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Matthias Schlitte: Höllenjunge aus Haldensleben

Foto: Christian Tech/ picture alliance / dpa

Armwrestler Schlitte Links schmächtig, rechts mächtig

In Deutschland ist er nahezu unbekannt, im Ausland ein Star. Matthias Schlitte ist einer der erfolgreichsten Armwrestler der Welt - dank seines außergewöhnlichen rechten Unterarms.
Von Tim Scholz

Sein rechter Arm ist gewaltig. Aufgrund eines Gendefekts ist Matthias Schlittes rechter Unterarmknochen um ein Drittel größer als sein linker. 44 Zentimeter Umfang misst er, zur Veranlagung kommen reichlich Muskeln durch regelmäßiges Training. Er wird oft danach gefragt, doch das stört ihn nicht. "Ich werde lieber darauf angesprochen, als dass hinter meinem Rücken getuschelt wird", sagt er.

Schlitte, 27 Jahre alt, ist Armwrestler, Kampfname: "Hellboy", wie die Comicfigur. Seine körperliche Besonderheit kommt dem ansonsten eher schlaksigen Mann bei seinem Sport zugute. Der Arm sei "eine gute Grundlage", sagt er - wenn auch nicht allein verantwortlich für die vielen Titel, die Schlitte schon gesammelt hat. Andere Dinge seien wichtiger: Körpergewicht, Schnellkraft und Technik. "Ein Mensch, der größer als zwei Meter ist, ist auch nicht automatisch ein herausragender Basketballer", sagt er.

Aber Schlitte ist herausragend im Armwrestling, wie das Armdrücken im Profibereich heißt. Gefürchtet ist er vor allem für die Top-Roll-Technik, dabei versucht er mit der Fläche unterhalb seines Daumens, die Finger des Gegners zu öffnen. "Die Wettkämpfe gehen an die Substanz", sagt Schlitte. Meistens werden alle Duelle an einem einzigen Tag ausgetragen. Mit dem "Kneipensport" Armdrücken habe das wenig zu tun, sagt er. Armwrestling sei Wettkampfsport.

Die Sportler sitzen nicht auf Barhockern, sie stehen sich an 1,04 Meter hohen Tischen gegenüber. Die Handgelenke müssen vor dem Startsignal gerade sein, ein Kampfrichter ahndet Fouls wie das Anheben des Ellenbogens. Wer den Handrücken des Gegners auf das Polster zwingt, gewinnt.

Schlitte kann sich noch gut daran erinnern, wie bei ihm alles anfing. Seine Mutter kam mit dem Flyer eines Armwrestling-Turniers in seiner Heimatstadt Haldensleben, Sachsen-Anhalt, nach Hause. Schlitte, damals 16 Jahre alt, ging hin. "Die Leute in der Kneipe lachten, es gab spöttische Blicke", erinnert er sich. Doch am Ende setzte sich der schmächtige Junge gegen die massigen Konkurrenten durch. Da lachte keiner mehr.

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Das war der Anfang, dann ging die Karriere schnell voran. Der VfL Wolfsburg, so etwas wie der FC Bayern des deutschen Armwrestlings, wollte ihn unter Vertrag nehmen. Schlitte sagte zu und trainierte plötzlich mit den Besten. Wenige Monate später debütierte er in der Jugendnationalmannschaft. "Es war fortan mehr als ein Hobby", sagt Schlitte, der heute als Abteilungsleiter im öffentlichen Dienst arbeitet.

Der internationale Durchbruch gelang ihm 2006, als er kurz nach seinem Abitur jüngster Sieger bei einem der besonders renommierten Over-the-Top-Turniere wurde. Im Ausland werde er manchmal sogar auf der Straße angesprochen, in Deutschland passiert Schlitte das so gut wie nie.

Vor allem in den USA, Japan und Südkorea ist der Sport populär, dort sind die Wettkämpfe eine Riesenshow. In Südkorea besiegte er einmal einen Armwrestling-Roboter und trat in knallbunten Fernsehshows vor Millionen Zuschauern auf. "Das ist eine schöne Abwechslung", sagt er. In Australien und Neuseeland wirbt der Elektrokonzern AEG in einem Videoclip mit Schlitte für Handwerksgeräte mit dem Slogan "Unexpected Power": Er zertrümmert piepende Wecker mit der bloßen Faust, zerquetscht versehentlich Milchtüten und Zahnpastatuben, und wenn er beim Essen das Messer ansetzt, geht der Teller zu Bruch.

Auch sein eigener Körper hält seiner Kraft nicht immer stand. 2009 hörte er in einem Wettkampf plötzlich ein Knacken. Es war sein Handwurzelknochen, der immer stärker schmerzte, seine Karriere stand auf dem Spiel. Schlitte wurde noch einmal Deutscher Meister, dann zog er sich aus dem Wettkampfsport größtenteils zurück. Erst 2011 kämpfte er sich wieder zurück - und wie: Er gewann vier internationale Turniere. Insgesamt war er 16 Mal auf internationalen Veranstaltungen erfolgreich, acht deutsche Meisterschaften hat er gewonnen.

Trotzdem war er noch nicht zufrieden, Schlitte wollte mehr. Also ging er vor einem Jahr bei der Weltmeisterschaft in Warschau an den Start. Nachdem er die versammelte Weltspitze bezwungen hatte, stand er im Finale. Dort musste er sich seinem Gegner aus Kasachstan geschlagen geben. WM-Silber, immerhin. Ein guter Zeitpunkt, um aufzuhören? Schlitte sagt: "Erst wenn irgendwann die Goldmedaille an meinem Hals hängt, denke ich ans Aufhören."

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