PELE So viel Geld
Er hatte keine Chance, seinen Verehrern zu entkommen. Kaum war das Spiel abgepfiffen, da drangen sie von allen Seiten auf ihn ein. Brüllend vor Freude, zerrten sie ihm das Hemd vom Leib. Sie rissen es in' Stücke und nahmen die Fetzen als Souvenirs mit nach Hause.
Das Opfer, der 22jährige Edson Arantes de Nascimento, genannt Pele, ließ die handgreifliche Ovation am 11. Oktober im Benfica-Stadion zu Lissabon gefaßt, über sich ergehen. Sie wurde ihm zuteil, weil er gerade eine Fußball-Glanztat vollbracht, drei Tore geschossen und seinem Verein, dem »FC Santos«, mit einem 5:2-Sieg über »Benfica Lissabon«, zur inoffiziellen Vereins-Weltmeisterschaft verholfen hatte.
Dem dunkelbraunen Brasilianer Pele war der Hemdenraub keine fremde Prozedur, denn so feiert Südamerikas Fußballvolk von jeher seine Helden. Von allen Balltretern der Erde hat Pele den größten Trikotverschleiß.
Grund: Er gilt als bester Fußballer der Welt. Der ungekrönte Kicker-König mit dem sanften, melancholischen Blick verdient mehr Geld als jeder andere Fußballer und ist längst Inhaber mehrerer Firmen und Millionär. Seine Beine sind auf 300 000 Mark versichert.
135 000 Mark mußte der »Hamburger Sport-Verein« dem »FC Santos« zahlen, damit Peles Weltmeisterelf ihre Beine am vergangenen Sonnabend 90 Minuten lang gegen die HSV-Elf in Bewegung setzte. Das ist das höchste Honorar, das ein deutscher Fußballverein je
einem ausländischen Klub für ein Gastspiel zugestand.
Fußballfans aus ganz Deutschland jagten nach den Eintrittskarten für die Hamburger Galavorstellung. Sie wollten den Überfußballer Pele in Aktion sehen, von dem Sachverständige behaupten, er vereinige in sich die Eigenschaften eines Spielmachers wie Fritz Walter und die Qualitäten eines Torschützen wie Uwe Seeler.
Peles Aufstieg war zugleich der Aufstieg Brasiliens zur Fußball-Weltmacht. Dreimal waren die Brasilianer bis dahin auf Fußball-Weltmeisterschaften kurz vor dem Endsieg gescheitert: 1938, 1950 und 1954. Doch auf der Weltmeisterschaft 1958 in Schweden gelang zum erstenmal - 5:2 gegen Schweden - der Endsieg. Dabei entpuppte sich der damals 17jährige Pele als Wunderstürmer«. Er schoß zwei Tore und erwies sich als derart geschickter Taktiker, daß er bei seiner Heimkehr nach Rio wie ein Nationalheld gefeiert wurde und über 500 Heiratsangebote erhielt.
Die Brasilianer hatten ihre Gegner in Schweden mit einem strategischen Kniff überrascht, der fortan im internationalen Fußball als »Brasilianisches System« respektiert wurde. Mit ihrem, neuen Spielschema überwanden die Süd-amerikaner das von den führenden kontinentalen Mannschaften bevorzugte klassische WM-System.
Beim WM-System formieren sich die Abwehrspieler in M-, die Stürmer in W-Aufstellung. Die Brasilianer wählten eine andere Grundformation: Nach ihrem sogenannten 4-2-4-System operierten zwei Läufer zwischen je vier Verteidigern und vier Stürmern. Dadurch störte die Mannschaft das gegnerische Deckungskonzept, öffnete Lücken und stieß durch sie hindurch zum Torschuß vor.
Da jedoch bei jedem Spielsystem die Pfiffigkeit der einzelnen Spieler viel entscheidender als ein taktisches Schema ist, waren die brasilianischen Erfolge im Grunde-Erfolge ihrer moderneren Spielauffassung - der Fähigkeit, militärischstrenges Planspiel mit ballkünstlerischen Improvisationen zu durchkreuzen.
