Sportler im Jahr 2019 Sie machen den Mund auf

Hat einiges zu sagen: Megan Rapinoe
Foto: Ira L. Black/ Getty ImagesVon dem Handballer Uwe Gensheimer wird man in den kommenden Wochen wieder viel Sportliches zu hören bekommen. Als Kapitän führt er die deutsche Auswahl im Januar in die Europameisterschaft, es wird dann auch auf Gensheimer ankommen, er gilt immerhin als bester Linksaußen der Welt.
Vor ein paar Wochen hat sich Gensheimer im baden-württembergischen Schwetzingen mit Jugendlichen, unter ihnen waren Flüchtlinge, aber auch Kids aus der Gegend, vor eine weiße Wand gestellt, hat mit ihnen einen Tag gemeinsam gepinselt und gesprayt. "Ball Wall" hieß das Projekt , und Gensheimer hat da mitgemacht, weil "ich mit meiner Bekanntheit und Popularität Themen und Projekte unterstützen will, die aus meiner Sicht gesellschaftlich wichtig sind", sagt er dem SPIEGEL.
Gensheimer sagt auch, er "möchte niemanden dazu zwingen, sich gesellschaftlich zu engagieren, aber ich wünsche mir schon, dass auch andere Sportlerinnen und Sportler zu wichtigen Themen Stellung beziehen".
So gesehen kann er mit dem Jahr 2019 ganz zufrieden sein.
Wahrscheinlich hat es kein Jahr gegeben, in dem es in der Sportberichterstattung so häufig und ausführlich um Rassismus, um Sexismus ging, um Gleichberechtigung und Equal Pay, auch um Klimaschutz und gesellschaftliche Teilhabe. Und wohl auch noch kein Jahr, in dem Sportler zu diesen Themen so vernehmlich waren. Die Schweigespirale Sport, sie gibt es noch, natürlich gibt es sie noch, aber man erkennt Auflösungserscheinungen.
Rapinoe beherrschte den Sommer
Das Sportliche war immer politisch, aber Sportler standen gewöhnlich nicht in dem Ruf, dies angemessen zu realisieren, auch zu reflektieren. "Ich konzentriere mich aufs Sportliche, alles andere ist für mich nicht wichtig" ist ein Standardsatzbaustein in Interviews.

Sun Yang wird bei der Schwimm-WM geehrt, Mack Horton bleibt hinterm Podest stehen
Foto: Ed Jones AFPAber es gibt den Schwimmer Mack Horton mit seinem demonstrativen und für die ganze Welt sichtbaren Protest im August bei der WM gegen den dopingverdächtigen Sun Yang. Es gibt die Fußballer Raheem Sterling, Antonio Rüdiger, Jonathan Tah, die den Rassismus gegen dunkelhäutige Spieler nicht mehr hinzunehmen gewillt sind. Es gibt die Vereinigung Athleten Deutschland um den Fechter Max Hartung, die die Interessen der Sportler in eigene Hände nehmen und sich von Funktionären nichts mehr vorschreiben lassen will. US-Fußballerin Megan Rapinoe beherrschte den Sommer, weil sie ihren Unmut über US-Präsident Donald Trump und dessen Politik formulierte. Nebenbei wurde sie noch Weltmeisterin.
Die Leichtathletik-WM in Doha bot die Bühne zur Debatte über den Ausrichter, die dortigen Lebens-, Klima- und Arbeitsbedingungen, sie war aber auch Anlass, im Zusammenhang mit dem Nike Oregon Project (NOP), darüber zu debattieren, was der Preis des Erfolgs sein kann. Ohne die Beiträge der Athleten, die das NOP aus der Nähe kennengelernt haben, wäre es zur Schließung des umstrittenen Projekts wohl kaum gekommen.
Widersprüche treten offener zutage
2019 war für den Sport ein Jahr, in dem seine Widersprüche offener zutage getreten sind als je zuvor. In denen Schleier weggerissen wurden. Sport ist mittlerweile auch Kulturkampf. Noch vor zehn Jahren wäre eine Äußerung wie die von Schalke-Boss Clemens Tönnies weggelächelt worden, jetzt hat sie zumindest eine breite Diskussion ausgelöst. Mit dem Beitrag, den die sozialen Medien dazu geleistet haben: Facebook und Twitter sind Empörungsschleudern, aber sie lassen die Verantwortlichen auch nicht mehr so davonkommen wie früher.

Schalke-Boss Clemens Tönnies darf wieder Selfies im Stadion machen
Foto: Rolf Vennenbernd DPAGerade der Fall Tönnies zeigt allerdings auch noch die Beharrungskräfte des Sports und wie stark sie noch sind. Die Versuche, Rassismus kleinzureden, die lächerlich anmutende Strafe für den Aufsichtsratschef, die Ausflüchte des sogenannten Ehrenrats - das sind mehr als Rückzugsgefechte. Es ist der Versuch, den Sport rauszuhalten aus den gesellschaftlichen Diskussionen. Jahrzehntelang ist das gut gegangen, die Sportler haben viel, manchmal alles mit sich machen lassen, im Zeichen des sportlichen Erfolgs, im Zeichen des lockenden Gewinns. Diese Haltung bricht auf, sie scheint auch nicht mehr zeitgemäß.
2020 wird auch zeigen, wie nachhaltig das ist. Im Sommer wird es eine Fußball-EM geben, bei der angesichts von zwölf Austragungsländern und den damit verbundenen Reisen quer durch Europa eine Klima- und Flugdebatte unausweichlich erscheint. Die Olympischen Sommerspiele mit ihrem Gigantismus stehen in Tokio an. Auch hier wird die Hitze das Klimathema anschieben, der Marathonwettbewerb ist deswegen bereits von Tokio nach Sapporo verlegt worden. Der Start russischer Athleten in Tokio wird das Dopingthema am Leben halten. Fifa-Chef Gianni Infantino wird mit seiner rigoros auf Geldmacherei ausgerichteten Verbandspolitik schon dafür sorgen, dass weiterhin über die neuen Dimensionen der Profitmaximierung im Fußball gesprochen werden muss.
All das sind die Themen, die zuallererst die Sportler betreffen. Und die sich deswegen dazu auch zuallererst zu Wort melden sollten. Mündigkeit ist eine sportliche Disziplin.