ausschlag für den Sieg der österreichischen Abfahrtsweltmeisterin Christa Haas. Die zweitplacierte Barbi Henneberger, 104 Pfund, stellte fest: »Die Christa ist zu schwer. Sie sollte bei den Männern starten.«
Christa Haas wiegt 140 Pfund.
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Ski-Sportler Bogner, Barbara Henneberger
... ist für Abfahrtsrennen zu leicht