Dies gelang den Kickern von der Kaffeeküste dank ihrer natürlichen Begabung im Umgang mit dem Ball: Mit vollendeter Balltechnik, perfektem Kopfballspiel und genau placiertem Zuspiel selbst über Entfernungen von 40 Metern erwiesen sich die Ballartisten denn auch auf der diesjährigen Weltmeisterschaft in Chile überlegen und siegten 3:1 gegen die CSSR.
»Wunderstürmer« Pele mußte das Endspiel gegen die Tschechoslowaken wegen einer Verletzung versäumen. Dafür verhalf er Brasilien nach dem Gewinn der eigentlichen Weltmeisterschaft der Nationalmannschaften zu einem weiteren Championat, indem er seine Ballartisten vom »FC Santos« zum Sieg in der Weltmeisterschaft der Vereine führte.
Der Titel ist zwar inoffiziell, wird jedoch allgemein anerkannt, weil tatsächlich die beiden jeweils besten Klubmannschaften Südamerikas und Europas jährlich um ihn streiten: Der Sieger im Europapokalwettbewerb trifft in je einem Heim- und Auswärtsspiel auf den Gewinner das Südamerikapokals. Stifter des sogenannten Weltpokals - eines zwischen vier Säulen gebetteten goldenen Fußballs - war 1960 der spanische Klub »Real Madrid«, der die Trophäe auch gleich selber gewann. Im vergangenen Jahr siegte »Penarol Montevideo«.
Alle Versuche, den gefeierten Super-Kicker Pele mit Millionenangeboten aus Santos wegzuheuern, scheiterten bisher an Pele selber. Er mag einerseits Anverwandte und Freundin Claude nicht missen, anderseits verdient er so viel Geld in Santos, daß er sich höhere Einkünfte bei anderen Klubs kaum vorstellen kann.
Über-Spieler Pele verstand es wie kein zweiter Fußballstar, seine Fußballer-Popularität in Geld umzumünzen. Pele kassiert als Fußballspieler ein Monatsgehalt von 12 000 Mark; durch Prämien und andere Sonderzuwendungen erzielt er jedoch ein jährliches Fußball-Einkommen von rund 300 000 Mark. Weitere Einkünfte von unbekannter Höhe bezieht er aus seinen Handelsfirmen und durch Reklamehonorare.
Kicker - Perle Pele handelt mit Möbeln, Baustoffen und Büchern. Er kassiert Honorare via Pele - Werbung für so unterschiedliche Artikel wie Kaffee, Massageöl, Industrieerzeugnisse, Teigwaren und Haarwuchsmittel. Seinen Künstlernamen Pele ließ er als geschützte Markenbezeichnung eintragen.
Peles Aufstieg hat offenbar auch die Forderungen der brasilianischen Nationalelf für auswärtige Länderspiele hochgeschraubt. Der »Deutsche Fußball-Bund« (DFB), dessen Länderelf noch nie gegen Brasilien gespielt hat, mußte vor kurzem ein Länderspielangebot Brasiliens ablehnen, weil die Südamerikaner 300 000 Mark zuzüglich Reisekosten verlangten. DFB-Präsident Dr. Gösmann: »Unmöglich - da wäre ja für uns nichts mehr übriggeblieben.«
Nur in einem Punkt unterscheidet sich Pele nicht von anderen Fußball-Größen: Sein im Alter von 20 Jahren veröffentlichtes Fußballbuch ("Das bin ich, Pele"), für das Pele die Übersetzungsrechte in Englisch und Deutsch gegen 300000 Mark abtrat, hat er nicht selber verfaßt. Auch Pele nahm sich einen Ghostwriter.
Brasiliens Wunderspieler Pele: Mit 17 Jahren 500 Heiratsanträge